Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Vater benutzt seinen Sohn als Marionette und setzt sich ins Ausland ab

Um der Familie einen Gefallen zu tun, gründen zwei junge Menschen eine Firma - und ruinieren damit ihr Leben.

Aus dem Gericht von Andreas Junkmann, Ebersberg

Jahrelang hatte er von seinem Vater nichts mehr gehört, der Kontakt war komplett abgebrochen. Plötzlich aber stand dieser vor der Tür des heute 22-Jährigen - mit einer Bitte: Da er nicht kreditfähig sei, solle ihm der Sohn dabei helfen, ein Unternehmen zu gründen. Er sei die letzte Rettung für die Familie. Dieses Gespräch fand vor etwa fünf Jahren statt. Heute liegt die Beziehung der beiden erneut auf Eis. Eigentlich hätte es nun ein Wiedersehen am Ebersberger Amtsgericht geben sollen, doch dazu kam es nicht. Während sich der Vater auf der Flucht vor der Polizei wohl ins Ausland absetzt hat, musste der Sohn nun ausbaden, was ihm seine Gutgläubigkeit im Jahr 2015 eingebrockt hatte.

Ganz alleine war der junge Mann dennoch nicht am Mittwochvormittag. Neben ihm auf der Anklagebank saß die 23-jährige Stiefschwester seines Vaters. Beide mussten sich dem Vorwurf des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt stellen. Die weiteren Stühle neben den beiden blieben dagegen leer. Eigentlich hätten dort der Vater und dessen Lebensgefährtin Platz nehmen sollen, beide haben sich aber aus dem Staub gemacht und werden nun per Haftbefehl gesucht. Und so war es nun an den verbliebenen Beschuldigten, zu erklären, was genau vor rund fünf Jahren vorgefallen war.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft waren durchaus heftig. Über mehrere Monate hinweg sollen die beiden Beschuldigten als Geschäftsführer von zwei Reinigungsunternehmen im mittleren Landkreis Ebersberg Sozialabgaben unterschlagen haben. Im Fall der 23-Jährigen geht es um etwa 22 000 Euro, beim 22-Jährigen gar um knapp 160 000 Euro, um die er den Staat und seine Mitarbeiter geprellt haben soll.

Schnell wurde im Rahmen der Schöffenverhandlung unter dem Vorsitz von Richter Markus Nikol aber deutlich, dass es hier eigentlich die falschen Leute trifft. Beide waren zwar namentlich die Geschäftsführer der jeweiligen Unternehmen, haben mit dem operativen Geschäft aber gar nichts zu tun gehabt. Das Sagen hatte der untergetauchte Mann und dessen Lebensgefährtin, die den eigenen Sohn und die Stiefschwester als Marionetten benutzt haben. "Über das Geschäft weiß ich gar nichts, ich habe nur meinen Namen hergegeben", sagte die junge Frau vor Gericht.

Es steht auch der Verdacht der Geldwäsche im Raum

Und offenkundig wurde damit - genau wie im Fall des Mitangeklagten - ziemlich viel Schindluder getrieben. Der ermittelnden Beamtin vom Hauptzollamt zufolge, mussten die Mitarbeiter der Reinigungsfirma regelmäßig Zwölf-Stunden-Schichten schieben. Und das bei einer Bezahlung weit unter Mindestlohn, dafür in bar auf die Hand. Die gestellten Rechnungen dagegen seien deutlich höher gewesen. Zudem steht der Verdacht der Geldwäsche im Raum.

Von all dem haben die beiden am Mittwoch Anwesenden jedoch nichts mitbekommen. Während die Frau im Zeitraum der Straftaten gar nicht in der Region gewohnt hat, war der Mann bei seiner eigenen Firma nur als einfache Putzkraft beschäftigt. Erst als immer mehr Mahnbescheide vom Finanzamt gekommen sind, wurden die beiden stutzig und haben ihre Firmen aufgelöst. "Das war der größte Fehler, den ich je in meinem Leben gemacht habe", sagte der Mann nun über das blinde Vertrauen, das er damals in seinen Vater gesetzt hatte. "Ich bin jetzt 22 Jahre alt, habe Schulden und keine Wohnung."

Auch die Prozessbeteiligten waren sich schnell einig, dass die beiden Anwesenden nichts weiter als Laufburschen bei den kriminellen Machenschaften ihrer Verwandten waren. Da beide bei ihren unwissentlichen Straftaten gerade erst 18 Jahre alt geworden sind, musste sich auch ein Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe mit dem Fall beschäftigen. Dieser erkannte bei den Angeklagten "evidente Reife- und Entwicklungsverzögerungen". Vor allem die junge Frau habe einen "sehr einfach strukturierten Eindruck" auf ihn gemacht.

Dieser Auffassung folgten Staats- und Rechtsanwaltschaft sowie später auch das Gericht. Richter Nikol beließ es in beiden Fällen bei einer Jugendstrafe: die Frau muss 120 Sozialstunden leisten, der Mann 150. Deutlich härter dürfte es dagegen die beiden anderen Angeklagten treffen, oder wie Nikol zum Abschluss sagte: "Die wahren Täter sind noch flüchtig. Aber sie werden sich schon bald für ihre Taten verantworten müssen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4758314
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.01.2020/koei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.