Süddeutsche Zeitung

Verkehr im Landkreis Ebersberg:Gemeinden drücken aufs Tempo

Vielerorts im Landkreis Ebersberg gibt es Bestrebungen, den innerörtlichen Verkehr auf 30 Stundenkilometer zu beschränken. Mit einer neuen Initiative wollen die Kommunen dem Bund nun Druck machen.

Von Wieland Bögel, Johanna Feckl und Andreas Junkmann, Ebersberg

Der Mobilitätssektor erlebt in diesen Zeiten den wohl größten Umbruch seit der Erfindung des Autos. Während selbiges künftig vorzugsweise mit nachhaltiger Energie bewegt werden soll, stehen auch andere Verkehrsgrundsätze auf dem Prüfstand, etwa die Geschwindigkeit, mit der Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein sollen. Immer wieder ploppt deshalb die Debatte um ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen von 130 Stundenkilometer auf, aber auch innerorts sollen die Fahrerinnen und Fahrer künftig den Fuß vom Gaspedal nehmen. Das zumindest ist die Forderung vieler Kommunen, die sich eine Beschränkung auf Tempo 30 in ihren Ortsgebieten wünschen würden. Auch im Landkreis Ebersberg wächst die Zahl der Fürsprecher.

Deren Stimme aber hat aktuell noch nicht allzu viel Gewicht, denn eine Beschränkung auf 30 Stundenkilometer kann derzeit nur ausgewiesen werden, wenn an einer bestimmten Stelle eine konkrete Gefährdung vorliegt. Auf eine solche können Kommunen zwar hinweisen, die letztendliche Entscheidung über ein Tempolimit liegt aber dann bei den übergeordneten Behörden, etwa dem Straßenbauamt. Das soll sich nach Wunsch einiger Gemeinden aber künftig ändern. Die bundesweite Städteinitiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten" setzt sich dafür ein, dass künftig in den Rathäusern entschieden werden kann, mit welchem Tempo Autos durch das Gemeindegebiet fahren.

Mehr als 500 Städte und Gemeinden beteiligen sich an der bundesweiten Initiative

Mehr als 500 Kommunen aus ganz Deutschland haben sich dem Bündnis bereits angeschlossen, darunter Poing, Pliening und seit Kurzem auch Zorneding. Dort hatte die SPD-Fraktion in der jüngsten Sitzung des Gemeinderates den Vorschlag auf die Tagesordnung gebracht, ebenfalls Teil der Initiative zu werden. "Das geltende Straßenverkehrsrecht setzt den Kommunen enge Grenzen", sagte Antragstellerin und Zweite Bürgermeisterin Bianka Poschenrieder. Seit längerem schon wolle man im Zornedinger Ortsgebiet flächendeckend Tempo 30 einführen, sei bislang aber stets daran gescheitert, dass das Straßenbauamt an vielen Stellen keine Gefährdung sieht. Mit diesem umständlichen Dienstweg soll künftig Schluss sein: Der Bund solle die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Kommunen selbst über ihren innerörtlichen Verkehr entscheiden können, lautet die Kernforderung der Initiative. Schließlich kenne man sich vor Ort besser aus, als eine übergeordnete Behörde.

Neben der Verkehrssicherheit und dem geringeren Schadstoffausstoß gibt es aus Sicht der Zornedinger SPD noch ein weiteres Argument, das für Tempo 30 im gesamten Gemeindegebiet spricht: "Das würde den schlimmen Schilderwald im Ort beseitigen", so Poschenrieder, die auf die vielen unterschiedlichen Regelungen verwies. Von den meisten anderen Gemeinderäten gab es dafür viel Zustimmung, Tempo 30 habe oberstes Gebot, sagte etwa Helmut Obermaier (Grüne). "Wir wollen das Heft in die Hand nehmen." Auch von dessen Fraktionskolleginnen Barbara Weiß und Giulia Hillebrand gab es Lob für die Initiative, die es Kommunen ermöglichen soll, in der Geschwindigkeitsfrage eigenständig zu handeln.

In Poing hatte man nicht lange überlegt, sich der Initiative anzuschließen. Bürgermeister Thomas Stark (parteilos) betont, dass die Zusammenarbeit mit den übergeordneten Behörden im Straßenbereich zwar gut funktioniere - dennoch würde er sich für seine Gemeinde mehr freie Hand wünschen. "Wo sich bei uns immer wieder die Diskussionen entzünden, das sind die Kreisstraßen", sagt er. Zum Beispiel wäre seiner Meinung nach in der Anzinger Straße im Bereich der Maibaum-Kreuzung ein Tempo-30-Limit angebracht. Mehrmals hat die Rathausverwaltung bereits versucht, hier etwas zu bewirken, doch jedes Mal erfolglos. "Es muss eine Gefahrenlage bestehen, um hier etwas zu ändern, und die besteht aber nicht", so der Bürgermeister. Wenn es nach der Gemeinde ginge, würde aber auch eine einfache Gefährdungslage das gewünschte Tempolimit rechtfertigen. "Aber wir haben da einfach keinerlei Kompetenzen."

Eigenständiges Handeln würde man sich auch andernorts im Landkreis Ebersberg wünschen, etwa in Kirchseeon. Seit Jahren kämpft der Markt Kirchseeon gegen den durch die Bundesstraße verursachten Verkehrslärm. Zuletzt hatte ein Gutachten ergeben, dass dieser vor allem für die direkten Anlieger weit jenseits des erträglichen Maßes liegt. Eine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen, wäre ein für das Ortsgebiet geltendes Tempolimit auf der B304 von 30 Stundenkilometer. Ein solches kann die Marktgemeinde aber nicht einfach so festsetzen, sondern ist auf die Entscheidung des Straßenbauamts angewiesen. Von dort gibt es bisher allerdings keine Signale, dass sich bei diesem Thema auf absehbare Zeit etwas tun könnte.

Auch in Oberpframmern wünscht man sich Tempo 30

Etwas passieren soll auch auf der Staatsstraße 2079 durch Oberpframmern. Der örtliche Arbeitskreis Energiewende hat dazu jüngst einen Antrag beim Landratsamt eingereicht, um eine Beschränkung auf Tempo 30 zu erwirken. Der AK argumentiert dabei vor allem mit der Sicherheit von Fußgängern, die gerade im Ortskern häufig die Fahrbahn überqueren würden. Die Verkehrswende könne nur gelingen, "wenn die vulnerableren Gruppen im Straßenverkehr entsprechend geschützt werden und ihre Teilhabe am Straßenverkehr gefördert wird", heißt es in dem Schreiben. Tempo 30 würde zudem zu mehr Lebensqualität, Luftqualität und weniger Lärmbelastung beitragen.

Auch in der Kreisstadt Ebersberg gibt es seit Jahrzehnten immer wieder Vorstöße für Tempo 30 auf der Staatsstraße 2080. Doch dies wurde bisher stets vom zuständigen Straßenbauamt in Rosenheim abgewiesen. Die zweite Durchgangsstraße, die ehemalige B304, ist zwar seit Ende 2010 in städtischer Zuständigkeit, da dort aber zu viel überörtlicher Verkehr unterwegs sei ist laut Stellungnahmen der übergeordneten Verkehrsbehörden kein Tempo 30 möglich. Damit der Verkehr zumindest etwas langsamer nach Ebersberg einfährt, wurde 2018 beschlossen, einen Kreisverkehr am westlichen Ortseingang zu bauen - der allerdings frühestens zusammen mit der neuen Verkehrsführung für das geplante Wohngebiet Friedenseiche VIII umgesetzt wird.

Zumindest einen Teilerfolg erzielten vor knapp zehn Jahren die Anlieger der B304 in Vaterstetten mit ihrer Forderung nach Tempo 60, inzwischen gilt immerhin 70 im Gemeindegebiet. Keinen Erfolg hatte dagegen Versuche, auf den beiden Durchgangsstraßen von der B304 nach Norden - der Möschenfelder und der Karl-Böhm-Straße - Tempo 30 einzurichten. Erstere ist die Kreisstraße EBE 17, und das zuständige Landratsamt sprach sich dagegen aus. Letztere ist zwar eine Gemeindestraße, aber wie in Ebersberg von überregionaler Bedeutung. Als der Gemeinderat Ende 2020 über ein Tempolimit auf Höhe der Bahnunterführung diskutierte, stellte die Polizei klar, dass sich kein Autofahrer daran halten müsse - die Regelung wäre illegal.

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