Als Bettina Goldner in die Küche bittet, kriecht einem der Duft von Gebackenem in die Nase – ganz sanft nur, lange kann der Backofen noch nicht an sein. „Die Quiche habe ich schon fertig“, sagt sie, blickt zum Herd und schiebt hinterher: „mit Speckwürfeln“. Es sei noch gar nicht so lange her, dass sie dieses Produkt im Supermarkt entdeckt habe. Klar, dass sie es gleich ausprobieren wollte. „Ich find’ die richtig gut, man merkt keinen Unterschied“, sagt Goldner – denn es sind vegane Speckwürfel. „Und zum Nachtisch gibt’s Mousse au Chocolat.“ Sie zeigt auf die Arbeitsfläche in der Küche, auf der sie Zartbitterschokolade und Seidentofu – eine weichere Variante des herkömmlichen Tofus – deponiert hat. Beide Zutaten sind vegan, denn auch die Nachspeise soll ganz ohne tierische Erzeugnisse auskommen.
Bettina Goldner aus Ebersberg ist Veganerin, schon lange. Es war ein Prozess. Vor 30, 35 Jahren, so um den Dreh herum, begann sie, sich vegetarisch zu ernähren. Vor 20 Jahren stellte sie mehr und mehr auf vegan um, ließ also alle tierischen Lebensmittel weg: Kuhmilch, Eier, Käse – sie weitete den veganen Gedanken konsequent aus, verschenkte Kleidung mit Bestandteilen aus Leder und Wolle. Sie wollte nicht mehr vom System Massentierhaltung profitieren. „Es ist grauenhaft, wie die Tiere da behandelt werden“, sagt sie.
Laut einer Allensbacher Analyse bezeichneten sich im Jahr 2023 insgesamt 1,52 Millionen Menschen in Deutschland als Veganer oder als Menschen, die weitgehend auf tierische Produkte verzichten – also knapp 1,8 Prozent der Bevölkerung. 2015 waren es noch fast um die Hälfte weniger, 850 000 Menschen, also 1,03 Prozent gemessen an der damaligen Einwohnerzahl.
Obwohl also auch heute nur ein kleiner Teil der Menschen vegan lebt, ist klar: Die Gruppe wächst – heute gilt Veganismus vor allem im urbanen Raum als trendiger Lifestyle, hipp, aufgeklärt, gegen den Strom der Massen. Doch damals, als Bettina Goldner damit angefangen hat, konnte davon keine Rede sein – erst recht nicht in einer ländlichen Region wie Ebersberg, abseits der Großstadt. Wie hat sie diese Umstellung also hinbekommen?
„Damals war das wirklich schwer“, sagt Goldner. Sojamilch zum Beispiel. Vor 20 Jahren musste sie extra dafür in den Bio-Supermarkt, und selbst da hatte sie keine Garantie auf Erfolg – und wenn, dann war es ein sehr teurer Erfolg, wie sie sagt. Wie viel genau sie zu jener Zeit für eine Packung Sojamilch bezahlt hat, kann sie heute aber nicht mehr sagen.
Veganer hätten nicht automatisch Vitamindefizite, sagt der Arzt Daniel Plecity
Auch Süßigkeiten gab es kaum vegane, überall waren Vollmilch, Butter oder Eier Bestandteile – oder gleich Schweinegelatine, wie heute noch in den meisten Gummibärchen. „Für meine Tochter habe ich ab und zu Fruchtschnitten in der Apotheke gekauft, wenn sie mal etwas Süßes wollte“, erzählt Goldner. Die Tochter wollte nämlich vegetarisch essen, später dann vegan, auch der jüngere Sohn wollte auf Fleisch verzichten, noch bevor Bettina Goldner ihre eigene Ernährungsweise umgestellt hatte – die Kinder waren es, die die Mutter zum Nachdenken bewegten: Braucht’s das eigentlich, Fleisch, Milch, Eier und Co?
Wenn man die differenzierten Ausführungen von Daniel Plecity zusammenfasst, dann lautet die Antwort: Es kommt darauf an. Der 46-jährige leitende Oberarzt ist Internist, Gastroenterologe und Tumortherapeut sowie Leiter des Ernährungsteams an der Ebersberger Kreisklinik. Er sagt: „Sich als Veganer vollumfänglich mit den notwendigen Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen zu ernähren, ist schwierig.“ Er sagt aber auch: „Wer sich vegan ernährt, hat nicht automatisch ein Defizit an gewissen Nährstoffen.“
Bettina Goldner sagt, sie habe keine Mangelerscheinungen, während sie nun das Mousse au Chocolat, das sie zuvor aus der im Wasserbad geschmolzenen Schokolade, Seidentofu und etwas Wasser verquirlt hat, in drei Gläser verteilt. Einmal im Jahr lasse sie sich untersuchen. „Da ist immer alles perfekt.“
Das kommt aber nicht von ungefähr. Goldner nimmt synthetisch hergestelltes Vitamin B12 als Nahrungsergänzungsmittel zu sich. B12 braucht der Körper, um Blut zu bilden, Zellen zu teilen und Nervenhüllen aufzubauen – und steckt in natürlicher Form nur in tierischen Lebensmitteln wie etwa Fleisch, Käse, Quark oder Eier. Dort jedoch in den meisten Fällen auch nur, weil es den Tieren zugefüttert wird, zum Beispiel bei Schweinen oder Geflügel. Goldner geht sozusagen eine Abkürzung und nimmt das Vitamin direkt ein.
Das ist laut Plecity der entscheidende Punkt: „Ein überzeugter Veganer ist in der Regel informiert – er ist sich bewusst darüber, dass ihm manche Stoffe fehlen oder ein erhöhtes Risiko für einen Mangel besteht.“ Eisen und Protein seien, neben B12, zwei weitere kritische Bestandteile, ebenso wie Jod. Dementsprechend, so der Mediziner weiter, würde eben jeder überzeugte Veganer darauf achtgeben, alle wichtigen Nährstoffe zu sich zu nehmen, und sei es über Supplements. Kritisch sieht er Veganismus bei Kindern und Schwangeren. Hier seien die Nährstoffbedarfe anders gelagert, höher, manchmal aber auch niedriger. Damit sei auch das Risiko höher, in eine Schieflage zu rutschen mit im schlimmsten Falle weitreichenden Folgen wie Gefahren für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes.
Regelmäßig sollte man seine Nährstoffe kontrollieren lassen – nicht nur als Veganer
Wenn Veganismus durchdacht umgesetzt wird, sieht Plecity darin kein allgemeines gesundheitliches Problem. Die wirklichen Gefahren lägen bei einer anderen Ernährungsweise, sehr viel Fleisch und Wurst nämlich, generell viel fettige und zuckerhaltige Nahrungsmittel sowie alkoholhaltige Getränke, denn das befördere das metabolische Syndrom: Wenn Fettleibigkeit, Bluthochdruck, hohe Blutzucker- und Cholesterinwerte zusammenkommen, begünstigt das schwerwiegende Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „In den USA haben wir damit ein Riesen-Problem, aber auch bei uns wird es immer größer“, sagt der Internist. „Darüber sprechen aber die wenigsten.“
Regelmäßig sollten deshalb alle relevanten Werte beim Arzt kontrolliert werden, empfiehlt Plecity – das gelte keineswegs nur für Veganer. „Ich frage meine Patienten oft, ob sie ein Auto besitzen“, sagt er. Die meisten bejahten die Frage. Wenn er dann weiterfrage, wie oft dieses beim TÜV sei, komme die Antwort: alle zwei Jahre. „Genau das würde ich mir von meinen Patienten auch wünschen: alle zwei bis drei Jahre zum Gesundheits-TÜV.“
Bettina Goldner ist froh, dass sich beim Thema Vegetarismus und Veganismus in den vergangenen Jahren so viel getan hat. Zwar gebe es auf dem Land immer noch viele Lokale ohne ein einziges veganes Gericht auf der Karte. Aber, so Goldner, sie frage dann einfach nach, meistens finde sich dann schon etwas. „Wenn man nicht fragt, dann kommen die ja vielleicht gar nicht auf die Idee, dass eine Nachfrage bestehen würde.“
Aber Sojamilch zu kaufen, ist heutzutage auch abseits der Großstadt kein Problem mehr – übrigens: Der überwiegende Teil des angebauten Sojas wird zu Tierfutter verarbeitet, nicht zu Sojamilch, Tofu und Co. Die heutige Sojamilch lässt sich sogar in die Form eines festen und leckeren Milchschaums auf dem Cappuccino verwandeln – den serviert Goldner nach der Quiche, einem Tomaten-Feld-Salat und dem Mousse au Chocolat. Und auf dem veganen Schokokeks, den sie noch dazu reicht, macht sich der Sojamilchschaum besonders gut.