Tradition im Landkreis Ebersberg:Ein Weihnachtsfest, wie es früher war

Lesezeit: 5 min

Dass der Boden, auf dem Sepp Huber hier mit seinem älteren Bruder Richard in den 1950er-Jahren vor dem heimischen Stadl steht, weiß ist, liegt nicht an dem Alter der Aufnahme, sondern daran, dass verschneite Winter damals eine Selbstverständlichkeit waren. (Foto: privat)

Der Ebersberger Heimatpfleger Sepp Huber erinnert sich an die Feiertage in seiner Kindheit - ohne blinkende Deko, dafür mit viel Schnee und Besinnlichkeit.

Von Alexandra Leuthner, Steinhöring

Stockfinster war es. Die ganze Adventszeit über. Keine Lichterkette, keine blinkenden Rentiere oder Weihnachtsmänner vor den Türen. Und der Nikolaus, der war echt. Und natürlich hat es geschneit. Vor Weihnachten, an den Feiertagen und hinterher sowieso. Ein Augenzeuge wurde gefunden, der all das bestätigen kann. Sepp Huber, Heimatpfleger aus Sensau bei Steinhöring, kann sich noch ganz genau erinnern. "I bin in der Tür g'standen und hob g'schaut, wann der Nikolaus aus dem Schneetreiben kommt."

Irgendwie muss der Winter in den 1950er-Jahren, in denen Huber ein kleiner Bub war, ein anderer gewesen sein. Zum Gespräch in seiner Bauernstube hat er einen ganzen Karton von Fotos mitgebracht. Schwarz-weiß sind sie sowieso, aber das Weiße darauf ist unverkennbar Schnee. "In der Früh war alles verschnieb'n und verweht, wir sind mit den Schlittschuhen zur Schule g'fahr'n", erzählt er, oder in den Fußstapfen der anderen Kinder gelaufen, "die Großen voraus, die Kleinen hinterher." Wenn es gut ging, war der Schneepflug schon unterwegs gewesen - keiner von diesen orangefarbenen Dieselmonstern, sondern ein dreieckiger, schwerer Holzbalken mit einem Pferd davor. Bis zu den Nebenstraßen, auf denen der Huber Sepp mit seinem älteren Bruder Richard unterwegs war, wäre gar kein motorisiertes Räumfahrzeug gekommen - das ist heute noch nicht viel anders.

Kratzers Wortschatz
:Ein Professor fühlt sich vom Gendern agaciert

In der Debatte um eine möglichst geschlechtergerechte Sprache wird noch immer Überraschendes aufgeworfen - und breit auf Twitter diskutiert.

Von Hans Kratzer

Jeder Meter auf dem Weg zum Huber-Hof nördlich von Sensau scheint ein Stück des Wegs in Richtung Vergangenheit zu sein. Die Einfahrt zum 1870 erbauten Bauernhaus, das von steil abfallenden Schafweiden umgeben ist, verpasst, wer eine repräsentative Zufahrt mit mindestens gepflastertem Untergrund erwartet - und landet im Wald, der quasi direkt hinter dem Haus beginnt. Das alte Bauernhaus duckt sich auf den Hügel wie die Katze, die vor den Fenstern der Stube auf einem Tisch kauert. Auf sein Stadldach hat Biobauer Huber übrigens Solarpaneele gesetzt, die sieht man von unten aber nicht. Glocke gibt es keine, aber der Hausherr erscheint im Windfang und bittet hinein in die Stube, wo es im Kachelofen knistert und wo jeder Schritt, den seine Frau in der Küche nebenan tut, in den Holzbohlen des Bodens seinen Widerhall findet. Über einem Hochzeitsbild seiner Eltern hängt ein kleiner Jesus am Kreuz.

Früher verzichteten Kinder in der Adventszeit auf Süßigkeiten

1983 ist der Heimatpfleger mit seiner Familie hierher gezogen, den Hof hatten um 1900 herum seine Urgroßeltern gekauft. Er selbst hat seine Kinderzeit in Springlbach verbracht, zwischen Tulling und Forsting, nicht weit weg von hier, und was er erzählt, hätte ebenso gut hier oben passiert sein können. Huber, ehemaliger Lehrer und passionierter Zitherspieler unter anderem mit der Weinberg Zithermusi, hätte sich vermutlich nicht der Heimatpflege verschrieben, wenn ihm nicht beim Erzählen all die Geschichten einfallen würden, die Weihnachten und die Adventszeit in seiner Kindheit zu etwas ganz besonderem machten, viel mehr, sagt er, als es das heute sei, wo man Lebkuchen schon im September kaufen könne.

Huber ist keiner, der anderen ihre Freude missgönnt, aber man merkt ihm an, dass er wenig anfangen kann mit dem Geglitzer vor den Häusern und dem Kaufrausch der modernen Vorweihnachtszeit. Früher sei es Brauch gewesen, dass die Kinder in der Adventszeit auf Süßigkeiten verzichtet und das dafür Gesparte am ersten Weihnachtsfeiertag ins Opferkasterl für arme Kinder geworfen hätten. "Mittags um zwei war das, da sind wir nach der Kirche zu Fuß nach Ebrach runter, übers Feld, der Schnee hat ja getragen. Stolz war man da und hat mit Freude gegeben."

Kreisheimatpfleger Sepp Huber aus Sensau, seines Zeichens Zitherspieler, mag es traditionell-alpenländisch. (Foto: Christian Endt)

Dass es nicht nur darum ging, Geschenke zu kriegen, das hat schon der Nikolaus klar gemacht, Anfang Dezember - kein netter Onkel mit Schokolade im Sack und einem kuscheligen Rauschebart, sondern einer mit einer festen Larve im Gesicht und offenbar ganz schlechten Manieren. Der "schlimmste Tag des ganzen Jahres" sei das gewesen, erzählt Huber. Grob sei er gewesen der Nikolaus, "genauso wie der Kramperl", und der ganze Auftritt eine prophylaktische Erziehungsmaßnahme.

Die Klopf-o-Geher bekamen Kletzen oder Äpfel

"Ich weiß noch, wie ich in der Ecke g'standn hab' vor lauter Angst", und dabei sei er ein braver Bub gewesen. Ein bisserl schaurig ging's dann auch weiter in jenen Zeiten, pochten doch an den Donnerstagen der ersten drei Adventswochen die "Klopf-o-Geher" an die Türen der Höfe. Arme Leute aus den Dörfern steckten hinter den Masken, "da haben wir wenigstens gewusst, dass das keine Überirdischen waren", und bettelten um Kletzen oder Äpfel. Gegeben habe man gerne, "wenn sie zu einem Bauern nicht gekommen sind, war das ein Zeichen für eine schlechte Ernte".

Rund um den letzten Besuch der Klopf-o-Geher wurde die dritte Adventskerze in den Häusern angezündet, "die ist mir schon gewaltig vorgekommen". Rückte doch das Fest in Reichweite, das mit dem Duft selbst gebackener Plätzchen, der aus der Küche der Mutter drang, seine Zeichen voraus sandte. Aber wehe, die Kinderfinger kamen dem Teig zu nahe, "da hat ma eine drauf gekriegt". Nur einmal, erzählt Huber mit einem Lächeln, hätten er und sein Bruder eine ganze Schüssel ausschlecken dürfen, "und eine Schachtel mit Oblaten, die hat uns die Mutter auch geschenkt".

Und dann kam der 24. Dezember, ein unvergleichlicher Höhepunkt. "Es hat damals so eine Steigerung gegeben", erzählt Huber, "immer dunkler ist es geworden draußen, jeden Tag, und dafür das Licht des Weihnachtstags immer heller." Wenn nach dem Ende der Stallarbeit am Heiligen Abend nachmittags um drei, dem ungeliebten Beichten und dem pflichtgemäßen Baden abends um sieben - während die Mutter den Christbaum schmückte - endlich die Tür zum Weihnachtszimmer aufging, war das Leuchten und Glitzern wie ein Hoffnungszeichen in der ewigen Dunkelheit. "Wenn man es christlich sehen will, war es Christus, der das Licht in die Welt bringt."

Um die Geschenke aber kreisten die Gedanken der Kinder trotzdem. Einmal sei eine Holzeisenbahn unter dem Baum gelegen, erinnert sich Huber, keine Märklin, da habe die Lock damals schon 35 Mark gekostet, sondern eine aus Blech. "Die ist dann immer im Kreis auf dem Tisch rumgefahren und bei jeder zweiten Runde aus den Gleisen gesprungen." Egal, Sepp Huber und sein Bruder bauten sich einen eigenen Bahnhof aus Sperrholz dazu und malten ihn mit Wasserfarben an. "Das war halt damals so." Nach der Bescherung ging es natürlich in die Kirche, für Sepp Huber als Ministranten sowieso, und am nächsten Morgen gleich zur nächsten Messe, dem Engelamt.

Ein Weihnachtsgeschenk von damals hat Huber noch heute

Neben der Kirche, der besonderen Stimmung, dem Plätzchenduft aber ist es für Huber immer auch die Musik gewesen, die seine Erinnerungen an die Weihnachtsfeste der Kindheit prägte. Mit zwölf Jahren fing sein Vater an, ihm das Zitherspielen beizubringen, fortan gehörte es zum Fest dazu, dass man sich zum gemeinsamen Musizieren zusammen setzte. Und dann, am 24. Dezember 1964 war das und Sepp Huber 15 Jahre alt, da ist er am Vormittag mit seinem Vater nach München gefahren, um sich beim Musikalienhandel Rauscher im Tal eine Zither auszusuchen.

300 Mark hatte er in der Tasche, selbst gespart, doch das würde nicht reichen, das war klar. Aber schließlich hatte der Papa einen eigenen Geldbeutel dabei. Und dann kam der große Moment: Drei Instrumente lagen vor Sepp Huber auf dem Verkaufstisch, eins zu schlicht, eins zu teuer. Die mittlere Zither aber, die war es. "Sie roch nach Palisander, und hatte so einen weichen, vollen Klang." Ein Klang wie Weihnachten, und Sepp Huber hat sie heute noch in seiner guten Stube liegen.

© SZ vom 24.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRegensburg
:Gottes Großbaustelle

Seit dem Jahr 1275 arbeiten Steinmetze an der gotischen Kathedrale. Eins ist sicher: Sie werden damit niemals fertig.

Von Lisa Schnell (Text) und Sebastian Beck (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: