Ein Abend voller Sternenstaub:Dem Universum ganz nah

Im Zentrum des "Baldhamer Nach(t)denkens" steht ein großer Holzschnitt von Ludwig Gruber. Aber auch auf Licht- und Klangspuren erforschen die Besucher die Geheimnisse des Kosmos

Von Rita Baedeker

Ein Abend voller Sternenstaub: Lichtspuren bezaubern das Publikum im "Baldhamer Nach(t)denken", dem Kirchweihfest von Maria Königin.

Lichtspuren bezaubern das Publikum im "Baldhamer Nach(t)denken", dem Kirchweihfest von Maria Königin.

(Foto: Christian Endt)

Der Flug ins Universum führt durch ein Labyrinth aus Licht: Spiralförmig angeordnete Teekerzen im Innenhof des Pfarrzentrums Maria Königin in Baldham leuchten in die sternklare Nacht, wo jetzt, Ende September, der Planet Mars hoch am Himmel steht. Es ist viel vom Universum die Rede bei dieser vierten Baldhamer Kirchennacht, die dem Thema "Lichtspuren" gewidmet ist, einer die Sinne verzaubernden Collage aus Wort, Bild, Klang und Begegnung.

Im Mittelpunkt des Abends steht "Mein kleines Universum" des Vaterstettener Grafikers Ludwig Gruber, ein aus 15 Platten bestehender, handcolorierter Holzschnitt. Nach dem Gottesdienst zum Kirchweihfest wird er enthüllt - unendlich viel kleiner als das Universum zwar, aber mit dreieinhalb auf mehr als zweieinhalb Metern Größe doch gigantisch. Obendrein gibt es in der Kirche mehrere Drucke von Gruber zu dem so berühmten wie tröstlichen Psalm vom guten Hirten zu sehen, um den es auch in der Kirchweih-Messe geht.

"Mein kleines Universum", handcolorierter Holzschnitt von Ludwig Gruber, Grafiker aus Vaterstetten

Im Mittelpunkt steht der Holzschnitt "Mein kleines Universum" von Ludwig Gruber.

(Foto: Veranstalter/oh)

Die Geschichte, wie Gruber sein Universum fand, geht so: Der Künstler, 83 Jahre alt, erlebt seinen persönlichen Urknall vor drei Jahren im Konzert. Gespielt wird Peter Tschaikowskys Stück "Schneeflöckchen". Doch statt eines fröhlichen Tanzes der Eiskristalle, wie es der Titel suggeriert, tobte ein Schneesturm, ein Frühlingserwachen, das einer Explosion glich, berichtet Gruber. "Das Konzert hatte schlimme Folgen", habe er danach zu seiner Frau gesagt, der Malerin Maria Wagner, die an diesem Abend im Baldhamer Pfarrzentrum einige Gemälde ausstellt - zum Beispiel zwölf Quadrate aus der Serie "Mein kleiner Kosmos", der mit seinen Motiven, ausschnittartigen Landschaften, Bäumen und Pflanzen, fest auf der Erde wurzelt.

"Ich sah das Universum", sagt Gruber. Und konnte nicht anders, als Sterne, Planeten und Monde, Geigen und wirbelnde Galaxien, Sternschnuppen und freie kosmische Gebilde ins Holz zu schneiden. Dazu die hebräischen Buchstaben für Alpha und Omega, Wellen und allerlei Teilchen, entstanden aus der Kernfusion seiner Fantasie mit astronomischem Wissen. Über das kosmische Klein-Klein in Schwarz und Weiß zieht sich eine Planetenbahn, darüber steht ein großer, etwas unförmiger Kreis. Eine Sonne? Am unteren Rand sind die Silhouette eines Gebirges und ein Kreis erkennbar. Ein Raumschiff? Ein Artefakt? Gruber lächelt. Er sieht sich als Werkzeug, wusste nicht recht, wie ihm geschah, als er an dem Bild arbeitete und all die fliegenden schwirrenden Gebilde schuf.

Ein Abend voller Sternenstaub: Beatrice Menz-Hermann und Miroslav Dimitrov musizieren.

Beatrice Menz-Hermann und Miroslav Dimitrov musizieren.

(Foto: Christian Endt)

Beflügelt wurde Grubers künstlerisch-philosophische Reise ins All noch von einem anderen Zufallsereignis: Kurz nach dem visionären Konzert bekam der Grafiker aus Vaterstetten ein Buch geschenkt: "Eine Hand voll Sternenstaub" von Lorenz Marti, einem Schweizer Autor. Gemeint sind damit wir Menschen, die wir aus denselben Materieteilchen bestehen wie der ganze Kosmos von Anbeginn. "Das Buch wirkte auf mich so, als habe da jemand parallel gearbeitet, nur eben mit Worten", sagt Gruber. Daraufhin habe er sich entschlossen, beides zusammenzuführen und mit Klängen anzufüllen.

Die Klänge kreieren an diesem Abend in der Baldhamer Pfarrei Vaterstettens Kirchenmusikerin und Chorleiterin Beatrice Menz-Hermann an der Orgel und der Querflötist Miroslav Dimitrov. Jeweils passend zu den Buchtexten herrscht in der Kirche mal Dunkelheit, so wie im All, mal wird Grubers Universum von blauem Licht angestrahlt.

Menz-Hermann und Dimitrov geben den Kapiteln der Lesung musikalische Gestalt. Etwa der Lichtgeschwindigkeit (in einer Sekunde acht Mal um den Erdball), die beim Vivace aus Mozarts Symphonie Nummer 40 klangliche Impulse erfährt. Für das schier unfassbare Wunder, dass die allerkleinsten Materieteilchen das Allergrößte hervorbringen, ist Edward Elgars Marsch "Pomp and Circumstances" angemessen. Und trotz der ungewöhnlichen Instrumentierung erzeugen die beiden Musiker orchestralen, majestätischen Glanz, Dimitrov mit sattem, berührendem Ton, Menz mit ihrem kraftvollen, virtuosen Orgelspiel. Mit ihrer Improvisation "Galaxien" verblüfft sie die Zuhörer: Aus anschwellendem Rauschen wird eine choralartige Tonfolge geboren, die am Ende in die Unendlichkeit entschwebt, verhaucht. Gefragt, wie solch ein Ersterben der Musik auf der Orgel möglich sei, sagt die kreative Musikerin lächelnd: "Ich habe nur den Motor ausgeschaltet."

Ein Abend voller Sternenstaub: Maria Wagner zeigt Gemälde.

Maria Wagner zeigt Gemälde.

(Foto: Christian Endt)

Astronomische Messungen haben ergeben, dass die Planeten und Sterne "singen", dass die ganze Welt Klang ist. Marti schreibt: "Kann es sein, dass wir Menschen deshalb so empfänglich sind für Musik? Weil sie uns einstimmt in das große kosmische Konzert? Weil sie die Seele berührt und uns verbindet mit der Schwingung, die alles Seiende durchpulst?" Und weil wir alle aus Sternenstaub gemacht sind? Dieser tröstliche, das ganze Gewese ums Ich beruhigende Gedanke gipfelt mit Menz-Hermann und Dimitrov in der "Carmen-Fantasie" des Franzosen François Borne - und im abschließenden Programm "Hörspuren" aus Spirituals, Bach-Stücken und Jazz: Organistin Marion Kaßberger, Gitarrist Winfried Kraus, Oboist und Flötist Roger Jannotta und Lori Lorenzen, Gitarre, führen denn auch die Zuhörer nach einem opulenten Buffet zurück auf die Erde, diesem kostbaren Krümel im Blau, von dem aus wir in die Sterne schauen, deren Kinder wir sind. Und die in uns auf ewig die Sehnsucht wecken, alles zu verstehen.

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