Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Vom Ural nach Oberbayern

Mit 20 kam Dilara Tischer aus Ufa. Dass sie blieb, hat auch mit Alfons Schuhbeck zu tun

Einen eher schleichenden Abkapselungsprozess hat Dilara Tischer durchgemacht. Anfang 20 war sie, als sie in ihrer Heimatstadt Ufa, etwa 1300 Kilometer östlich von Moskau, in den Zug stieg. Über die russische Hauptstadt ging es mehrere Tage mit dem Fernbus weiter nach Geisenfeld bei Ingolstadt. Deutschland faszinierte sie schon lange, Bayern sowieso, sie studierte ja Deutsch und ihr Lieblingsdialekt war Bairisch. Der sei "so gemütlich und freundlich irgendwie, sagt sie. "Aber als ich damals weggefahren bin, habe ich fast die ganze Strecke über geweint."

In Geisenfeld fing sie als Au Pair-Mädchen an. Nach der ersten Umgewöhnung, vielen Tränen und Anrufen daheim, gefiel ihr das neue Leben ziemlich gut. Später zog sie nach München, begann ein Wirtschaftsstudium und arbeitete nebenher in der Kochschule von Alfons Schuhbeck. Die Prominenten, die dort ein- und ausgingen, faszinierten sie, auch sie ging gerne aus. Aber immer, wenn sie in die Heimat fuhr, sprachen ihre Freundinnen vom Kinderkriegen und Heiraten, sie fand sich mit Anfang 20 zu jung dafür. "Obwohl Ufa eine große Stadt ist, war es wie auf dem Dorf", sagt sie. Ihre Kommilitoninnen zogen sie auf: "Hoffentlich kriegst du mal einen bayerischen Mann."

Heute lebt die 41-Jährige in Ebersberg, mit ihrem Mann und zwei Söhnen, weil die Mieten hier familienfreundlicher sind als in München. "Es ist dann doch kein Bayer geworden", sagt sie und lacht, sondern ein Schwabe aus Pforzheim, aber immerhin, stilecht auf der Wiesn haben sie sich kennengelernt. Und dann hatte er sich noch überreden lassen, im Freistaat zu bleiben. Eine Zeit lang stand zur Debatte, ob sie doch in Pforzheim leben würden, aber dann sagte sie zu ihm: "Bitte nimm' mir nicht mein Bayern weg." Und was sollte er danach anderes tun, als zu ihr zu ziehen, sagt Tischer und lacht wieder.

In Ebersberg berät sie seit mehrere Jahren im Homeoffice Medizintouristen. Sie vermittelt Kontakte von russischen Patienten zu deutschen Krankenhäusern, egal ob Urologie, Krebstherapie oder Chirurgie und das bedeutet, Russisch bleibt wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Ihre Söhne erzieht sie auf Russisch und über sie hat Tischer viele andere Russen kennengelernt. Fragt man sie nach 20 Jahren in Deutschland, ob sie hier eine neue Heimat hat, sagt sie: "Das hier ist mein Zuhause. Aber meine Heimat ist und bleibt Russland, schon allein wegen meines Akzents würde ich mich nicht als deutsch bezeichnen."

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019 / clli
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