Süddeutsche Zeitung

Ebersberger zu Gefängnisstrafe verurteilt:Vertane Chancen

Ein junger Mann prügelt, betrügt, dealt und zerstört - aber er macht seinen Schulabschluss und eine Ausbildung. Das reicht dem Ebersberger Amtsgericht jetzt nicht mehr aus. Der Serientäter muss in Haft

Karin Kampwerth

Ein Jahr und sechs Monate muss Johannes E. (Name von der Redaktion geändert) ins Gefängnis. Am Dienstagnachmittag wurde der 20-Jährige verurteilt, weil es das Ebersberger Amtsgericht als erwiesen ansah, dass er im April 2012 auf einem Parkplatz in Straußdorf 22 Gramm Haschisch an zwei andere junge Männer verkauft hat. Nur drei Wochen später wurde er erwischt, wie er ohne Führerschein betrunken Moped fuhr und außerdem 0,4 Gramm Haschisch bei sich hatte. Dass Richterin Susanne Strubl und zwei Jugendschöffen die Strafe nicht zur Bewährung aussetzten, obwohl Johannes E. zumindest die beiden letzten Vergehen eingeräumt hat und kurz vor Beendigung seiner Ausbildung als Elektroniker steht, liegt an seinem langen Vorstrafenregister.

Darin aufgeführt sind diverse Drogen- und Betrugsdelikte, unerlaubter Waffenbesitz und Sachbeschädigung. Aber auch Gewaltexzesse von solcher Brutalität, dass bei deren Verlesung die Mienen der Schöffen vor Entsetzen wie eingefroren wirken und der Vertreter des Jugendamtes wie auch der Anwalt von Johannes E. betreten zu Boden blicken. Die Frage, die sie sich im Verlauf der Verhandlung stellen mussten: Wie gut kann man es mit einem offenbar uneinsichtigen Serientäter noch meinen?

Rechtsanwalt Gerhard Erdmann beugt sich zu seinem jungen Klienten auf der Anklagebank hinüber, um ihm auf die Schulter zu tippen. Johannes E. versteht den Hinweis, spannt einmal kurz durch und setzt sich aufrecht in den giftgrün gepolsterten Stuhl - um dann mit dem Oberkörper doch wieder nach vorne zu kippen und halb auf dem Tisch liegend Richterin Strubl bei der Verlesung seiner Vorstrafen aus dem Zentralregister zuzuhören. Resignation oder respektloses Gelümmel, das bleibt in diesem Moment offen - und auch unwichtig angesichts dessen, was Strubl im Juristenschnellsprech ohne den Hauch einer Betonung vorträgt. Der wohl brutalste Ausbruch von E.'s krimineller Karriere passierte vor zwei Jahren am Grafinger S-Bahnhof.

Dort trifft Johannes E. auf drei Jugendliche, die auf die S-Bahn warten. Ohne ersichtlichen Grund pöbelt E. die jungen Männer an und schlägt den einen unvermittelt ins Gesicht, weil dieser "blöd geschaut" hätte. Dann rempelt und schubst E. sein Opfer und stößt es auf die Gleise. Für den damals noch 17-jährigen Angeklagten kein Grund, von dem Jugendlichen abzulassen. Er springt hinterher, schlägt weiter auf den benommen am Boden liegenden jungen Mann ein und traktiert dessen Kopf "wie einen Fußball". Die beiden Freunde des Opfers, das ein Schädel-Hirn-Trauma und schwere Prellungen an der Wirbelsäule erleidet, schaffen es schließlich, dass E. von ihm ablässt. Gemeinsam gelingt ihnen die Flucht. Daraufhin geht E. auf eine weitere Gruppe mit fünf Jugendlichen los. Einem kickt er mit dem Fuß ins Gesicht und bricht ihm dabei die Nase. E. droht, jeden aus der Gruppe umzubringen, der vor der Polizei gegen ihn aussagt. "Sie nahmen dies ernst", verliest Strubl. Um seine Drohung zu unterstreichen, schlägt E. einem anderen auf die Wange und auf den Hinterkopf. Der Lokführer einer einfahrenden S-Bahn verständigt schließlich die Polizei und stellt sich schützend vor die Jugendlichen, bis E. verhaftet wird. Trotz Verurteilung zu einer zehnmonatigen Jugendstrafe, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird, steht E. ein knappes Jahr später wieder vor Gericht. Diesmal, weil er seine Ex-Freundin geschlagen und an den Haaren gezogen hat, um diese aus seiner Wohnung zu werfen. Kurz darauf wird er wieder festgenommen, nachdem er in der Tiefgarage des Ebersberger Landratsamtes die Deckenbeleuchtung in einem Anfall von Zerstörungswut herunterreißt. Die Strafe diesmal: 15 Monate auf Bewährung.

Das Gericht erfährt aber auch, dass sich die Eltern von E., der in Berlin geboren wurde, schon vor seiner Geburt getrennt haben. Seine Mutter zieht in den Landkreis Ebersberg, wo E. mit seiner Halbschwester aufwächst. Vor vier Jahren entscheidet sich die Mutter, wieder nach Berlin zurückzugehen. "Sie hat sich einfach aus dem Staub gemacht, man muss das so sagen", sagt der Mitarbeiter des Ebersberger Jugendamtes, der E. seitdem betreut. Der damals 16-Jährige habe ohne alles dagestanden, aber mit dem Willen, einen Schulabschluss zu machen. Er besuchte die neunte Klasse der freien Schule Glonntal, der er zweimal zeitlich begrenzt verwiesen wurde, bevor er ganz rausflog. Den Quali, den er auf der anschließend besuchten Hauptschule versucht habe, hätte E. aufgrund zu vieler Fehlzeiten nicht bekommen, berichtet der Jugendamtsmitarbeiter weiter. Er hätte ihn aber nachgeholt und dann auch einen Ausbildungsplatz gefunden. Sein Chef sei wohl der einzige, der zufrieden mit ihm ist. Anwalt Ehrmann plädiert deshalb auch darauf, dem 20-Jährigen eine dritte Chance zu ermöglichen und eine weitere Strafe nochmals zur Bewährung auszusetzen - während der Staatsanwalt das Bild eines brutalen Schlägers zeichnet, der in der Drogenszene verkehrt und sich nicht an Bewährungsauflagen hält. Tatsächlich hat E. weder die Sozialstunden abgeleistet, zu denen er verurteilt wurde, noch an einem Antiaggressionstraining teilgenommen noch sich an Verabredungen mit seiner Bewährungshelferin gehalten. Nach Auffassung des Gerichtes hat er darüber hinaus einen 19-jährigen Zeugen, an den er im April des vergangenen Jahres in Straußdorf zwei von insgesamt 22 Gramm Haschisch verkauft haben soll, so eingeschüchtert und bedroht, dass dieser zunächst vier Wochen später bei der Polizei und dann am Dienstag vor Gericht seine Aussage gegen E. widerruft. Der Polizeibeamte, der den 19-Jährigen seinerzeit mit einem Freund bei einer Fahrzeugkontrolle aufgehalten und das Haschisch entdeckt hatte, sagt aus, dass die Mutter des Zeugen von verstörenden Schweigeanrufen berichtet hätte und ihr Sohn von seinem ganzen Freundeskreis geschnitten werde.

Richterin Strubl begründete das Urteil damit, dass sich E. als Bewährungsversager mit schädlichen Neigungen erwiesen habe. Natürlich gebe es Besseres, als mit 16 von seiner Mutter im Stich gelassen zu werden. "Aber Sie haben Ihre Chancen gehabt", sagte Strubl. Die Ausbildung habe nicht geholfen, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. E. hat nun eine Woche Zeit, das Urteil anzufechten. Dann müsste das Landgericht München über die Zukunft des jungen Mannes entscheiden.

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Quelle:
SZ vom 21.02.2013
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