Ebersberger Festival:Wie der Jazz zur Klassik wurde

Ron Carter spielt im Alten Speicher ein Konzert voller Verweise auf die Entstehungszeit des Genres. Am Ende begegnet er trotzdem dem ganz jungen Musiker-Nachwuchs.

Von Ralf Dombrowski, Ebersberg

Ebersberger Festival: Der Jazz-Musiker Ron Carter live im Alten Speicher.

Der Jazz-Musiker Ron Carter live im Alten Speicher.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Das Ende des Abends hätte jedem Kulturethnologen ein Schmunzeln entlockt. Denn da kam der Kontrabasslehrer Josef Ametsbichler samt seinem in Tracht gehülltem, mit 10 Jahren zweitjüngstem Schüler auf die Bühne, der Ron Carter in stackseligem Englisch für sein Konzert dankte und ein kurzes Ständchen spielte. Der Grandseigneur des Instruments nahm die Huldigung in aller Würde entgegen und bedankte sich solistisch mit einem "You Are My Sunshine", so wie in alten Zeiten ein Potentat sich wohlwollend vor dem Volk verneigt hätte.

Überhaupt dokumentierte das Konzert des Ron Carter Quartetts beim ersten Ebersberger Jazz-Festival in dem dafür perfekt passenden Alten Speicher eine faszinierende Umkehrung lange vorherrschender Wertungen. Gaben sich die Jazzer als Vertreter einer Gegenkultur zum gesellschaftlichen Mainstream in mythisch sinistren Spelunken ihren für Außenstehende obskuren Kulten der improvisatorischen Klanggestaltung hi, wofür sie vom Establishment derart gemieden wurden, dass sie sich oft nur zur Hintertür hineinschleichen durften, stehen Jazzer inzwischen als Lichtgestalten einer Ära der Gewissheit auf der Bühne, in der Musik noch so klang, wie man sie sich heute vorstellt.

Der 78-jährige Ron Carter jedenfalls hat die rassistischen Niederungen dieser Zeiten noch erlebt, war Teil des Aufbruch-Quintetts von Miles Davis, mit dem der Trompeter in den Sechzigern eben diese Vorurteile durch die Erforschung einer neuen, schwarzen Tonsprache und die Präsentation eines offensiven, von Impulsen der Bürgerrechtsbewegung inspirierten Selbstbewusstseins hinter sich lassen wollte. Seit damals hat Carter an Tausenden von Aufnahmen und Konzerten mitgewirkt, als Garant einer unerschütterlichen Time und eines offenen, voluminös die Musik umfangenden Basstons.

Und nun ist er der hagere Gentleman einer zur Hochkultur gereiften Musik, der zusammen mit der Pianistin Renée Rosnes, dem Schlagzeuger Payton Crossley und dem Percussionisten Rolando Morales-Matos die ehernen Werte des Jazz verkörpert.

Überhaupt verwies das ganze Konzert in Stil und Repertoire auf die die Ur-Epoche des Genres. Klassiker des Great American Songbooks wie "My Funny Valentine" mit einem Hauch von Soul oder "You And The Night And The Music" - gespielt als Up-Time-Hardbop, ohne allerdings die Skalen-Hektik der späten Fünfziger zu übernehmen - standen neben eigenen Stücken und ein paar dezenten Ausflügen in die südamerikanische Rhythmik.

Carter gab sein Bestes als Bandleader, auch wenn das eigentlich nie seine Stärke war, und repräsentierte ein Klangverständnis des klaren, umfangenden und zugleich präzisen Phrasierens, das swingfundiert und trotz gelegentlicher Intonationsfreiheiten das Programm dominierte. Sein Entertainment-Gegenüber war Rolando Morales-Matos, der vor allem an perkussivem Kleingerät wie Triangel, Tamburin oder Bongos Carters Angebote humoristisch erwiderte.

Renée Rosnes hingegen hielt sich im Hintergrund, nicht unzufrieden mit dem Rollentausch, hat doch üblicherweise das Klavier die Führungsposition in derartigen Besetzungen inne. Payton Crossley schließlich fügte sich empathisch swingend in die Position des Begleiters, so dass ein in sich rundes Konzert entstand, das mit nostalgischem Unterton die Vergangenheit hofierte.

Wie sehr das Carter wichtig war, merkte man, als er in seine Solo-Kadenz von "Samba de Orfeo" Bachs erste Cello-Suite einbaute, weniger um zu zeigen, dass er auch so etwas beherrscht, als vielmehr um den normativen Charakter seiner Musik zu unterstreichen. Denn das ist diese Spielart des Jazz längst geworden: die Klassik des vorangegangenen Jahrhunderts.

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