Ebersberger SüdumgehungDie Zeit des Protests ist vorbei

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Nach vier Jahren steht ein umstrittenes Projekt kurz vor der Vollendung: Die Ebersberger Südumgehung soll im Oktober eröffnet werden - eine Besichtigung der Baustelle.

Martin Mühlfenzl

Es ist ein kurzer, unterkühlter Gruß, ein kaum merkliches Nicken. Eine Geste der Wahrung der nötigen Distanz. Doch Sepp Kendlinger und Frank Ruckdäschel kennen sich seit Jahren, schließlich standen sie sich an vorderster Front in einem Konflikt gegenüber, der die Kreisstadt Ebersberg emotional zu spalten drohte: Dem Kampf um die Südumgehung, die kurz vor ihrer Fertigstellung steht.

Meterhohe Betonwände schirmen die Bebauung von der Straße ab - wie beispielsweise im Ortsteil Gsprait. Frank Ruckdäschel vom Straßenbauamt sagt, auch die Bewahrung der Natur habe "oberste Priorität" gehabt.
Meterhohe Betonwände schirmen die Bebauung von der Straße ab - wie beispielsweise im Ortsteil Gsprait. Frank Ruckdäschel vom Straßenbauamt sagt, auch die Bewahrung der Natur habe "oberste Priorität" gehabt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Während der Wieshamer Landwirt Sepp Kendlinger auf seinem Hof mit ernstem Blick die Hand zum Gruß erhebt, winkt und lächelt Frank Ruckdäschel am Steuer seines Dienstwagens. "Der Herr Kendlinger. Das ist schon einer", sagt der Bereichsleiter der Sraßenbauamtes Rosenheim und lacht. "Damals, beim feierlichen Spatenstich, haben wir ihn nur knapp davon abhalten können, vor dem Podium für die Ehrengäste mehrere tausend Liter Gülle auslaufen zu lassen."

Damals. Das war vor mehr als vier Jahren, als der lautstarke Protest gegen die Ost-West-Trasse, den Kendlinger mit anführte, noch einmal kurz aufflammte, um kurz darauf für immer zu verstummen. Vier Jahre später steht das umstrittene Projekt kurz vor der Vollendung: Ab dem 22. Oktober 2010, erläutert Frank Ruckdäschel, werden pro Tag um die 20.000 Fahrzeuge im Norden von Kendlingers Anwesen die neue Bundesstraße 304 befahren.

Diese neue Straße ist auch sein Projekt. "Eine wichtige Achse. Das sehe ich auch ganz persönlich so", sagt Ruckdäschel, während er auf der Brücke des Wirtschaftsweges steht, der für die Wieshamer Landwirte als Verbindungsstraße zu ihren Feldern im Norden gedacht ist. "Die Menschen - auf die kommt es an", sagt Ruckdäschel und blickt in Richtung Kreisstadt. "Das muss doch unser Ziel sein: den Verkehr von den Städten und von den Menschen fernzuhalten."

Mit ein wenig Stolz blickt der Straßenbauer auf die riesigen Asphaltfertiger, die unter der Bahnunterführung den neuen Belag aufbringen. Diese Stelle hat Ruckdäschel und seinen Mitarbeitern viele Überstunden in den Büros in Rosenheim beschert. Das Grundwasser überragt die Straße hier gleich um mehrere Meter und drohte die Bauarbeiten übermäßig zu verzögern. "Ein absoluter Knackpunkt", erläutert Ruckdäschel und zeigt auf zwei riesige, steinerne Becken, die neben der Straße in den Boden eingelassen sind. "Und dort liegt ein Teil der Lösung."

Die neue Straße ist auch sein Projekt: Frank Ruckdäschel vom Straßenbauamt.
Die neue Straße ist auch sein Projekt: Frank Ruckdäschel vom Straßenbauamt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Bundesstraße selbst liegt einem Boot gleich im Wasser - schwimmt gewissermaßen auf dem Grundwasser. Bei starken Regenfällen wird das Wasser zudem abgepumpt und in den Becken aufgefangen. "Wir mussten nach kreativen Lösungen suchen. Jeder Straßenbau ist auf seine ganz eigene Art besonders", erläutert Ruckdäschel.

Doch noch ist die Umgehung nicht komplett befahrbar. Der erste Streckenabschnitt ab Reitgesing bis zur Abzweigung nach Grafing ist zwar längst fertig, doch auf den restlichen 4,5 Kilometern herrscht noch intensiver Baubetrieb. Der Weg auf den östlichen Teil der Umfahrung führt daher noch durch Ebersberg - über die Kapser Allee, die künftig für den Durchgangsverkehr gesperrt wird, hinab nach Langwied und über die Baustellenzufahrt auf die künftige Bundesstraße.

Es ist die Einfahrt in eine Landschaft, die den Streit über die Umgehung herauf beschworen hat: das Laufinger Moos. Für alle Gegner der Umgehung ein ökologisches Paradies, das grüne Herz im Osten der Kreisstadt, das es um jeden Preis zu erhalten galt. "Auch für uns hatte die Bewahrung der Natur immer oberste Priorität", sagt Ruckdäschel, stoppt seinen Dienstwagen am Rand der Bahnbrücke und lässt seinen Blick über das Moos schweifen: "Sehen sie. Hier blüht es, wie nie zuvor." Renaturierung heißt für den Mitarbeiter des Straßenbauamtes das Zauberwort: "Und die Bepflanzung geht im Oktober intensiv weiter. Das hier soll ein wichtiger Naturraum bleiben."

Der Bau der Umgehung durch das Laufinger Moos hat die Planer indes vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Ganz so, als wolle sich die Natur noch einmal gegen den Bau einer Straße wehren - oder sich für den Entschluss des Ministerrates rächen. Fünf bis sechs Meter dick ist die Schicht aus Torf, über 80 Prozent Wasser kennzeichnet die Bodenbeschaffenheit. Rund zwei Drittel der Feststoffe sind organischer Natur und somit entflammbar.

"Das waren natürlich nicht die besten Bedingungen für eine Straße. Aber wir haben gute Lösungen gefunden", sagt Ruckdäschel stolz. Früher, so der Bereichsleiter, seien Flächen dieser Art einfach gesprengt, also mit Dynamit dem Erdboden gleich gemacht worden. "Aber das geht heute selbstverständlich nicht mehr", erklärt Ruckdäschel und muss bei dem Erklärungsversuch selbst lachen. Mit einem Griff an die eigene Jacke erklärt Ruckdäschel, welche Materialien heute Straßen tragen: "Fleece." Auf ein Viertel des Gewichtes normaler Straßen haben die Verantwortlichen die Belastung der Südumgehung reduziert: getragen von Kunststoffgittern, Fleeceschichten und modernem Blähbeton.

Unterhalb der Wohnhäuser der Laufinger Allee - einem Zentrum des Widerstandes gegen die Umgehung - türmen sich meterhoch die Lärmschutzwände. "Ein Muss", wie Ruckdäschel sagt. Für manchen Anwohner könnten die Erklärungsversuche aber wie der blanke Hohn klinken, schließlich haben sich die meisten Hausbesitzer doch nur Ruhe ohne eine Straße gewünscht: "Alle Anwohner haben ein Recht auf Lärmschutz." Auch jene im Ortsteil Gsprait. Auch dort ragen die weißen Wände am Straßenrand in die Höhe und verwehren den Blick auf die malerisch am See gelegene griechische Gaststätte. "Das gehört bei Straßen einfach dazu", sagt Ruckdäschel mit Blick auf die Betonmauern. "Der Mensch geht schließlich vor."

Mit diesem Argument haben die Verfechter seit den 1960er Jahren für eine Umgehung gekämpft. Tief gespalten hat sich die Kreisstadt in dieser Frage Jahrzehnte lang präsentiert. All diese Diskussionen enden nun am 22. Oktober mit der feierlichen Eröffnung der B 304. Sepp Kendlinger wird dann wohl wieder Gülle ausfahren - über die neue Brücke seines Wirtschaftsweges auf die Felder. Die Zeiten des Protests sind auch für

ihn vorbei.

© SZ vom 31.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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