Ebersberg:Der Überspitzer

Gehirnforscher Manfred Spitzer

Manfred Spitzer ist in der Wissenschafts-Szene umstritten, beim Ebersberger Publikum kam der 58-Jährige jedoch gut an.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Hirnforscher Manfred Spitzer warnt im Alten Speicher davor, dass Kinder durch digitale Medien schlechter lernen

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Manfred Spitzer hat einen Professor- und zwei Doktortitel in seiner Vita stehen - und wenn es einen akademischen Grad für Rhetorik und Unterhaltung gäbe, dann wäre der Gehirnforscher aus Ulm wahrscheinlich auch da ganz vorn dabei. Am Mittwoch, so hieß es in der Ankündigung, hätte Spitzer in Ebersberg einen wissenschaftlichen Vortrag halten sollen, doch was die 500 Gäste im nahezu ausverkauften Alten Speicher zu hören und sehen bekamen, war weniger das Referat eines Forschers als ein flammendes Plädoyer eines Missionars: Spitzer, soweit wussten es viele Gäste bereits aus seinen Büchern, hat sich dem Kampf gegen digitale Medien verschrieben. Er will den Kern allen Übels ausgemacht haben: das Smartphone.

Auch wenn die Reaktionen des Ebersberger Publikums an diesem Abend wenig Hinweise darauf gaben: Spitzer, Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer an der Universitätsklinik Ulm, ist in der Forscherszene äußerst umstritten. Seine Kritiker nennen Spitzer einen Populisten, der ein gesellschaftliches Phänomen zu Geld macht. Nämlich, dass immer mehr Eltern überfordert sind, ob der Gier ihrer Kinder nach Laptop, iPad oder Playstation. Andere feiern Spitzer für seine Studien-Sammlung, aus der hervor gehen soll, dass Schüler durch Smartphones verblöden. Oder wie Spitzer es in Ebersberg ausdrückte: "Wenn man das Smartphone an Schulen verbietet, werden die Schüler besser."

Spitzer ist zweifelsohne ein talentierter Rhetoriker und versteht es trotz seines akademischen Detailwissens, die Dinge einfach auszudrücken und auf den Punkt zubringen. Dabei spricht Spitzer, der Arzt und Buchautor, stets zugespitzt und eigentlich ist das noch eine Untertreibung: Spitzer ist ein Überspitzer. Für Sätze wie, "Wenn Sie eine Playstation verschenken, dann verschenken Sie schlechte Noten", erhielt er viel Applaus im Alten Speicher.

Bei seinem Feldzug gegen die Verknüpfung von Unterricht mit digitalen Medien gab sich der 58-Jährige genauso undifferenziert wie in seinen Bestsellern "Cyberkrank" und "Digitale Demenz", von denen zu später Stunde noch Dutzende Exemplare handsigniert über den Ladentisch gingen. Spitzer knüpfte im Vortrag an beide Werke an, zitierte weltweite Studien, aus denen er seine Kernthesen destilliert: Wer sein Hirn nicht trainiert, der könne mit digitalen Medien nichts anfangen. Wer kein Vorwissen hat, dem bringe es auch nichts, auf Google nachzuschauen. Und: Schüler würden in iPad-Klassen deutlich schlechter lernen als im klassischen Unterricht.

Die Gegenthese lautet, dass digitale Schulbücher wegen ihrer Vielfalt und ihrer Orientierung zu aktuellen Bezügen Vorteile gegenüber gedruckten Schulbüchern haben - auch dazu gibt es wissenschaftliche Erhebungen. Diesen Teil der Debatte spart Spitzer aus, dabei könnte er ihn diskutieren, was Forscher tun sollten, um nicht als Populärwissenschaftler abgestempelt zu werden.

Klar: Ein Foto eines Babys, das in einer Wippe mit eingebautem iPad-Halter auf einen Bildschirm starrt, entfacht Wucht, wahrscheinlich erschrickt an dieser Stelle des Vortrags nicht nur das Ebersberger Publikum. Wissenschaftlich ist das zwar nicht, doch wer sein Publikum fast zwei Stunden lang bei Laune halten will - und das gelang Spitzer - der muss bisweilen auch zu einfachen Effekten greifen. Wie man zu Spitzers Wissenschaft auch stehen mag, klar ist, dass das Smartphone gerade bei Kindern eine Gefahr birgt. Bevor man einem 14-Jährigen ein Smartphone gibt, sagt Spitzer, solle man ihn lieber Autofahren lassen. Vielleicht wäre es klüger, über einen Handy-Führerschein nachzudenken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: