Kurz nach Beginn meines Frühdiensts stellten unsere Internisten bei ihrer Übergabe fest: Erwin funktioniert nicht. So nennen wir den rollbaren Computer mit Bildschirm, mit dem die Ärzte von Patient zu Patient fahren – Erwin sieht ein bisschen aus wie unsere portablen Monitore, an denen wir die Vitalwerte unserer Patienten ablesen. All unseren größeren Gerätschaften haben wir einen Namen gegeben. An diesem Morgen jedoch streikte Erwin schon beim Login-Versuch. Schnell stellten wir fest, dass auch an den übrigen Computern viele Systeme ihren Dienst verweigerten. War unsere Klinik gehackt worden?
Wir alle dachten sofort an das Krankenhaus Agatharied im Landkreis Miesbach, nicht weit weg von unserer Kreisklinik, das vor Kurzem Opfer eines Hackerangriffs geworden ist. Die gesamte IT-Infrastruktur lag dort brach. Für die Patientenversorgung hatte das zwar keine Auswirkungen – die Ärztinnen und Pfleger mussten nun eben mehr per Hand ausfüllen. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aus Spaß ein Krankenhaus hackt. In der Regel steckt hinter einem solchen Angriff entweder die Forderung nach Geld, oder es werden sensible Daten geklaut. Uns allen ist jedenfalls ganz schön mulmig geworden.
Doch es war Glück im Unglück: Wir waren wie viele andere auch von der bislang größten weltweiten IT-Panne, seitdem es das Internet gibt, betroffen. Auf einer Intensivstation, wo viele Gerätschaften, Technik und IT normal sind, ist die Frage schnell da: War das nicht gefährlich für unsere Patienten?
Nein. Denn lebenswichtige technische Apparaturen funktionieren für sich und sind nicht mit dem Internet verbunden. Außerdem gibt es für alle mögliche Szenarien Notfallpläne, die wir nur aus der Schublade ziehen müssen.
Und so waren es nur wenige Abläufe, bei denen wir nun anders vorgingen – das Motto war: Handarbeit. Die automatische Übertragung der Messwerte unseres Blutgasanalysegeräts funktionierte nicht, ebenso das Ausdrucken der Etiketten für unsere Perfusoren. Wenn für einen Patienten ein Laborbefund notwendig war, füllten wir die Formulare per Hand aus. Auch unsere Ärzte schrieben ihre Anweisungen an uns Pflegekräfte mit dem Stift. Die Essensbestellungen für die Patienten fragte unsere Sekretärin ab und gab sie an die Küche weiter – denn es ist nicht egal, wer was zu sich nimmt. Ich versorgte an dem Tag zum Beispiel zwei Menschen mit einer Schluckstörung, da ist es wichtig, dass die Mahlzeiten angedickt werden.
Die Auswirkungen der IT-Probleme hielten sich bei uns also in Grenzen. Was uns auch zugutekam: Wir haben als einzige Station im Haus noch keine elektronischen Patientenakten, weil die Umstellung bei uns recht komplex wäre – so müssten unter anderem alle Überwachungsmonitore mit in das System eingespeist werden. Viele Krankenhäuser fahren deshalb wie wir zweigleisig. Die Quintessenz: Ein weltweites IT-Chaos reicht nicht aus, um unseren Betrieb lahmzulegen.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.