SZ-Serie Teil 1: Wohnen für alle:Wo sollen wir noch hin?

SZ-Serie Teil 1: Wohnen für alle: "Selbst für die Mittelschicht wird es immer schwieriger", sagt der Landrat.

"Selbst für die Mittelschicht wird es immer schwieriger", sagt der Landrat.

(Foto: Christian Endt)

Immer mehr Menschen drängen in die Region München, die Mieten werden immer teurer - und kein Landkreis wächst so stark wie Ebersberg. Was Kreis und Kommunen tun wollen und können, um den Druck zu begegnen, zeigt die Ebersberger SZ in einer achtteiligen Serie.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Das Thema steht schon lange auf der Tagesordnung. Wo sollen wir wohnen? Wie sollen wir es bezahlen? In deutschen Großstadtregionen wird der günstige Wohnraum immer knapper. Viele frühere Sozialwohnungen wurden in den Fünfziger- und Sechzigerjahren gebaut und sind nach vier Jahrzehnten längst aus der Sozialbindung gefallen. Der Zuzug aus ländlichen Gegenden und weniger attraktiven Städten erhöht den Druck auf den Wohnungsmarkt, die Grundpreise steigen und ziehen die Mieten mit sich nach oben.

Die Zahl der Sozialwohnungen im Landkreis Ebersberg ist zwischen 2001 und 2010 fast um die Hälfte gesunken. In Kirchseeon etwa hatte es im Jahr 2002 noch 330 Sozialwohnungen gegeben, 2010 waren es nur noch knapp 50. Zurzeit entsteht in Eglharting, gebaut von der Wohnungsgenossenschaft Ebersberg, ein von Freistaat und Landkreis gefördertes Holzhaus mit zwölf Wohnungen, die zu Nettomieten bis maximal 7,50 Euro pro Quadratmeter vergeben werden. Im Hinblick auf die Gesamtmisere ist das allerdings nur ein - wenn auch wohltuender - Tropfen auf den heißen Stein.

SZ-Serie Teil 1: Wohnen für alle: In vielen Berufen wird Außerordentliches geleistet.

In vielen Berufen wird Außerordentliches geleistet.

(Foto: Stefan Salger)

Im Landkreis fehlen aktuell mehr als 600 Sozialwohnungen, dazu aber auch einfach nur günstige Wohneinheiten, solche, die sich ein mittlerer Angestellter leisten kann; von der Kindergärtnerin oder dem Bauhofmitarbeiter ganz zu schweigen. "Selbst für die Mittelschicht wird es immer schwieriger", sagt Landrat Robert Niedergesäß, der in den vergangenen Wochen die Gründung einer kommunalen Wohnbauoffensive im Landkreis initiiert hat und schon seit Jahren für den Bau von Sozialwohnungen in den Kommunen wirbt.

400 000 zusätzliche Einwohner in den kommenden zwei Jahrzehnten

SZ-Serie Teil 1: Wohnen für alle: Die Zahl der Sozialwohnungen im Landkreis Ebersberg ist zwischen 2001 und 2010 fast um die Hälfte gesunken.

Die Zahl der Sozialwohnungen im Landkreis Ebersberg ist zwischen 2001 und 2010 fast um die Hälfte gesunken.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Und der Blick in die Zukunft macht nicht gerade Mut. 400 000 zusätzliche Einwohner in den kommenden zwei Jahrzehnten sind für die Region München prognostiziert. Auf 158 000 soll die Zahl der Bürger im Landkreis Ebersberg bis zum Jahr 2032 angewachsen sein. Jetzt sind es 137 000. Schon beim Bevölkerungswachstum der vergangenen 20 Jahre lag der Landkreis fünf Prozent über dem Schnitt des Münchner Umlands, etwa 13 Prozent über dem der Landeshauptstadt.

Die meisten Zuzügler kämen ja aus der Stadt und dem Landkreis München, erklärte der Sozialplaner im Landratsamt Ebersberg, Dominik Redemann, bei der Kick-off-Veranstaltung für die Ebersberger Wohnbauoffensive Ende Juni. Dorther also, wo die Bodenpreise und damit auch die Mieten in den vergangenen Jahren noch höher gestiegen sind als im Ebersberger Raum - mit Ausnahme von Vaterstetten. "Soziale Verdrängung" ist das Stichwort, "die Leute müssen immer weiter raus", sagt Rebmann.

Im Jahr 2014, hat das Landesamt für Statistik errechnet, lag der durchschnittliche Grundstückskaufpreis im Landkreis Ebersberg bei 571,53 Euro, der höchste Wert in der Landeshauptstadt dagegen bei 1727,63 Euro. In Ottobrunn konnten Kaufinteressenten schon 2011 mit 1000 Euro für den Quadratmeter Baugrund rechnen. Damals lag der südöstliche Nachbarlandkreis noch ein Stück darunter.

Ebersberg, der Durchlauferhitzer

SZ-Serie Teil 1: Wohnen für alle: Der Verdienst reicht jedoch oft nicht aus, um sich das Leben im Landkreis finanzieren zu können.

Der Verdienst reicht jedoch oft nicht aus, um sich das Leben im Landkreis finanzieren zu können.

(Foto: Christian Endt)

"Das macht", so Redemann, "Ebersberg gewissermaßen zu einem Durchlauferhitzer". Der inzwischen aber selbst unter Höchsttemperatur arbeitet: So ist im Plieninger Ortsteil Landsham - abseits der S-Bahnlinie wohlgemerkt - vor kurzem eine Doppelhaushälfte zum Preis von 700 000 Euro verkauft worden, in Vaterstetten wird Vergleichbares für knapp 900 000 Euro angeboten.

Die Wohnbauquote im Landkreis konnte mit der steigenden Nachfrage allerdings bei weitem nicht Schritt halten. Wie Berechnungen des Landesamts zeigen, sank die Zahl der Wohnungen in neu errichteten Gebäuden im Landkreis von etwa 1100 im Jahr 1994 auf 590 bis 650 im Jahr 2015, was einer Halbierung der Quote entspricht. Zwischen 700 und 900 aber seien notwendig, um dem Bevölkerungsdruck Stand zu halten, sagt Sozialplaner Redemann. Dabei komme zum Zuzug aus dem In- und Ausland und dem Wegfall der Sozialbindung noch ein weiterer Faktor, der den Druck auf den Wohnungsmarkt erhöht: Die Wohngewohnheiten verändern sich.

Wir brauchen heute mehr Platz als früher. Waren 2,5 Menschen - statistisch gesehen - im Jahr 2000 noch mit 38 Quadratmetern zufrieden, benötigten sie 2014 an die 45 Quadratmeter. Eine statistische Entwicklung, die auch aber nicht nur dem demografischen Wandel geschuldet ist. Familien mit vielen Kindern werden immer seltener, während die Zahl der älteren und allein stehenden Menschen steigt. "Das wird auch die Art verändern, wie wir bauen müssen", sagt Stegmann.

Wege aus dem Wohnungs-Dilemma

Wie aber können die Kommunen dem Problem begegnen? Seit 2005 ist die Wohnungsgenossenschaft Ebersberg Partner der Gemeinden, wenn es um den Bau von Sozialwohnungen geht. Zwölf Wohnanlagen mit insgesamt 163 Wohnungen in acht Landkreisgemeinden gehen auf das Konto der Genossenschaft.

Dabei stellen im so genannten Ebersberger Modell Gemeinden die Grundstücke zur Verfügung, zu einem weit unter Marktpreis liegenden Betrag. Die Genossenschaft baut, Landkreis und Gemeinde beteiligen sich jeweils mit einem Baukostenzuschuss von 5000 Euro pro Wohnung. Der Freistaat finanziert 50 Prozent der Gesamtkosten durch Darlehen aus dem Bayerischen Wohnungsbauprogramm. Dafür dürfen die Gemeinden nicht mehr als 5,50 bis 7,50 Euro verlangen.

Die vom Landkreis initiierte Ebersberger Wohnbauoffensive soll einen weiteren Weg aus dem Dilemma eröffnen - mit dem erklärten Ziel, dass Ende nächsten Jahres die ersten Mieter einziehen sollen. Das Unternehmen soll als Zusammenschluss von Gemeinden mit einem Vorstand und einem Verwaltungsrat als eigenes Wirtschaftsunternehmen fungieren. Auch hier stellen Gemeinden Baugrund bereit.

Bauen für den Friseur und die Kindergärtnerin

Der Freistaat zahlt 30 Prozent der Projektkosten und stellt zinsverbilligte Darlehen für weitere 60 Prozent der Kosten zur Verfügung. Das Geld kommt aus dem Kommunalen Förderprogramm. Planung, Bau und Vertrieb übernimmt das Unternehmen, das unter dem Namen Wohnbaugesellschaft Ebersberg fungiert. Die Gemeinden vergeben die Wohnungen selbst, dürfen aber nicht mehr als eine Miete bis maximal 10,60 Euro plus Nebenkosten verlangen und sind für 20 Jahre daran gebunden.

"Wir bauen für den Friseur, die Kindergärtnerin, den anerkannten Asylbewerber", sagt Kreiskämmerin Brigitte Keller, die gemeinsam mit Landrat Robert Niedergesäß für das Projekt kämpft. "Und jetzt brauchen wir die bebaubaren Grundstücke." Keller ist allerdings zuversichtlich. Zur Kick-off-Veranstaltung waren mehr als 100 Bürgermeister und Gemeinderäte gekommen. Den Grundsatzbeschluss zur Gründung des Unternehmens hat der Kreistag Anfang August gefasst.

In den bayerischen Wald zum Haare schneiden?

Vier bis sechs Gemeinden wollen sich beteiligen, wie Keller erfreut berichtete, der Einstieg weiterer Gemeinden sei jederzeit möglich. Mitte nächsten Jahres könnte ein erstes Modellprojekt stehen. "Aber die Gemeinden haben ja den Druck zu bauen, wenn wir nicht irgendwann in den Bayerischen Wald fahren wollen, um uns die Haare schneiden zu lassen."

Die gemeinsame Anstrengung aller Kommunen ist für Keller auch ein Akt der Solidarität denjenigen gegenüber, die in der Unterbringung der Flüchtlinge besonders große Anstrengungen unternommen haben und nun für die anerkannten Asylbewerber zuständig sind. "Wir können diejenigen nicht auch noch bestrafen", sagt Keller. Dabei müsse klar sein: Die Wohnbaugesellschaft soll keine Konkurrenz für private Bauträger sein. "Wir bauen immer günstig, mit dem Brunnen vor dem Tor wird das eher nichts, das können sich unsere Mieter nicht leisten."

Dass günstiges Wohnen nicht unbedingt schlechtes Wohnen heißen muss, was soziale Bauträger sich alles einfallen lassen müssen, um an Wohnfläche zu kommen, und wie Ebersberg seit Jahrzehnten gegen die Wohnungsnot ankämpft, sind einige der Aspekte, die die Ebersberger SZ in der Serie "Wohnen für alle" in acht Folgen beleuchten wird. Weiter geht's am Mittwoch mit einem Porträt der Ebersberger Wohnungsgenossenschaft.

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