Süddeutsche Zeitung

Ebersberg.:Vom Leben und Sterben mit Demenz

Eine Podiumsdiskussion im Landratsamt Ebersberg befasst sich zum Welt-Alzheimertag mit dem Umgang mit Betroffenen und deren Angehörigen

Von Franca Wittenbrink, Ebersberg.

"Es braucht Menschen, die da sind" - da waren sich am Donnerstagabend im Landratsamt Ebersberg alle einig. Anlässlich des Welt-Alzheimertags fand im gut gefüllten Hermann-Beham-Saal eine Podiumsdiskussion zum Thema "Lebensende in Würde - trotz Demenz" statt. Zum Auftakt der Veranstaltung stellte Dieter Käufer, Leiter des Awo-Seniorenzentrums Wolfratshausen, in einem Impulsvortrag die Spezialeinrichtung der Arbeiterwohlfahrt für demenziell erkrankte Menschen vor. "Bis 2030 müssen wir in Bayern mit mindestens 340 000 dementen Menschen rechnen. Ihnen müssen wir ein menschenwürdiges Leben, aber auch ein menschenwürdiges Sterben ohne Schmerzen ermöglichen." Um den Bewohnern mit mittlerer bis schwerer Demenz ein entsprechendes Maß an Lebensqualität und Selbstbestimmung zu ermöglichen, setzt das Seniorenheim daher auf ein umfassendes Pflegekonzept.

Für einen würdevollen Umgang mit demenziell erkrankten Menschen sprach sich in der anschließenden Diskussion, die von SZ-Journalistin Johanna Feckl moderiert wurde, Anita Ptok von der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) aus. In ihrem Vortrag wies sie auf verschiedene Problematiken im Umgang mit Demenzpatienten hin. Zum einen würden körperliche Schmerzen oft nicht erkannt, weil die Betroffenen sich nicht mehr eindeutig äußern könnten. Zu bedenken gab sie allerdings auch: "Wir dürfen nicht vergessen, dass Schmerz auf ganz unterschiedlichen Ebenen stattfinden kann: Neben dem körperlichen gibt es auch spirituellen, sozialen und seelischen Schmerz." Speziell bei Demenzkranken komme außerdem hinzu, dass der Sterbeprozess im Gegensatz zu anderen Krankheitsfällen oft schleichend verlaufe. Zur Linderung dieser Beschwerden hat das SAPV-Team es sich zur Aufgabe gemacht, erkrankte Menschen in der letzten Lebensphase zu Hause oder in Pflegeeinrichtungen zu versorgen und zu betreuen.

Von der Begleitung demenziell Erkrankter berichtete auch Pfarrerin Renate Zorn-Traving von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Ebersberg, die für die seelsorgerliche Betreuung in Senioren- und Pflegeeinrichtungen sowie in der Kreisklinik Ebersberg zuständig ist. "Wir sind sehr schnell dabei, das Menschsein an den Verstand zu koppeln", konstatierte die Pfarrerin, "Demente fordern in dieser Hinsicht unser Menschenbild heraus. Dabei können wir viel lernen." Im Kern, so Zorn-Traving, gehe es um Würde und Achtung, die man jedem Menschen zugestehen müsse: "Insofern ist der Titel dieser Veranstaltung fast irreführend: Würde trotz Demenz? Das darf nicht als Widerspruch aufgefasst werden." Was das für den konkreten Umgang mit Demenzkranken bedeutet, verdeutlichte Anita Ptok: Die unterschiedlichen Phasen der Demenz erforderten einen jeweils sehr spezifischen Umgang mit den Betroffenen, erklärte sie. Eines jedoch bleibe zu jedem Zeitpunkt gleich: "Die Kontaktaufnahme mit dem Menschen muss im Mittelpunkt stehen - egal in welcher Phase der Demenz." Gegen Ende eines Krankheitsverlaufs seien Betroffene zwar häufig nicht mehr in der Lage, sich verbal auszudrücken, so Ptok. Aber dann gebe es andere Wege: "Allein ein Blick kann schon ein sehr deutliches Ja oder Nein ausdrücken."

Dass Angehörige in dieser Hinsicht allerdings häufig verunsichert seien, bestätigte Christine Deyle. Die Sozialpädagogin ist im Caritas Zentrum Ebersberg für die Beratung pflegender Angehöriger zuständig, deren Unterstützung und Entlastung sie für elementar hält. Der Schritt, fremde Hilfe anzunehmen, falle vielen Angehörigen jedoch sehr schwer, berichtete Deyle. "Häufig sind die Menschen dann bereits an ihre Grenzen gekommen oder haben sie längst überschritten." Es bedürfe eines großen Maßes an Zuwendung und Vertrauen, so Deyle, um Angehörige durch Hilfsangebote auch tatsächlich unterstützen und entlasten zu können.

An dieser Stelle schließlich meldete sich der Neurologe und Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft Hans Gnahn zu Wort. "Um all das zu ermöglichen, müssen wir den Pflegeheimen die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Das ist auch eine politische Forderung, ja ein moralischer Imperativ." Nicht zuletzt über eine angemessene Bezahlung und die damit verbundene Wertschätzung müsse der Pflegeberuf gestärkt werden, so Gnahn, "das ist unsere gesellschaftliche Verantwortung!" Vom Publikum erhielt er dafür zustimmenden Applaus.

Zuletzt: Das Thema Palliativmedizin. "Auf diesem Gebiet hängen wir in Deutschland Jahrzehnte zurück", kritisierte Gnahn. Demenziell erkrankte Menschen erführen nur selten eine Schmerztherapie. Studien hingegen hätten bei unruhigen Patienten bereits eine deutliche Verbesserung der Symptome durch die Verabreichung von Schmerzmitteln gezeigt. "Das zieht nur häufig keiner in Betracht", so Gnahn.

Zum Abschluss wurde die Diskussionsrunde für Fragen aus dem Publikum geöffnet, das Interesse war groß. Zurecht: Demenz zu thematisieren gehört zu den großen, gesellschaftlichen Aufgaben dieser Zeit.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2017
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