Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Wiederentdeckung der Mitte

Lesezeit: 2 min

Maximilian Erbacher hat für den Ebersberger Marienplatz eine verspiegelte Skulptur geschaffen. Der Kubus soll Passanten dazu anregen, ihr Stadtzentrum mit anderen Augen zu sehen. An diesem Samstag wird das Kunstwerk enthüllt

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Im Spiegel erscheint die Welt vertraut und verkehrt zugleich. Wer eitel oder mutig genug ist hineinzuschauen in den blank polierten Abgrund, nimmt sich selbst und seine Umgebung in neuer Weise wahr. Im Märchen besitzt der Spiegel Zauberkraft, öffnet ein Tor auf die andere Seite der Wirklichkeit. In der Realität ist er oft gnadenlos, nicht nur zu Schneewittchens Stiefmutter. Nahezu jeder fragt sich doch zuweilen, ob der merkwürdige Doppelgänger, den er da vor sich sieht, tatsächlich das eigene Ebenbild ist.

Auf die Frage, wer die (oder der) Schönste im ganzen Landkreis sei, wird der Spiegelkubus, der an diesem Samstag um 15 Uhr auf dem Ebersberger Marienplatz enthüllt wird, keine Antwort geben können. Eine Art Erweiterung des Bewusstseins aber soll er durchaus bewirken. Dies suggeriert schon der die zeitliche Dimension des Geschauten andeutende Name: "Heute ist das Gestern von Morgen!" Geschaffen hat das Skulpturenprojekt der Künstler Maximilian Erbacher, gebaut wurde es in der Ebersberger Kunstschmiede Bergmeister von Valentin und Ferdinand Larasser unter Mitwirkung von Andreas Mitterer, dem Vorsitzenden des Kunstvereins. Der Kubus, drei mal drei mal drei Meter groß, besteht aus einem Stahlgestell und hat an drei Seiten Spiegel aus poliertem Edelstahl. Das Ganze wird zusammengehalten von einer Säule, die auf eine Sockelplatte montiert wurde.

Maximilian Erbacher, 45, kommt aus Rosenheim. Für seine Performance- und Installationskunst in München und anderswo, etwa im indischen Bangalore, wurde er wiederholt ausgezeichnet. Bis Ende Oktober realisiert er in den Münchner Stadtteilen Trudering, Obersendling, Lochhausen und Am Hart weitere Kunstprojekte im öffentlichen Raum.

Eigentlich sollte die Skulptur schon Ende April enthüllt werden, aber es tauchten ungeahnte Probleme auf. "Das Ganze war komplexer als gedacht", sagt Mitterer. Dinge wie Statik, Baugenehmigung, Sicherheitsauflagen . . . "Welche Größenordnung das annehmen würde, war uns nicht klar. Das Ding muss zudem bombenfest stehen, auch bei Sturm." Aber nun, da baurechtliche und -technische Fragen gelöst sind, können sich Künstler und Kunstverein wieder dem faszinierenden Grundgedanken der Skulptur zuwenden.

Bei einem gemeinsamen Spaziergang durch Ebersberg mit Erbacher sei die Idee entstanden, erzählt Mitterer. Dabei sei ihnen aufgefallen, dass Ebersberg, so wie viele andere Kleinstädte, ein Problem habe - den Verlust der Mitte. Hinzu komme, dass die Stadt sowieso plane, den Platz in ein paar Jahren zu verändern. "Da wollen wir ein Zeichen setzen und das Bewusstsein dafür schaffen, den städtischen Raum neu wahrzunehmen", erklärt Mitterer. Den Umbau des Marktplatzes wird die Skulptur allerdings nicht erleben, sie bleibt nur bis November stehen. Damit die Ebersberger vertraut werden mit ihren Ebenbildern, sind alle Besucher der feierlichen Enthüllung aufgefordert, selber Spiegel mitzubringen, kleine, große, runde, eckige, aus Handtasche, Bad oder Garderobe. Eine Seite des Würfels wurde eigens frei gelassen, um die Spiegel zu montieren. "Ein gebrochenes Bild", sagt Mitterer. Gesichter, Häuser, alles wird fragmentiert, reflektiert. Der Spiegel füllt sich mit Blicken, im Idealfall mit neuen Einsichten.

Während der kommenden Monate sind begleitend zum Projekt Veranstaltungen geplant, etwa Vorträge zum Thema öffentlicher und privater Raum. Falls finanzierbar, soll im Herbst ein Katalog erscheinen, in dem gezeigt wird, wie Städte nach und nach ihre Zentren verlieren - und mit Hilfe der Kunst vielleicht zurückgewinnen.

Die Enthüllung der Skulptur "Heute ist das Gestern von Morgen" von Maximilian Erbacher ist diesen Samstag, 7. Mai, 15 Uhr. Dazu gibt es Blasmusik und Brezen, es spielen die Jazzpiraten. Zur Eröffnung sprechen der Künstler, Andreas Mitterer und Landrat Robert Niedergesäß.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2983099
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.05.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.