Ebersberg:Was vom Pfade übrig blieb

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Die Künstler haben einen Großteil ihrer Arbeiten im Forst abgebaut. Eingewachsene Installationen bleiben bestehen, der Wabenstein schmückt jetzt den Forstinninger Bienenlehrstand, nur der Ikarus liegt seit Wochen am Boden

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Die spannendste Frage war immer: Ob - und vor allem in welcher Weise - die Kunstwerke des 2012 eröffneten Skulpturenpfads im Ebersberger Forst und die Natur einander wechselseitig verändern und beeinflussen würden. Beim ersten Spaziergang nach dem Abbau der Arbeiten zeigt sich: Beides ist geschehen. Die Kunst hat den Wald verwandelt. Wie stark, das sieht man erst jetzt, da sie verschwunden ist; und der Wald hat sich die Kunst zu eigen gemacht, jedenfalls das, was davon übrig ist.

Zwischen Wipfeln und im Dickicht haben die Skulpturen und Plastiken Akzente gesetzt, Kontraste zur natürlichen Farbpalette geschaffen oder sich ins ewige Grün und Braun geschmiegt. Jetzt erscheint die Lichtung gleich neben dem Forsthaus Hubertus, die mit ihren bunten Holzstäben des Dachauers Paul Havermann das Tor zum Pfad gebildet hat, irgendwie unvertraut. Einige der am gesamten Weg verteilten, zu Pyramiden und anderen Formen geschichteten Stäbe sind noch da, Spaziergänger haben sie neu zu einer Art Mikado am Wegesrand arrangiert.

Die hölzerne Tafel am Eingang, die in Bild und Text über Künstler und Arbeiten informiert hat, ist leer bis auf eine kleine Suchanzeige: Hündin Roxy wird vermisst. Das gigantische Bild des "Tauchers" von Ingrid Wieser-Kil, festgezurrt zwischen dicken Baumstämmen, das mit seinen Farben die wechselnden Lichtstimmungen einfing, es ist weg. Durch das noch spärliche Buchenlaub geht der Blick ins scheinbar Unendliche, der graupelige Aprilschnee lässt die Konturen verschwimmen.

Trotz des Abbaus haben einzelne Kunstwerke Spuren hinterlassen, und sei es im Zuge der kreativen "Resteverwertung". Künstlerisch überaus kreativ zeigt sich jetzt, wo die menschliche Konkurrenz weg ist, auch die Natur selbst. Etwa bei dem zersplitterten Baumstumpf mitten in Mooskissen, der durchzogen von Wurmlöchern und anderen rätselhaften Strukturen einen geheimnisvollen Anblick bietet.

Manche der Arbeiten waren von Anfang an für die Ewigkeit bestimmt - wenigstens für jene Ewigkeit, deren Dauer die Natur festlegt. So sind die rot angestrichenen, zu Hausgiebeln verschraubten Stämme des Wasserburger Künstlers Rainer Devens fest im Boden verwurzelt und werden wohl aus den Baumwipfeln herausleuchten, bis alle Farbe abgeplatzt ist. Auch zwei der drei Installationen des Holzbildhauers Johannes Gottwald sind geblieben. Moose und Pilze werden sich ihrer im Laufe der Zeit bemächtigen. Regen und Sturm werden die in Form gesägten Stämme verwittern lassen. Die einem Unterstand ähnelnde "Skizze für einen Sakralbau" wirkt wie ein Tempel im großen Heiligtum Wald.

Rätsel geben auch immer noch die Blattringe von Christian Hess auf, welche in sich die Umrisse mehrerer Laubsorten bergen. Die Ringe hingen jeweils einzeln an verschiedenen Bäumen, der Künstler hat sie an Ort und Stelle um den jeweiligen Baumstamm oder Ast herum gegossen. Vor zwei Jahren, anlässlich der Erweiterung des Pfads, hat er in etwa zweieinhalb Metern Höhe zwei ineinander verschlungene Ringe geschaffen, ein Symbol der Einheit und der Ewigkeit.

Noch rätselhafter - und zudem ärgerlich - ist das Schicksal des "Ikarus", einer Arbeit aus dem Nachlass des 2006 verstorbenen Moosacher Künstlers Otto Dressler, die Ebersbergs Stadtarchivarin Antje Berberich zum Kunstpfad beisteuerte. Dressler hat ein metallenes Fluggerät gebaut mit einer kopfüber in einen Käfig eingezwängten nackten Puppe und zwei Flügeln, welche - wie es der antike Mythos erzählt -, der Sonne zu nahe kommen, ein Sinnbild für menschlichen Hochmut. Der Widerspruch zwischen dem Traum von der Freiheit, den das Fliegen symbolisiert, und dem Los des in ein Metallgestell gepferchten technikhörigen Menschen, wurde hier im Wald, der mit Idylle gleichgesetzt wird, besonders deutlich. Als Ikarus von Orkan Niklas aus seiner Verankerung gerissen wurde und eine Bruchlandung hinlegte, wirkte das beinahe wie eine zum Kunstwerk gehörige Performance. Nun ist der Flieger erneut am Boden, seit mehr als vier Wochen. Irgendwer hat den Ikarus zwar ab-, aber nicht mitgenommen. Berberich, die vor zwei Wochen davon erfuhr, sagt, sie habe umgehend den Bauhof beauftragt, den Ikarus zu bergen, "dort hatte man bis jetzt keine Zeit, am Montag wird die Arbeit aber abgeholt."

Der Ikarus liegt an der Stelle, wo der "Honung" genannte Wabenstein aus schwedischem Granit von Hubert Maier stand, eine Arbeit, die Spaziergänger immer wieder zu kreativen Veränderungen herausgefordert hat. So stopften sie alle möglichen Fundsachen in die sechseckigen Öffnungen: Zapfen, Moos, Stöckchen, Steine, Münzen. Wie zum Gedenken an diesen Altar und seine liebevoll dargebrachten Opfergaben liegen hier nun diverse zu abstrakten Objekten geschichtete Holzteile; eine Kette aus Bast, Hölzchen und Zapfen hängt in den Ästen. Als habe ein auf schmückendes Beiwerk bedachter Riesenvogel hier ein Nest gebaut.

Der Wabenstein indes hat einen neuen Platz gefunden: Seit einigen Tagen steht er am Lehrstand des Bienenzuchtvereins Forstinning. Vorstand Richard Hörl habe ihn darauf angesprochen, erzählt Bildhauer Hubert Maier. "Passt perfekt!" So haben in diesem Fall Natur und Kunst wieder zusammengefunden, enger als je zuvor.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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