An der VHS in Ebersberg:Von wegen Kinderspiel

Aus einem Einsteigerkurs Mundharmonika nehmen fünf Erwachsene viel musikalisches Wissen und eine neue Liebe mit nach Hause

Von Alexandra Leuthner

Wer hätte es nicht im Ohr, das lang gezogene Klagen von Charles Bronsons Mundharmonika. Wie das Jammern eines verwundeten Tieres hängt das gebeutelte "E" über der Landschaft, als es zum Showdown kommt, zwischen Bronson und seinem Widersacher, gespielt von Henry Fonda. Der Sieger bleibt am Ende - ohne zu spoilern - die Mundharmonika, oder vielmehr ihr unverwechselbarer Klang.

Dass nun gerade der gebeugte Sound derjenige ist, der einer Mundharmonika am schwersten zu entlocken ist, ist bei weitem nicht die erste Lektion, die ein Anfänger erlernen muss. Und so sind die fünf Teilnehmer eines Einsteigerkurses an der Volkshochschule, die sich am Samstagvormittag im kleinen Konzertsaal der Musikschule in Ebersberg versammelt haben, weit entfernt von jener Melodie, welche den Filmfan so schmerzlich durch den Sergio-Leone-Klassiker trägt.

Was da durch die geöffneten Fenster nach draußen und in den verregneten Klosterbauhof dringt, hat gelegentlich eher etwas mit Katzenmusik zu tun. Das aber liegt in der Natur der Sache und darf durchaus so sein, wenn Menschen mit Instrumenten einfach mal durcheinander spielen, und das zum allerersten Mal. "Jetzt macht's des Fenster lieber zu!", ruft einer von ihnen, Sepp genannt, weil alle sich hier duzen, zwischendurch, Verlegenheit und Amüsement zugleich im Gesicht. Was aber natürlich nicht passieren darf. Die kleinen Dachfenster bleiben im Hinblick auf die aktuellen Hygienevorschriften offen und lassen nicht nur jene gegen- und ineinander gespielten Tonleitern nach draußen dringen, sondern auch das Läuten der Kirchenglocken und den mittäglichen Alarm herein. Was zu durchaus ungewöhnlichen konzertanten Neuschaffungen führt. Doch zunächst einmal wird gar nicht musiziert, sondern marschiert.

Mundharmonika Kurs Musikschule

Die chromatische Mundharmonika mit einem Schieber für Halbtöne ist für klassische Musik geeignet.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kursleiterin Monika Schelle, die ihre fünf erwachsenen Schüler mit viel Humor und fundiertem Wissen durch die drei Stunden Anfängerkurs bugsiert, heißt die in einem Halbkreis großzügig an Einzeltischen im Raum Verteilten erst einmal aufstehen und auf der Stelle gehen. "Wir brauchen einen Rhythmus", ruft sie, und so klopfen die Mundharmonika-Neulinge eine Weile mit den Füßen ganze Noten in den Boden, klatschen halbe und Viertelnoten mit den Händen dazu. Schließlich ist es ihnen warm geworden, und der Einsteig in die musikalischen Grundbegriffe geschafft. Eine wirklich geniale Hinführung und eine Grundlage, auf der sich anschließend arbeiten lässt. Den selbst "Alle meine Entchen", das vermutlich einfachste aller Kinderlieder, braucht wenigstens zwei unterschiedliche Notenwerte, um zu einem wiedererkennbaren Stück zu werden.

Und dann kommt endlich der Augenblick, das kleine Instrument mit der langen Vergangenheit - spätestens seit 1825 ist es in Europa bekannt - in die Hand zu nehmen und die ersten Töne zu blasen. Musiklehrerin Schelle hat ein paar Harmonikas mitgebracht, die Mehrzahl der Schüler ist aber bereits ausgestattet, weshalb von der Bluesharp über das Einsteigermodell "Melodiestar" mit extra großen und damit leicht zu treffenden Kanälen bis hin zur chromatischen Konzertharmonika verschiedenste Variationen auf den Tischen blitzen und glänzen.

Mundharmonika Kurs Musikschule

Die typischen Ziehtöne im Blues oder Jazz kommen aus der Bluesharp.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

So unterschiedlich die Instrumente, so unterschiedlich die Spieler: Klaus etwa, schon gut in der Rente, der sich in der Coronazeit gelangweilt und dann beschlossen hat, etwas Neues auszuprobieren. Oder Maxi, 30 Jahre alt. Als Kind habe er Keyboard gespielt, berichtet er, dann aufgehört in der Pubertät, als die Zeit knapp und die Lust aufs Musizieren von anderen Interessen verdrängt worden war. Jetzt ist das offenbar anders. "Heute lerne ich sogar mit meiner Frau Französisch", sagt er lachend, "in der Schule hab ich es gehasst". Uli dagegen, der mit seinen langen Haaren und dem auffälligen Filzhut aussieht, als würde er jeden Abend in einer anderen Jazzkneipe auftreten, hat 25 Jahre lang Schlagzeug in einer Band gespielt, die jetzt nur noch a cappella musiziert. "Aber hin und wieder will ich doch den einen oder anderen Song mal ein bisschen begleiten".

Von lauten Tönen aber will Uli trotz seiner Schlagzeugvergangenheit offenbar gar nichts mehr wissen. So zart sind die "Cs" und "Es", die er auf seiner Harp anschlägt, dass Kursleiterin Schelle ihm hin und wieder ein "mehr Mut" zuruft. Während Klaus schon ein ganzes Lehrbuch im Alleingang durchgearbeitet hat. Selbst bei "Old MacDonald" mit 34 Ziehtönen, für das er vorher alle Luft aus seinem Körper pumpen muss, zelebriert er noch einen selbstbewussten Klang - bis ihm einer abschmiert. "Jessas na!"

Mundharmonika Kurs Musikschule

Kursleiterin Monika Schelle erklärt die richtige Haltung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Olga auf der gegenüberliegenden Seite tut sich da schon etwas schwerer. Seit Anfang des Jahres gehört die Russin zum Verwaltungsteam der VHS in Ebersberg und hat an diesem Tag, dem Vorabend ihres 37. Geburtstags, zum allerersten Mal überhaupt ein Instrument in der Hand. "Ich wollte das unbedingt einmal ausprobieren", erzählt sie. Erst im Vorjahr ist sie, ein Germanistikstudium in der Tasche, nach Deutschland gekommen. "In unserem Land gibt es so etwas wie die Volkshochschule gar nicht, wo sich völlig unterschiedliche Erwachsene treffen und noch mal etwas lernen." Bevor sie am Ende mit einem seligen Lächeln im Gesicht nach Hause geht, verfolgt sie Monika Schelles Anweisungen den Vormittag über mit höchster Aufmerksamkeit. Brütet mit übereinander geschlagenen Füßen über der richtigen Zuordnung der Töne zu den Kanälen und schließlich zu den passenden Noten, die Schelle auch noch gleich mit erklärt.

Einen richtigen Crashkurs verpasst die Kursleiterin da ihren Schülern. Während Schlagzeuger Uli 25 Jahre lang alles nach Gehör gespielt hat und mit einem Stift in der Hand auf die schwarzen Kringel mit und ohne Fähnchen auf dem Notenblatt flucht, hat Olga aus Russland das Solfège-System mitgebracht, und muss von "do-re-mi-fa-sol-la-si-do" erst einmal ins hier gebräuchliche Tonsystem umrechnen. Schelle zeigt Eselsbrücken auf, um verschwundene "Cs", "Es" und "Gs" in diesen unübersichtlichen Notenzeilen wiederfinden zu können - nämlich in den Zwischenräumen -, und erklärt immer wieder die richtige Mundstellung auf den Kanälen. Ein Spitzmund soll es sein, so wie man auch in einen Strohhalm hineinbläst. Den müsse man halten, erklärt sie. Und dann wird irgendwann die schier unüberwindliche Schwierigkeit, ohne Bruchstellen von einem Ton zum nächsten zu kommen, zu einem Kinderspiel - sollte man meinen. "Ich hab's mir schwerer vorgestellt", sagt Maxi, dem dann aber doch rechts und links der gespitzten Lippen Zischlaute auskommen, die so gar nichts mit dem "Spannenlangen Hansl" zu tun haben. "Alles eine Sache der Übung", tröstet die Kursleiterin, und wirklich: Zu jedem Lied legt sie eine CD mit Begleitmusik ein, und spätestens beim zweiten Durchgang klingen die ersten Spielversuche schon richtig nach Musik.

Als dann in Schelles Konzertharmonika auf einmal das Ventil über dem "D" hängen bleibt, bietet sich auch noch ein Einschub in Sachen Instrumentenhygiene an. Schelle, die nicht nur Mundharmonika, sondern seit 30 Jahren auch Akkordeon unterrichtet, erklärt, wie man die Deckplatten abnehmen und die Stimmzungen säubern kann. "Wasser, hab ich g'hört, ist ganz schlecht", sagt Klaus, Schelle empfiehlt als Reinigungsmittel Paraffinöl aus der Apotheke. Nebenbei erfahren die Kursteilnehmer auch noch, dass in Baden-Württemberg viel mehr Mundharmonika gespielt wird als in Bayern - "da ist die Mundharmonika in der Schule das, was bei uns die Blockflöte ist", erzählt Schelle. Oder, dass sich auf der Harp durchaus auch Halbtöne spielen lassen, die nichts mit der Grundstimmung zu tun haben. Womit wir wieder bei Charles Bronsons gebeugtem "E" wären. Doch das ist eine andere Geschichte.

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