Süddeutsche Zeitung

Unterbringung von Asylbewerbern:Von wegen Haus mit Pool

Das Landratsamt Ebersberg hat neun Asylbewerber in einer regelrechten Bruchbude untergebracht. Die Bewohner und eine Helferin berichten von menschenunwürdigen Zuständen - Besuch in einem Haus mit angrenzender Kloake.

Von Korbinian Eisenberger, Eglharting/Kirchseeon

Die wenigsten Asylbewerber-Unterkünfte haben einen Swimming-Pool, so gesehen hätte es dieses Haus zum Luxus-Wohnheim bringen können. Gekommen ist es anders: Der Pool ist als solcher kaum mehr zu erkennen. Die Brühe hinter dem Drahtzaun gleicht einem umgekippten See, der zur Kloake geworden ist. Der Pool gehört zu einem unbewohnten Nachbargrundstück und ist zur Brutstätte für Stechmücken und Schlangen geworden. Wegen der Tiere saßen sie diesen Sommer über kaum draußen, erzählt einer, der hier wohnt. Doch das ist noch sein geringstes Problem.

In Eglharting bei Kirchseeon leben neun Asylbewerber aus Nigeria unter einem Dach. Das Haus steht zwischen gepflegten Vorgärten, von der Straße sieht es aus wie jedes andere. Hinter den Mauern offenbart sich jedoch ein Bild, das so gar nicht in die Idylle passt: Die Männer wohnen auf engem Raum, an den Wänden und am Boden hat sich Schimmel breitgemacht, Putz blättert ab, die Küchenmöbel sind Sperrmüllware. Bis zu 14 Menschen hat das Landratsamt Ebersberg hier zeitweise untergebracht. In einem Haus mit vier Herdplatten, zwei WCs, einer Dusche und einer benachbarten Kloake.

Ein menschenunwürdiger Zustand, dieser Ansicht ist zumindest Marlies Froneberg aus Grafing. Die 74-Jährige betreut die Bewohner in der Eglhartinger Unterkunft seit einigen Jahren ehrenamtlich. "Wiederholte Reklamation von Mängeln bei der zuständigen Behörde werden zum Teil nicht oder nur sehr schleppend behoben", schreibt sie in einer Stellungnahme. Fast alle Bewohner sind ganztägig berufstätig, verlassen das Haus früh am Morgen und kommen zwischen 18 und 20 Uhr zurück. Bei nur einer Dusche und zwei WCs komme es so immer wieder zu Problemen, ähnlich wie bei den Herdplatten. Froneberg ist daran gelegen, dass sich die Wohnsituation der Männer verbessert. Deswegen wendet sie sich nun an die Zeitung.

Nachfrage beim Landratsamt in Ebersberg. Von dort ist am Montag zu erfahren, dass für das Haus in diesem Jahr "lediglich vier Schadensmeldungen" eingegangen seien, "diese wurden umgehend bearbeitet und behoben. Manchmal sind wir auf Fachfirmen angewiesen und die Behebung dauert dann etwas länger". Wegen der Mücken sei die Behörde mit einer Fachfirma in Kontakt und setze zur Bekämpfung "ein zugelassenes Mittel" ein. Auf die Meldung über die Schlangen hätten Recherchen ergeben, "dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Ringelnattern handelt". Die Bewohner seien informiert worden, dass die hiesigen Schlangen anders als die afrikanischen ungefährlich sind.

Schimmel an den Wänden, der Putz bröckelt ab - eine Dusche für neun Männer

An diesem Sommertag ist es fast kühl, im Haus fühlt es sich dennoch stickig heiß an. Im Erdgeschoss wohnen drei Männer in einem Zimmer beisammen. Metallspinde dienen ihnen als Trennwände. Einer von ihnen führt in seinen Wohnraum, ein Bett, ein Schrank und ein Kühlschrank, der Fußboden ist verstellt. Der Mann, der hier wohnt, stammt aus Nigeria und wird bald 50 Jahre alt. Er erzählt von seiner Dankbarkeit, dass man ihn in Deutschland aufgenommen hat. "But this is Wahnsinn", sagt er und zeigt auf eine feuchte Stelle an der Decke: "Oben drüber ist das Badezimmer."

Seinen Namen will er wie alle anderen hier nicht in der Zeitung lesen, zu viel steht auf dem Spiel. Mit seiner Aufenthaltsgenehmigung darf er arbeiten - im Kreis Ebersberg hat er eine Anstellung als Automechaniker gefunden, gerade ist er in blauer Latzhose von seiner Schicht gekommen. An der Wand hat er ein Poster hängen, "Toyota, nichts ist unmöglich" steht drauf. Als er 2014 in dieses Zimmer zog, sagt er, "da habe ich diesen Satz noch geglaubt".

Das Problem bei fast allen, die hier wohnen: Sie würden gerne eine neue Bleibe suchen, sind aber verpflichtet, in der Unterkunft zu wohnen - da sie zwar eine Duldung, aber kein dauerhaftes Bleiberecht besitzen. Im Artikel vier des bayerischen Aufnahmegesetzes ist zwar geregelt, dass auf Antrag ein Auszug möglich ist. "Praktisch kommt das jedoch so gut wie nie vor", teilt der Bayerischen Flüchtlingsrat mit. Das Landratsamt erklärt: "Eine private Wohnsitznahme ist nur in Ausnahmefällen und bei einer vorliegenden staatlichen Genehmigung (z.B., wenn Lebensunterhalt durch eigene Erwerbseinkommen ausreichend gesichert ist) möglich." Die bürokratischen Hürden sind also hoch.

Bezahlen müssen die Bewohner die Unterkunft in aller Regel selbst, wenn sie eine feste Arbeit haben wie fast alle hier in Eglharting. Helferin Froneberg hat Schreiben gesammelt, die an ihre Schützlinge gingen. In einem Brief der Zentralen Gebührenabrechnungsstelle für Asylbewerber (zGast), datiert auf Anfang Juli 2019 heißt es: "Sobald neue Gebührensätze feststehen, beginnt die zGast wieder mit der Berechnung von Erstattungskosten und Gebühren (evtl. auch rückwirkend)."

"Ich fühle mich wie gefangen"

In Bayern sind die Landkreise oft auf die Kommunen oder Privatpersonen angewiesen, und so kommen Wohnformen wie die in Eglharting zustande. Teil der bayerischen Abschreckungsstrategie? Öffentliche Kritik an der Flüchtlingspolitik der Staatsregierung gab es zuletzt meist wegen der Einführung der sogenannten Ankerzentren, eine Art Massenlager zur Erstaufnahme. Weniger im Fokus stehen die Hunderte kleineren Asylunterkünfte.

Der Bayerische Flüchtlingsrat erklärt hierzu, dass "generell viele Unterkünfte in Bayern in einem schlechten Zustand" seien, mehrere Beispiele sind dem Flüchtlingsrat bekannt. Es mangle an Hygiene, die Gebäude seien baulich ungeeignet, oft zu dicht belegt und in isolierter Lage, so eine Sprecherin. Die schlechteren Unterkünfte würden vor allem mit Menschen aus Herkunftsländern belegt, denen eine geringe Bleibeperspektive attestiert wird, so die Sprecherin, "also vorwiegend Menschen aus Afrika".

Im Haus am Pool hat ein 30 Jahre alter Mann einen Ventilator neben dem Bett stehen. Er erzählt von regelrechten Hetzjagden, die ihn von Nigeria nach Libyen führte. Von der Überfahrt im Schlauchboot, und von vier Leuten, die während der Reise ums Leben kamen. Jetzt lebt er in der Gemeinde Kirchseeon, arbeitet als Landschaftsgärtner und stellt alle sechs Monate einen Antrag zur Verlängerung seiner Duldung. Die Fluchtgeschichten der Menschen sind Erzählungen und nicht prüfbar. Vielleicht aber hält das Leben in einer Bruchbude mit handtellergroßen Löchern im Putz besser aus, wer eine Schlauchbootfahrt über das Mittelmeer überlebt hat.

Der Pool ist allenfalls noch für Mutproben geeignet. Warum nicht einfach auspumpen? "Der Swimmingpool gehört zum Nachbargrundstück und ist somit nicht in unserer Verantwortung", heißt es vom Landratsamt. Die Behörde hat Haus und Grund von einer Privatperson angemietet, das Nachbar-Grundstück hinter dem Zaun ist unbewohnt und leer - mit Ausnahme des Pools, wo allerlei Getier haust.

Zurück im Haus, wo gerade ein Mitbewohner zur Tür hereinkommt. Der 40-Jährige öffnet eine Lade und zieht seine Ausweisdokumente hervor. "Erwerbstätigkeit nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet", steht da. Seit mehr als vier Jahren wohne er zwar hier, darf aber nicht arbeiten. "Ich fühle mich wie gefangen", sagt er. Mit seinem Status darf man in Bayern den jeweiligen Landkreis nicht verlassen. Seit er im Freistaat angekommen ist, sagt er, habe er noch kein anderes europäisches Land besucht und kein Meer gesehen. Dafür den Pool hinter dem Zaun.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2019/koei
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