Ebersberg:Vergnügen wie gedruckt

Das Kabarettduo "Ohne Rolf" im Alten Speicher

Von Victor Sattler, Ebersberg

Die Leser einer Tageszeitung sind einigermaßen dankbar, dass ihnen die Buchstaben nicht auf der Nase herumtanzen: Dass Kommata nicht den Platz wechseln, Konsonanten nicht geklaut werden oder vom Papier abfallen, dass sich die Reihenfolge der Sätze nicht spontan ändert und die Tinte nicht auf der Seite verläuft. All das aber passiert im verschriftlichten Kabarett-Dialog des Kleinkunstduos Ohne Rolf - und für jeden, der sich von geschriebenem Wort vor allem Verlässlichkeit erhofft, sind diese Papiertricks ein Chaos vor dem Herrn. Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg indes sind dafür bekannt, dass sie dem Publikum nicht die Leviten lesen, sondern dieses selber lesen lassen: Auf großen, gelochten Papierplakaten, welche die beiden stummen Darsteller am Freitagabend im Alten Speicher geschwind umblättern und gut lesbar über zwei Stangen hängen, kommunizieren sie in Wortfetzen und Kurzsätzen miteinander, aber in solchen, aus denen ständig noch alles werden kann, indem etwa eine Sechs zur Neun getrickst oder einzelne Zeichen verschoben werden.

Mit dieser Masche haben Wolfisberg und Anderhub die Komik bereits auf ihrer weißen Seite. Alle Plakate sind vorgedruckt, aber die wörtliche Rede darauf soll ganz spontan klingen: Es wird schriftlich gestottert, sich mal verplappert und man darf sich auch gegenseitig unterbrechen. Dabei regt sich aber, selbst im größten Eifer und der ärgsten Zickerei, bei den beiden kein einziger Gesichtsmuskel. Das ist ungewohnt und schräg. Und die Stille, die dabei zwangsläufig entsteht, ist so unerträglich, dass manche Zuschauer anfangen, die Pointen von den Plakaten laut abzulesen - in einer Art ungläubigem und verstohlen-hysterischem Aufschrei.

Dabei ist das so doch voll zeitgemäß. In einem Chat poppen ja auch nur eine Handvoll neue, stumme Lettern auf, und trotzdem kann dort das Schicksal der Menschheit zur Genüge diskutiert werden. Richtig interessant wird das Programm aber erst, als die beiden die Zuschauer durchbrechen: "Die Plakate von Jonas sind gezählt!", kündigt Bühnenpartner Wolfisberg auf einem Plakat an, noch im Laufe des Abends werde ihm das Papier ausgehen, und damit der Lebenssaft. Denn kein Papier heißt Tod, in der Welt von Ohne Rolf. Deshalb müssen die Zuschauer sich nun wider Willen als Ersatz-Blätterer um Anderhubs Job bewerben und werden einer um den anderen auf die Bühne geholt, um schon mal vorab zu trainieren. Partizipation in Echtzeit ist ja leider schriftlich nicht möglich - wenn Ohne Rolf mit einem Kescher Gedanken über den Köpfen wegfangen, ist zwar egal, was die Person denn wirklich gedacht hat, aber wenn sie nun jemanden in den Scheinwerferkegel bitten? Drei Plakate statt zwei werden nun jeweils gezeigt, aber nur zwei von drei Blätterern wissen, was draufsteht. Die rausgepickten Zuschauer funktionieren in den Rollen jedoch so gut, als ginge es hier nicht mit rechten Dingen zu, als wären sie eingeweiht. Ein Zauberer verrät nie seine Tricks, aber gibt es hier überhaupt einen? Höchstens eine unauffällige Einheit, mit welcher die Probanden unterrichtet werden, was sie als nächstes tun sollen, damit die Nummer aufgeht - technisch raffiniert also.

Alles, was man an der Show bemängeln könnte, wissen Ohne Rolf selbst, und sagen es lieber schnell zuerst: Beim Anblick der großen Bücher zum Beispiel, die sich aus den aberhundert Plakaten anhäufen, muss mancher Öko heftig schlucken. Aber auf Jute gedruckt schaue es eben nicht gut aus. Und laut ausgesprochen wurde das alles längst irgendwo schon mal. Papier hingegen ist geduldig, heißt es zumindest immer, einen komplexeren Inhalt brauchen Anderhub und Wolfisberg auf dem begrenzten Platz nicht zu liefern. Ihre Charaktere, der Versicherungs-Heini oder die Ami-Touristin, sind leider so flach wie die Plakate. Politisch wollen Ohne Rolf aber gar nicht sein und philosophisch nur innerhalb ihres eigenen Reichs: Klar, ob die zwei Freunde, die sich an einer Pariser Theaterakademie kennenlernten, in die Welt gesetzt wurden, um lustige Plakate zu flippen, können sie nicht mit Bestimmtheit sagen. Was die Buchstabenschieber in Bezug auf das Leben bloß wissen, ist: Nach dem Komma kommt irgendwann der Punkt. Und nach dem Punkt geht es zum Glück immer weiter.

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