Süddeutsche Zeitung

Öffentlicher Nahverkehr:(K)ein Bus wird kommen

Um die Verkehrswende zu schaffen, muss auch der ÖPNV auf dem Land verbessert werden. Wie das gelingen kann, darüber diskutieren Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß und Fahrgastvertreter Andreas Barth bei einem Fachgespräch.

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Wer außerhalb Münchens von einem Ort zum anderen will, fährt in aller Regel mit dem Auto - Verkehrswende hin, Klimaschutz her. Doch daran hat in vielen Fällen nicht etwa die Bequemlichkeit Schuld, sondern eher die Tatsache, dass der öffentliche Nahverkehr in der ländlich geprägten Region nicht genügend ausgebaut ist. Das führt dazu, dass es entweder gar keine Verbindungen von A nach B gibt, oder es aber auf den vorhandenen Linien zu Verspätungen und Ausfällen kommt. "Ich hatte Glück, ich bin pünktlich angekommen", sagte deshalb Landrat Robert Niedergesäß (CSU) am Montagabend, als er von Benjamin Hahn nach seiner jüngsten S-Bahn-Erfahrung gefragt wurde. Der Pressesprecher der Energieagentur Ebersberg-München hatte den Chef der Kreisbehörde zusammen mit Andreas Barth vom Pro Bahn Bezirksverband Oberbayern zu einem Online-Fachgespräch über die Verkehrswende auf dem Land geladen. Das Ergebnis des Abends: Es gibt noch viel zu tun.

Das gilt vor allem für ein Fortbewegungsmittel, für das der Landkreis selbst gar nicht zuständig ist: Die S-Bahn sei zwar das Rückgrat der Mobilität in der Region, sagte Niedergesäß, "die Situation ist aber noch sehr unbefriedigend". Der Landrat kritisierte in seinem Vortrag, dass der Ausbau des Schienenverkehrs über Jahrzehnte vernachlässigt worden sei. "Das alles jetzt aufzuholen, ist schier unmöglich - sowohl organisatorisch, als auch finanziell." Die Konsequenz davon sei, dass viele Menschen dem ÖPNV den Rücken kehrten und doch lieber mit dem eigenen Auto fahren würden.

Der MVV soll um weitere zehn Landkreise und kreisfreie Städte wachsen

Obwohl die Instandsetzung und der Ausbau des Schienenverkehrs in der Hand des Bundes liegt, versucht der Landkreis Ebersberg zusammen mit seinen derzeit sieben Partnerregionen im MVV Verbesserungen für die Fahrgäste zu erwirken. Das habe etwa bei der jüngsten Tarifreform gut funktioniert, als auf Drängen der Landkreise die Ticketpreise gesenkt und die komplizierte Zonen-Regelung abgeschafft worden seien. "Das war ein großer Fortschritt", so Niedergesäß, der auch Sprecher der MVV-Landkreise ist - sein intensivstes Ehrenamt, wie er selbst sagte. Um dem Verbund weiter an Gewicht zu verleihen, soll dieser künftig um zehn Landkreise und kreisfreie Städte - wie etwa den Rosenheimer Raum - erweitert werden, kündigte Niedergesäß an.

Während der MVV die Verkehrswende im Münchner Großraum im Blick hat, kann auch jeder Landkreis für sich aktiv werden. In Ebersberg habe man etwa im Jahr 2019 den Nahverkehrsplan verabschiedet, so der Landrat. Dieser werde seither kontinuierlich umgesetzt, etwa durch eine stetige Taktverdichtung bei den Buslinien oder jüngst durch das Konzept der Rufbusse, das sich bereits in Fürstenfeldbruck bewährt hat. Dabei handelt es sich um Buslinien, die nur auf Bedarf - also nach vorheriger Anmeldung durch einen Fahrgast - bedient werden, wie Niedergesäß auf Rückfrage eines Zuschauers erklärte. Durch das neue Konzept sei es gelungen, mehrere kleine Weiler im Landkreissüden an den ÖPNV anzubinden. "Wir wollen die Rufbuslinien auch hier zu einem Erfolg machen", sagte Niedergesäß.

Das - so wie die Verkehrswende im Allgemeinen - kann jedoch nur gelingen, wenn ausreichend finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen. "Wir brauchen frisches Geld vom Bund", forderte der Landrat, "da geht es um Milliarden." Der Wunsch von Niedergesäß wäre es deshalb, den ÖPNV zur Pflichtaufgabe von Kommunen zu machen, um die Finanzierung sicherzustellen. In diesem Punkt stimmte auch Andreas Barth zu, der stellvertretende Vorsitzende des Pro Bahn Bezirksverbands Oberbayern. Bei anderen Themen gingen die Meinungen des Fahrgastvertreters und des Lokalpolitikers dagegen deutlich weiter auseinander. Etwa was den Antrieb der Zukunft betrifft: Landrat Niedergesäß machte sich für die Wasserstofftechnologie stark, während Barth seine Hoffnungen eher in die Elektromobilität setzt.

Auf sein Auto kann und will der Landrat nicht verzichten

Grundsätzlich kritisierte der Pro Bahn-Vorsitzende, dass es noch zu langsam vorangehe mit dem ÖPNV-Ausbau im ländlichen Raum. "Wir sehen auf kommunaler Ebene zwar oft den Willen, etwas zu machen. Wir würden uns aber noch mehr Ehrgeiz wünschen." Vor allem bei der sogenannten letzten Meile, also der Wegstrecke vom Wohnort zu den Nahverkehrsangeboten, sieht Barth Nachholbedarf. "Wir müssen da hinkommen, dass man auch wieder zu Fuß zum Einkaufen gehen kann", so der Fahrgastvertreter, der deshalb ein Umdenken in der Siedlungsplanung fordert: "Wir müssen dort bauen, wo der ÖPNV ist, beziehungsweise den ÖPNV dort hinbringen, wo gebaut wird." Gerade in Ebersberg gebe es in dem Punkt noch einiges zu tun, so Barth, der auf eine Umfrage verwies, wonach sich über 60 Prozent der Landkreisbürger schlecht an den Nahverkehr angebunden fühlen.

Einig waren sich die beiden Gesprächspartner wiederum darin, dass für eine erfolgreiche Verkehrswende die bürokratischen Hürden abgebaut werden müssen. Und sogar auf Bekenntnis von Robert Niedergesäß hin, dass er als Chef der Kreisbehörde mit vielen Vor-Ort-Terminen nicht auf das Auto verzichten könne, gab es überraschend Zustimmung vom Fahrgastvertreter: "Ich selbst habe zwar kein Auto", sagte Andreas Barth, "aber ich habe auch andere Mobilitätsanforderungen als ein Landrat."

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