Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Ebersberg:Eine Zugfahrt für 1800 Euro

Weil sie kein gültiges Ticket hat, greift eine 26-Jährige in der Bahn einen Polizeibeamten an - und landet vor dem Ebersberger Amtsgericht.

Aus dem Gericht von Andreas Junkmann, Ebersberg

Es gibt Berufe, in denen geht es eher gemächlich zu. Und dann gibt es Branchen, in denen die Arbeitnehmer oft die ein oder andere brenzlige Situation meistern müssen. Wenn jemand aus letzterer Gruppe also einen Satz sagt wie: "So etwas hab' ich noch nicht erlebt. Das war das reine Chaos", dann muss sich schon Bemerkenswertes zugetragen haben - in diesem Fall sogar so bemerkenswert, dass sich nun das Ebersberger Amtsgericht mit der Sache beschäftigen musste. Es stand der Vorwurf des tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte im Raum.

Die Frau, die oben genannte Worte im Sitzungssaal zu Protokoll gab, ist Zugbegleiterin. Als solche ist sie im März vergangenen Jahres in einen Vorfall verwickelt worden, bei dem eine junge Frau einen Polizisten attackiert haben soll. So zumindest verlas es die Staatsanwältin aus der Anklageschrift. Demnach war eine 26-Jährige aus dem Nachbarlandkreis Erding im Regionalzug von Dorfen aus nach München unterwegs - und zwar ohne gültigen Fahrschein. Auf Höhe von Markt Schwaben wurde sie dann einer Ticketkontrolle unterzogen, bei der sie entsprechend nichts vorweisen konnte. Als sich die Frau schließlich obendrein weigerte, ihre Personalien anzugeben und stattdessen Radau gemacht habe, sei ein zufällig im Zug sitzender Polizist eingeschritten. In dessen Richtung habe die Angeklagte schließlich versucht zu schlagen, der Beamte konnte den Angriff jedoch parieren.

Nichtsdestotrotz musste sich die Frau nun vor Gericht verantworten, wo sie die Situation allerdings etwas anders schilderte als zuvor die Staatsanwältin. Sie sei bei einer Freundin zu Besuch gewesen, als ihr Kind krank wurde. Weil sie jedoch keine Versicherungskarte dabei hatte, habe sie diese daheim holen wollen. Da sie den dafür nötigen Zug gerade so noch erwischen konnte, habe sie keine Zeit mehr gehabt, ein Ticket zu lösen. Das, so die Angeklagte, habe sie schließlich in der Bahn nachholen wollen und deshalb eine Schaffnerin angesprochen. Statt ihr eine Fahrkarte zu verkaufen, habe die Zugbegleiterin nach ihrem Ausweis verlangt. "Den wollte ich ihr aber nicht zeigen. Ich wollte dann aus dem Zug aussteigen", sagte die 26-Jährige vor Gericht.

Just daran habe sie aber ein Mann in Uniform gehindert, wie die Angeklagte sagte. "Der hat mir den Weg versperrt." Auf die Idee, es könne sich dabei um einen Polizisten handeln, sei sie allerdings nicht gekommen. Schließlich habe sie den Fremden weggestoßen und sei weiter nach München gefahren, wo sie von der Bundespolizei in Empfang genommen wurde.

Die Aussage der Frau, sie habe den Beamten nicht als solchen identifiziert, machte Richterin Vera Hörauf allerdings stutzig. "Dass Sie den Mann nicht als Polizeibeamten erkannt haben wollen, halte ich für absurd."

Überhaupt stellte sich schnell heraus, dass die Frau die ganze Situation etwas zu sehr verharmlost hatte. Dann nämlich, als die Zugbegleiterin in den Zeugenstand gerufen wurde: Die Angeklagte und ihre Begleiterin - die den Schaffnern bereits als notorische Schwarzfahrerin bekannt war - hätten furchtbar zu schreien angefangen, als sie sie nach ihrer Fahrkarte gefragte habe. "Es war so laut, alle im Zug haben sich schon umgedreht und geschaut, was los ist", sagte die 42-Jährige. Als schließlich der Polizist eingeschritten sei, habe die Angeklagte angefangen, auf ihn einzuschlagen. Erst als dieser ihr mit Festnahme gedroht habe, habe sie sich beruhigt. "Das war furchtbar", so die Schaffnerin vor Gericht.

So in etwa bestätigte schließlich auch der Polizist den Vorfall. Die Angeklagte sei "äußerst aggressiv" aufgetreten und habe auch nach wiederholter Aufforderung seine Anweisungen nicht befolgt, ganz im Gegenteil: "Sie hat sich bei voller Fahrt mehrmals mit dem Oberkörper gegen die Tür geworfen." Dabei habe sie die ganze Zeit über ihren kleinen Sohn im Arm gehabt. "Ich hab' mir wirklich Sorgen um das Kind gemacht", sagte der 22-jährige Beamte. Schließlich habe sie dann noch versucht, mit der Faust in seine Richtung zu schlagen. Das allerdings habe er verhindern können. Am Ostbahnhof habe man die Frau der Bundespolizei übergeben.

Während der Verteidiger einen Freispruch erreichen wollte - seine Mandantin habe den Beamten ja gar nicht so wirklich angegriffen -, sah die Staatsanwältin den Strafbestand als voll erfüllt an: "Polizisten halten tagtäglich ihren Kopf hin und setzen ihr Leben aufs Spiel. Deshalb sind sie besonders schützenswert." Sie forderte vier Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung. Hörauf wählte schließlich einen Mittelweg: Auch für sie handle es sich hier um einen Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, aufgrund der Tatsache, dass sich die Angeklagte bisher nichts hatte zuschulden kommen lassen, beließ es die Richterin bei einer Geldstrafe. Diese allerdings ist nicht ganz ohne: 1800 Euro muss die Frau nun zahlen - und dürfte damit wohl die teuerste Bahnreise ihres Lebens unternommen haben.

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SZ vom 06.05.2020
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