Ehemaliges Bahnschwellenwerk:Gift im Kirchseeoner Boden

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Um 1870 herum werden in Kirchseeon Bahnschwellen für die Strecke von München nach Rosenheim mit Quecksilberdichlorid-Lösung imprägniert. Die Reste werden einfach weggekippt. Tonnenweise sickert das Gift ins Erdreich, das Grundwasser ist zum Teil über Hunderte von Jahren kontaminiert und muss gereinigt werden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor 150 Jahren sickerte dort Tonnenweise Gift ins Erdreich - mit Auswirkungen bis heute. Ein Chemiker empfiehlt nun, Teile des Gemeindebodens zu sanieren.

Von Franziska Langhammer, Kirchseeon

Das Beste, was man momentan tun kann, ist: nichts. Ruhen und vor allem Zeit vergehen lassen. Zu diesem Schluss kommt Anton Lerf, der sich mit dem Gelände des ehemaligen Bahnschwellenwerks Kirchseeon und seinen Folgelasten beschäftigt hat. Über ein Jahr lang recherchierte der in Kirchseeon lebende promovierte Chemiker; irgendwann, so sagt er selbst, habe er "Lunte gerochen" und sich immer weiter in die komplexe Materie vertieft.

Seine Ergebnisse präsentierte er bei einem Vortrag im Heimatkunde-Museum vor zahlreichen interessierten Zuhörern. Entwarnung bezüglich der Kontamination des Bodens mit Schwermetallen kann er nicht geben, aber ein bisschen Hoffnung: Westlich des Wasserturms könnte es sich unter Umständen lohnen, den Boden genauer unter die Lupe zu nehmen. Mehr als dieses vorsichtige Urteil jedoch wagt Lerf nach der ernüchternden Analyse der toxischen Stoffe, die Boden und Grundwasser schwer belasten, nicht zu geben.

Die Geschichte des Bahnschwellenwerks beginnt am 13. Mai 1868 mit dem Beschluss, München und Rosenheim mit einer Bahnlinie zu verbinden, Zwischenstation: Grafing. Die Schwellen dazu sollen in einem eigenen Werk hergestellt werden, östlich von Eglharting. Bereits 1869 geht es in Betrieb, und damit beginnt, womit sich die Kirchseeoner heute noch auseinander setzen müssen: die Imprägnierung der Hölzer für den Bahnstreckenbau.

Der Kirchseeoner Chemiker Anton Lerf bei seinem Vortrag. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Damals, so der Chemiker Lerf, gibt es dafür schon verschiedenste chemische Verfahren, das einfachste ist die Tauchimprägnierung in einer wässrigen Quecksilberdichlorid-Lösung; ab 1875 werden in Kirchseeon vor allem Teeröle dafür verwendet. Die Giftigkeit von Quecksilber ist zu diesem Zeitpunkt schon bekannt, über die der Teeröle - eigentlich ein Abfallprodukt der chemischen Industrie - jedoch weiß man noch kaum etwas.

Das Interesse von heute gipfelt in der Frage: Was wurde mit den verbrauchten Imprägnier-Mischungen gemacht? Lerf gibt an, bei seiner Recherche hierzu nichts Explizites gefunden zu haben; und so liegt die Befürchtung nahe, dass dieses Problem in Kirchseeon so beseitigt wurde, wie es die Industrie überall auf der Welt damals gemacht hat: Die hochgiftigen Lösungen wurden schlichtweg in den Untergrund geschüttet.

Wohin mit kontaminierter Erde?

Dem historischen Abriss über die Geschichte des Bahnschwellenwerks folgt eine Analyse des Bodens, die mit einer guten Nachricht beginnt: Die Luft oberhalb der Geländeoberkante, also über dem Boden, so Lerf, sei schadstofffrei. Auch im Oberboden finden sich wenig Arsen, wenig Kupfer, keine organischen Chlorverbindungen. Aber: Eine nennenswerte Konzentration von Quecksilber, Zink und PAK - den polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, die im Verdacht stehen, krebsfördernd zu sein - ist nachgewiesen.

Unterscheiden müsse man dabei den Ost- und den Westteil des Geländes, deren Trennlinie in etwa beim Wasserturm zu verorten sei, so Lerf. Östlich des Turms ist das Gelände sehr viel mehr kontaminiert; der Anteil von Quecksilber und Zink dort liegt fast überall deutlich über dem Grenzwert. Quecksilber und die PAK haben sich verlagert und sind im Grundwasser angekommen; eine Befürchtung, die durch Gutachten aus den 1990er Jahren bereits bestätigt wurde.

Was heißt das für die Sanierung des Geländes? Durch die Luft besteht keine Gefahr auf dem Areal, das sich in den vergangenen Jahren zu einem grünenden Biotop entwickelt hat. Im Westteil könnte sich der Aufwand einer Sanierung möglicherweise in Grenzen halten, sagt Lerf. Dringlich bleibe hingegen die Sanierung des Grundwassers, die bereits seit 2005 stattfindet. Dabei konnten in den vergangenen zehn Jahren allein fünf Tonnen Teeröl durch die Anlage entfernt werden, sowie zusätzlich zehn Tonnen Teeröl, das sich dank der Mechanik der Förderbrunnen großflächig zusammen gepfropft hatte und sich so einfacher aus der Erde bergen ließ.

Das Interesse an einer Nutzung der zentral gelegenen Fläche ist groß. So stellt ein Bürger die Frage, ob es denn nicht möglich sei, zumindest auf dem Westteil zu bauen - dann eben ohne Keller. Lerf will sich nicht festlegen, er bleibt bei seiner Aussage: "Am besten sollte man das Gelände die nächsten zehn, zwanzig Jahre weiter ruhen lassen."

Was in Kirchseeon letztlich offen bleibt, ist die Frage: Wohin denn im Falle einer Sanierung mit der kontaminierten Erde? Lerf zumindest ist froh, das nicht beantworten zu müssen: "Wenn ich in diese Verantwortung für den östlichen Teil käme, ich würde keinen Schlaf mehr finden."

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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