Süddeutsche Zeitung

Windkraft im Ebersberger Forst:"Es ist ein drastischer Eingriff ins Ökosystem"

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Waldgutachter Rainer Kant spricht über die komplizierte Abwägung zwischen Klimaschutz und Naturschutz.

Interview Von Korbinian Eisenberger

Die Debatte über das Windradprojekt im Ebersberger Forst entzweit Menschen, die sich in ihrer Grundhaltung eigentlich ähneln: Ihnen liegt der Schutz der Natur am Herzen. Ähnlich geht es Rainer Kant, Waldgutachter, Referent und Forstwirt. Der 59-Jährige lebt und arbeitet in Hamburg und setzt sich seit Jahrzehnten für den Erhalt von Wäldern ein. Im Interview mit der SZ spricht er am Telefon über die Kernfrage, um die es beim Bürgerentscheid der Ebersberger Kreisbürger am 16. Mai geht: Wird es dem Ebersberger Forst auf Dauer besser gehen, wenn man einen Teil davon für Windräder opfert?

SZ: Herr Kant, Bäume für Windräder fällen - oder darauf verzichten. Wie schützt man einen Wald besser?

Rainer Kant: Ein Windrad in einen Wald zu bauen ist nicht automatisch Waldschutz - sondern Klimaschutz. Windräder in wertvolle und alte Laubmischwälder zu bauen, schadet diesem Waldökosystem eindeutig. Das ist mit dem Klimaschutzeffekt, der durch solche Anlagen entsteht, abzuwägen. Außerdem erzeugt der Wald selber Klimaschutz. Diesen Effekt kann man erhöhen, wenn die Förster die Anzahl der Bäume erhöhen oder die Stämme dicker werden lassen. Durch diesen natürlichen Weg der CO₂-Reduktion würden Windkraftanlagen quasi überflüssig, da der Wald selbst sein Klimaschutzpotenzial erhöht.

Die zunehmende Erwärmung schadet den Bäumen im Ebersberger Forst. Ist Klimaschutz nicht auch Waldschutz?

Natürlich. Der Druck, den Ausbau von erneuerbaren Energien forcieren zu müssen, steigt. Und um die Klimaziele zu erreichen, wird man um Windkraft im Wald nicht gänzlich rumkommen. Aber Wald ist nicht gleich Wald, man muss genau abwägen, ob man ein Gebiet dafür einschlägt.

Welche Kriterien müsste ein Areal erfüllen, um ein Windrad zu rechtfertigen?

Keine Gebiete des europäischen Natura-2000-Netzwerks, bestehend aus den EU-Vogelschutzgebieten und den Fauna-Flora-Habitat-Gebieten, keine Feuchtgebiete mit internationaler Bedeutung, Naturschutzgebiete, Nationalparks, Landschaftsschutzgebiete sowie Kernzonen und Pflegezonen von Biosphärenreservaten und Naturwaldreservate. In Frage kommen sollten eher Wälder, die intensiv forstwirtschaftlich genutzt werden, wie naturferne Nadelholz-Monokulturen.

Bei den ausgewählten Arealen im Ebersberger Forst handelt es sich um Wirtschaftswald mit hohem Nadelwaldanteil aber auch Laubwald. Es müssten fünf Quadrate zu jeweils 80 mal 90 Metern gefällt werden - was 0,02 Prozent der Gesamtfläche des Forsts entspricht. Wie sehr schadet so ein Eingriff einem Wald?

Das entspricht einem Kahlschlag. Eine Fläche, die in etwa drei Baumlängen entspricht, ist ein drastischer Eingriff in das Ökosystem. Eine Fläche dieser Größe könnte der Wald nach einiger Zeit alleine wieder schließen, aber in diesem Fall bleiben diese technischen Lücken dauerhaft. Diese permanent offenen Flächen, zerstören die Stabilität und den Kühleffekt des Waldes.

Befürworter des Projekts prophezeien, dass es ohne die Umstellung auf regenerative Energien bald keinen Wald mehr zu schützen geben wird. Wie sehen Sie das?

Teilweise stimmt das. Der Ausbau regenerativer Energien wird durch seinen Klimaschutzeffekt den Wäldern langfristig helfen können. Das betrifft aber nur die CO₂-Entlastung der Atmosphäre. Unsere Wälder sind aktuell vielfältigen weiteren Eingriffen ausgesetzt, etwa der Bewirtschaftung und den zunehmenden Hitzewellen und Dürreperioden. Deswegen ist es wichtig, die Wälder und ihr Kronendach möglichst dicht zu halten, damit zunehmende Hitze die Wälder nicht zusätzlich schädigen und schwächen kann. Ein intensiver Ausbau von Windkraftanlagen in Wäldern ist also kontraproduktiv, da Folgeschäden schon in der Gegenwart eintreten. Der positive Effekt der regenerativen Energien tritt erst zeitverzögert und in der Zukunft ein.

Im Landkreis Ebersberg wird auf Geheiß des Kreistages das Mittel der direkten Demokratie angewandt. Ist ihnen derartiges schon einmal untergekommen?

Im Zusammenhang mit Windkraft noch nicht. In den vergangenen zehn Jahren sind aber viele Wald-Bürgerinitiativen gegründet worden, die verhindern wollen, dass öffentliche Wälder übernutzt werden, Wälder starke Bodenschäden durch Harvester erleiden oder Schutzgebietsregelungen nicht beachtet werden.

Was halten Sie davon, die Ebersberger Kreisbürger entscheiden zu lassen?

Solche Bauprojekte betreffen auch die Leute. Sie werden damit unmittelbar leben müssen, dass technische Großanlagen ihren Wald entscheidend verändern. Ich finde es legitim und wichtig, dass sich die Bürger bei der Abwägung einbringen dürfen.

In Bayern ist die Errichtung von Windrädern anders als in den übrigen Bundesländern durch 10-H-Regelung eingeschränkt - die Abstandsregel zu Siedlungen. Wie will man die Energiewende im Freistaat sonst vorantreiben, wenn nicht im Wald?

Im dicht besiedelten Deutschland ist es grundsätzlich schwer, zusätzliche Flächen an Land für Windkraft auszuweisen. Mir erscheinen Optionen wie Photovoltaik auf Dachflächen privater, gewerblicher und öffentlicher Gebäude voranzutreiben oder die Geothermie zu forcieren als geeigneter.

Ohne Windkraft wird es für dieses Land kaum möglich sein, seine Klimaziele zu erreichen.

Je mehr monokulturartiger Wald, desto mehr Möglichkeiten sehe ich. Fast ein Viertel der bundesweiten Waldflächen liegt in Bayern. Die bewaldete Quote liegt hier bei 36,3 Prozent und damit knapp fünf Prozent über dem Bundesdurchschnitt. In Bundesländern mit wenig Wald sollten weniger Windräder gebaut werden als in Bundesländern mit viel Wald.

Könnte man das auch auf Landkreisebene runterbrechen?

Natürlich. Je waldärmer der Landkreis, desto weniger Windkraftanlagen in seinen Wäldern. Wobei entscheidend ist, dass die Waldgebiete von hoher Naturnähe ausgenommen sind.

Ein wiederkehrendes Argument von Projektgegnern ist die Befürchtung, dass die Rotoren Waldvögel schreddern. Teilen Sie diese Bedenken?

Die Gefahr ist real, es gibt diverse Vorkommnisse, wo Schreiadler, Fledermäuse oder Wespenbussarde von Windrädern geschreddert werden. Die Luft ist ihr Lebensraum. Das wird bei einem Windkraftprojekten in Wäldern nie zu vermeiden sein. Entscheidend für die Genehmigung ist immer die Frage: Ist das Gebiet Lebensraum oder Durchzugsgebiet von Rote-Liste-Tieren oder anderer schutzbedürftiger Arten?

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Quelle:
SZ vom 10.05.2021
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