Ebersberg:Unbekanntes Dickicht

Dorothee Herrmann und Brigitte Heintze stellen von Samstag an in der Galerie der Alten Brennerei Ebersberg aus. Ihr gemeinsames Motto lautet "Schnittmenge"

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Die künstlerische Schnittmenge, die es zwischen Dorothee Herrmann und Brigitte Heintze gibt, ist auf den ersten Blick schwer auszumachen. Die eine hält den Besucher mit ihren Arbeiten auf Distanz, Berühren verbietet sich angesichts der spitzigen Stacheln von selbst. Die andere hingegen lädt dazu ein, unter die Oberfläche zu blicken und zu schauen, welche Strukturen und Fundstücke es da zu entdecken gibt. Ihrer Gemeinsamkeiten wegen haben sich beide zusammen für die nächste Ausstellung in der Alten Brennerei beworben. Der Titel "Schnittmenge" soll diesen gemeinsamen Ansatz um Ausdruck bringen. Eröffnet wird am kommenden Samstag, 10. Oktober, um 18 Uhr.

Dorothee Herrmann trägt schwarz. Damit fügt sie sich farblich dem Grundton ihrer plastischen Arbeiten - einem schwarzen robusten Nähgarn, das sich in alle Richtungen dreht und windet. Der Faden ersetzt den Zeichenstift, er ist Linie, Gedanke, Konzept und Richtschnur, er schafft Verbindung und Verwirrung. Mit einem Kern aus Draht wird der Faden zum Stachel. "Rühr mich nicht an", so benennt sie eine ihrer Installationen. Auf dem Boden liegen weiße Keramikschalen, von denen schwarze seeigelartige Drahtfäden abstehen, wie seltsame, riesenhaft vergrößerte Mikroorganismen wirken die Objekte.

Ebersberg: Aus 429 Elementen besteht das gestrickte Blumenfeld mit Blüten aus umwickeltem Draht von Dorothee Hermann.

Aus 429 Elementen besteht das gestrickte Blumenfeld mit Blüten aus umwickeltem Draht von Dorothee Hermann.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch ein zweites Objekt, eine weiße Schaukel, deren Sitz mit weißen Stacheln gepolstert ist, lädt nicht gerade zum Hinsetzen und Ausruhen ein. Ironischerweise nennt die Künstlerin diese Arbeit "Von der Liebe", eher schon eine weitere Aufforderung, Berührungen zu vermeiden. Stachelig wirkt sogar ihre größte Arbeit, ein Blumenfeld mit 429 Drahtblüten, die mit schwarzem Strickgarn umwickelt wurden - ein Projekt, das mit Unterstützung weiblicher Strafgefangener in Aichach entstand. Die Frauen haben mit der "Strickliesel" gearbeitet, jenem Holzpüppchen mit Metall-Ösen am Kopf, mit dem kleine Mädchen sich früher die Zeit vertrieben. Sinn der Aktion war, jene obdachlosen Menschen an gemeinsamer künstlerischer Arbeit teilhaben zu lassen, sagt Herrmann. Die Drahtblüten stecken in Basaltquadern. Herrmann bezeichnet die eher an Chaos und Zerstörung erinnernde Installation als Feld der Erinnerung und Mahnung, aber auch der Hoffnung: Die letzte Blüte trägt als einzige ein grünes Blatt. Ergänzt werden die großen Objekte von zarten "Fadenzeichnungen". Hier spiegelt oder imitiert der Faden die Natur, ballt sich zu Nestern und Knäueln, erinnert an tote Insekten, formt sich zu Blättern, Bärten, Netzen, bildet Kurven und sogar Landschaften. Herrmann zitiert dazu den Philosophen Ernst Bloch: "Man achte gerade auf die kleinen Dinge, gehe ihnen nach. Was leicht und seltsam ist, führt oft am weitesten."

Das Kleine und Seltsame, es hat auch in Brigitte Heintzes Werk Gewicht. Eines ihrer Themen in dieser Ausstellung ist "Heimat". Und da Heimat kein unbeschriebenes Blatt sein kann, sondern eine Fülle von Assoziationen, sich überlagernder Erinnerungen und Bilder in sich birgt, arbeitet die Zeichnerin und Grafikerin mit benutzten Bildträgern, die eine Geschichte haben, mit alten Papieren, Leinwänden, Dias. Etwa bei der Installation "Heimat". Sie hat alte Dias von ihren Reisen aufgeschnitten, mit anderen Dias kombiniert und mit Filzstiften bemalt. Die sich überlagernden Motive projiziert sie auf Styroporplatten. Diese spalten die Bilder in mehrere Teile und verstärken so die räumliche und verfremdende Wirkung der Dias. Das Motiv verwandelt sich dabei fortwährend und schafft neue Zusammenhänge, so wie auch die Zeit Erinnerungen verändert und Dinge zum Verschwinden bringt. "Verschwundene Dinge" lautet auch der Titel einer zweiten Werkgruppe mit Drucken, deren Platten sie immer wieder überzeichnet.

Ebersberg: Brigitte Heintze hat sich bei diesen beiden Arbeiten von japanischen Zen-Gärten und deren grafischen Strukturen inspirieren lassen.

Brigitte Heintze hat sich bei diesen beiden Arbeiten von japanischen Zen-Gärten und deren grafischen Strukturen inspirieren lassen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Künstlerisch bewegt Heintze sich zwischen Heimat und Fremde. Bei Reisen nach Japan und Brasilien sowie einem Aufenthalt in Bulgarien, finanziert durch ein Stipendium, entstanden Bilder, bei denen das Kleine und Seltsame heraussticht. Bei den als Collagen angelegten Brasilienmotiven ist es das leuchtende Blau, mit dem man dort Armut und Trostlosigkeit überpinselt, ist es ein Ladenschild mit der Aufschrift "Geloeisca" ("Eis und Köder"), sind es Buden am Strand, die frittierten Fisch anbieten und mit gezeichneten Fischen, werben, die grinsend Geige spielen. Die Ebenen von Realität, die sich hier öffnen, beschreiben keine visuellen Eindrücke, sondern geben, wie die Künstlerin sagt, "eine tiefer gehende Vorstellung von dem, was das Leben ausmacht". Hier nun führen die so verschiedenen Wege der beiden Künstlerinnen zusammen.

Die Ausstellung "Schnittmenge" wird am Samstag, 10. Oktober, um 18 Uhr in der Galerie Alte Brennerei Ebersberg eröffnet. Die Laudatio hält Florian L. Arnold, der Abend Kunst und Musik findet statt am Donnerstag, 8. Oktober, 20.30 Uhr. Die Ausstellung dauert bis 1. November, geöffnet Freitag, 18 bis 20 Uhr, und Samstag und Sonntag, 14 bis 18 Uhr.

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