Ebersberg/Vaterstetten:Außer Kontrolle

Amtsgericht Ebersberg - Symbolbilder

Weil sie sich einer Fahrkartenkontrolle handgreiflich widersetzte, wird eine 27-Jährige vor dem Ebersberger Amtsgericht verurteilt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Am S-Bahnhof Vaterstetten bekamen die Fahrkartenprüfer kein Ticket gezeigt, dafür gab es Prügel und Fremdenfeindlichkeit. Eine 27-Jährige wird vor dem Amtsgericht deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt

Von Victor Sattler, Ebersberg/Vaterstetten

- "Eine junge Frau unter vielen Männern, ein lauter Konflikt - ich dachte erst, sie, die Frau, wäre in Gefahr", berichtete die Zeugin, die auch die Polizei gerufen hatte. Allerdings war es nicht die Frau, sondern es waren die Männer, die nach der Polizei verlangten. Denn was für die Zeugin wie ein Sexualdelikt am S-Bahnhof in Vaterstetten aussah, erwies sich als Fahrkartenkontrolle außer Kontrolle. Die Frau musste sich nun wegen Körperverletzung vor dem Ebersberger Amtsgericht verantworten.

"Wenn Sie den Herren einfach Ihren Fahrschein gezeigt hätten, wäre der Rest ausgeblieben", resümierte Richter Markus Nikol. Mit einem kurzen Seufzer fasste er fünf verworrene Zeugenaussagen zusammen, die sich ständig selbst und gegenseitig widersprochen hatten. Zeitweise beschrieben die Zeugen eine Art Comic-Wolke, in der sich nur lose Fäuste ausmachen ließen, die gleich darauf wieder verschwanden. Einzig unbestritten blieb, dass zwischen zwei Kontrolleuren und zwei Fahrgästen eine ganze Reihe an Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten ausgetauscht worden war.

"Sie hat Ihnen mit der linken Hand ins Gesicht geschlagen? Ihnen einen blutigen Kratzer zugefügt? Einfach so rumgespuckt?", las Nikol einem der beiden Kontrolleure aus dem Polizeibericht vor. "Und Sie waren in der Folge zwei Tage lang arbeitsunfähig?" Der Mann konnte sich aber nicht erinnern, irgendwelche Angaben bei der Polizei gemacht zu haben. Da die unmittelbar Beteiligten keine übereinstimmende Geschichte wiedergaben, suchte der Richter bei Beobachtern nach Aufklärung. Eine junge Zeugin, die sich zur Tatzeit am S-Bahnhof aufhielt, hatte geistesgegenwärtig ein Sprachmemo aufgenommen. Aus dem Transkript gingen die Drohungen der Angeklagten hervor: "Du wirst bluten", prophezeite sie den Kontrolleuren. Außerdem hatte sie sich aggressiv und offenkundig rassistisch über Herkunft und Hautfarbe der Männer geäußert, sie als "Kanaken" beschimpft, als "scheiß Türken", die "in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen sollten."

Arbeit - das war zunächst ja der Grund, weshalb sich die Kontrolleure im Februar 2016 der Frau näherten. Sie hätten ihren Job machen wollen. Als die Angeklagte vor ihnen aus der S-Bahn auf den Vaterstettener Bahnsteig floh, waren sie ihr folglich nachgegangen. "Vielleicht auf nicht sehr professionelle Weise", räumte der Staatsanwalt ein. Die Kontrolleure beteuerten aber, sich auch gleich als solche ausgewiesen zu haben. Der Dienstausweis am Schlüsselbund gab weit mehr Rätsel auf, als man einem laminierten Papier zutrauen mag: An welchem Punkt wurde der Angeklagten ein Ausweis gezeigt, damit sie die Männer als Kontrolleure identifizieren konnte? Und kurioser: "Wollte die Frau Ihnen den Ausweis stehlen?", rätselte Richter Nikol. Die Männer konnten jedoch nur bestätigen, dass die Frau daran gezogen habe. Ein Raubmotiv hielt die Verteidigung für abseitig. "Was will sie denn mit deren Kontrolleurs-Ausweis?", fragte die Anwältin in die Runde.

Ein Freund der Angeklagten, der am besagten Tag dabei war, schilderte dem Gericht, wie die 27-Jährige von den Kontrolleuren "im Schwitzkasten eingekesselt" worden seien: Von hinten angegangen, gewürgt und, schon am Boden festgehalten, habe man sie noch immer getreten. "Sie müssen doch die Frau in Ruhe lassen", war er überzeugt. Ihre Rechte habe er auch gleich gegoogelt und fand heraus: Ohne, dass ein Ausweis vorgezeigt wird, dürften die Kontrolleure sie gar nicht aufhalten.

Seine Schilderung des Streits dementierte aber wiederum eine Beobachterin, laut deren Auffassung die Angeklagte zu keinem Zeitpunkt am Boden festgehalten worden sei. Stattdessen habe "die Frau einem Kontrolleur seine Brille aus dem Gesicht gewatscht, mit der flachen Hand", so die Zeugin. "Ich saß dann auf der Bank - und neben mir lag die zerbrochene Brille."

Angesichts solcher Ungereimtheiten schienen alle Anwesenden dankbar, dass Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu einer Absprache kamen: Die Angeklagte räumte auf Anraten ihrer Anwältin zwei Sätze der vorsätzlichen Körperverletzung ein. Dieses Geständnis hielt ihr der Richter zugute, außerdem berücksichtigte er bei seiner Entscheidung, dass die Angeklagte Hartz IV bezieht und zwei kleine Kinder hat. Erschwerend wirkte auf Urteil und Geldstrafe hingegen ihr Vorstrafenregister: "Es besteht Rückfallgefahr, denn beim letzten Mal haben Sie es auch nicht verstanden."

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