Ebersberger Polizeidienstelle Ein Überzeugungstäter

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Als auf einem Grundstück in Ebersberg Handgranaten und Kriegswaffen gefunden werden, ist natürlich auch Polizeichef Ulrich Milius (Mitte) an vorderster Front dabei.
Als auf einem Grundstück in Ebersberg Handgranaten und Kriegswaffen gefunden werden, ist natürlich auch Polizeichef Ulrich Milius (Mitte) an vorderster Front dabei. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Inspektionsleiter Ulrich Milius geht in den Ruhestand. Sieben Jahre war er Chef in der Ebersberger Polizeiinspektion, 44 Jahre Polizist und konstatiert eine enorme Veränderung der Gesellschaft. Dennoch würde er sich erneut für den Beruf entscheiden.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

So richtig ruhig, das kann man sich vorstellen, geht es im Leben eines Polizisten nur selten zu. Zumal dann nicht, wenn er Chef ist und in seinem Dienstbereich für alles zuständig. So wie vor ein paar Tagen, als auf einem Grundstück in Ebersberg Handgranaten und andere Waffen gefunden wurden, von denen man nicht wusste, ob sie hochgehen würden, wenn sie jemand anfasst. 80 Einsatzkräfte waren in kürzester Zeit am Fundort, und Ulrich Milius, der Noch-Leiter der Polizei in Ebersberg, mittendrin. Doch damit ist es von kommendem Dienstag an vorbei, sein Nachfolger, Andreas Petermeier, bisher stellvertretender Inspektionsleiter in Poing, übernimmt.

Ganz so wie die Polizeiarbeit gern im Fernsehen dargestellt wird, wo gefühlt im Sekundenrhythmus Morde passieren und Kriminaler zu Tatorten rasen, sei die Realität dann aber doch nicht, erklärt Milius gelassen. „Immer nur Krach und Bumm und Gewalt.“ Er schüttelt den Kopf und schiebt einen nachdenklichen Gedanken hinterher. Da werde vor allem jungen Leuten ein falsches Wirklichkeitsbild vorgegaukelt, „das ist doch lebensfremd“.

„Wir sind hier im Speckgürtel hochbelastet.“

Ulrich Milius hat in sein Dienstzimmer gebeten. Ein schlichter, schmuckloser Arbeitsraum im überraschend großen Gebäude der Ebersberger Polizei, das künftig 61 Beamte aufnehmen muss. „Alle Köpfe habe ich noch nicht“, sagt er, aber die Vergrößerung der zuvor häufig zu kleinen Belegschaft, war eine jener Veränderungen, die ihm wichtig war. „Wir sind ja hier im Speckgürtel hochbelastet“, und zum Glück habe es eine Personalbedarfsermittlung gegeben, von der Ebersberg profitiere. Zu den erfreulichen Veränderungen zählt Milius auch die Steigerung der Aufklärungsquote auf 70 bis 72 Prozent, oder die verbesserte Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie Landratsamt, Jugendamt und Kommunen, egal ob bei der Bewältigung der Corona-Krise, der Flüchtlingsproblematik oder der Vorbereitung auf einen befürchteten Blackout in diesem Winter. Nur gemeinsam sei es gelungen, dass das Grafinger Volksfest seinen Ruf als Prügelveranstaltung verloren habe. Gerade die Kommunikation mit Grafings ehemaliger Bürgermeisterin Angelika Obermayr streicht Milius dabei mehrmals heraus.

Täglich traf sich in Coronoazeiten frühmorgens der Krisenstab im Landratsamt, mit dabei auch der Chef der Ebersberger Polizei.
Täglich traf sich in Coronoazeiten frühmorgens der Krisenstab im Landratsamt, mit dabei auch der Chef der Ebersberger Polizei. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Leichter geworden aber sei die Arbeit in den 44 Jahren seiner Dienstzeit nicht, als Beispiel nennt er die Internetkriminalität: Fast die Hälfte der Anzeigen bezögen sich heute auf Mobbing, betrügerische Ebaykonten, Fake-Angebote, Hatespeech. „Früher hat der Nachbar gewusst, woher die Beleidigung gekommen ist, heute muss im Internet ja keiner mehr Angst haben, entdeckt zu werden. Da müssen wir uns drauf einstellen.“ Suche nach Online-Tätern also statt klassischer Spurensicherung. In Ebersberg gebe es bereits eine Gruppe von geschulten Beamten. „Und die älteren Kollegen sind ganz froh, wenn sie das an die Jungen abgeben können.“

Doch die Veränderungen würden auch an anderer Stelle deutlich.„Früher war man mit 60 alt, heute haben wir 70- und 80-Jährige als Täter.“ Auch die Verkehrsteilnehmer seien älter geworden – viele Parkrempler, Unfallfluchten und Vorfahrtsverletzungen seien die Folge. Problematisch sehe er auch ein neues Anspruchsdenken den staatlichen Institutionen gegenüber, sagt Milius, egal ob Staat, Schule oder Polizei. Auf der anderen Seite schwinde der Respekt. „Früher hat die Polizei was gesagt, und das hat auch gegolten, das ist nicht mehr so.“ Das gesellschaftliche Klima – wie auch das politische – habe sich verhärtet. „Schauen Sie nach Mannheim, (wo unlängst ein junger Polizist nach einer Messerattacke gestorben ist, Anm. d. Red.), oder denken Sie an die Kollegen, die ein Wilderer erschossen hat (Doppelmord an zwei Polizisten bei einer Autokontrolle in Rheinland-Pfalz 2022). Das ist eine kriminelle Energie, die man früher nur bei Terroristen gefunden hat.“

Und dann war sein erster Einsatz „Das Mädchen in der Kiste“.

Jener Terroristen etwa der RAF, die in Milius ersten Dienstjahren – er hatte 1981 bei der Bereitschaftspolizei in Dachau begonnen –, in den Amtsstuben präsent gewesen war. Die Ermordung des Siemens-Managers Karl-Heinz Beckurts und seines Chauffeurs in Straßlach 1986 fällt in diese Zeit. Die Arbeit in verschiedenen Dienststellen des Polizeipräsidiums München nach seiner Jugend im ländlichen Schnaitsee im Landkreis Traunstein war wohl nicht nur für „das Salär eines jungen Polizisten“ eine Herausforderung. Sein erster Einsatz sei gleich „Das Mädchen in der Kiste“ gewesen. Die zehnjährige Ursula Herrmann war 1981 entführt, in der Nähe des Ammersees in einer Holzkiste im Boden vergraben worden und darin erstickt – und der 19-jährige Ulrich Milius dabei, als die Leiche gefunden wurde. Ihr Anblick habe ihn damals zutiefst erschüttert. Milius schüttelt sich, als er davon erzählt, „ich kriege heute noch eine Gänsehaut.“

Seine Entscheidung für die Polizei aber sei nie ins Wanken gekommen. Er würde es immer wieder tun, betont Milius, und auf die Frage nach dem „warum“ eine ähnliche Antwort geben wie viele der jungen Leute, die sich seither bei ihm beworben hätten: Weil er den Menschen helfen wolle, indem er Recht und Gesetz durchsetze. Schließlich habe der Beruf des Polizisten so viele schöne Seiten, etwa die Freude eines Bestohlenen, der sein Rad zurückbekomme, das Lächeln einer Mutter, wenn er in den ersten Schultagen den Schulweg ihres Kindes absichere, die Dankbarkeit eines Demonstranten, den er bei einer Veranstaltung vor Angriffen abschirme. Und dann erzählt er von dem Kind, das er einmal in Steinhöring fast entbunden hätte, weil die Hebamme im Blitzeis erst im letzten Augenblick angeschlittert kam – und in ein parkendes Auto vor dem Haus krachte. „Das hatte ich mir immer vorgestellt, einmal ein Kind auf die Welt zu bringen, so klassisch, auf dem Rücksitz des Polizeiautos.“ So war es für ihn immerhin fast eine Hausgeburt geworden.

„Wir könnten unseren Beruf nicht machen, wenn wir es immer nur mit der dunklen Seite der Macht zu tun hätten.“ Und, fügt Milius hinzu: „Ich bin nach 44 Dienstjahren immer noch Überzeugungstäter.“ Nicht zuletzt auch, weil der Beruf in der Basisausbildung für jeden offen, später dann eine Qualifizierung für höhere Aufgaben möglich sei, ob für die Kriminalpolizei, ein Spezialeinsatzkommando oder die Hubschrauberstaffel. Wieder lacht er. „Vom Hubschrauberfliegen haben sie mir damals auch erzählt“, da sei allerdings nichts daraus geworden.

Seit 2017 war Ulrich Milius Dienststellenleiter in Ebersberg.
Seit 2017 war Ulrich Milius Dienststellenleiter in Ebersberg. (Foto: Christian Endt)

Dafür wurde Milius stellvertretender Dienststellenleiter in Poing, Erster Kriminalhauptkommissar und Leiter der Inspektionen Erding ab 2010 und Ebersberg ab 2017, auch war er Teil der Verhandlungsgruppe für Schwerstkriminalität beim Polizeipräsidium Oberbayern Nord. Dass der 61-Jährige die Dienststelle in Ebersberg – wo er seit Jahren zu Hause ist – nun in Richtung Ruhestand verlässt, ist zum Teil dem Siebenjahres-Rythmus geschuldet, den er sich selbst verordnet hat, zum Teil aber auch seiner Familie. Sieben Jahre seien eine gute Zeit, um als Chef Dinge bewegen zu können, erklärt Milius, danach sei es gut, zu gehen.

Reisen in den Norden, viele Bücher, die er lesen wolle – alles außer Krimis -, und eine neunmonatige Enkelin warteten nun auf ihn, die Tochter eines seiner beiden erwachsenen Söhne. „Da kann der Opa jetzt die Familie ein bisschen entlasten. Das tut dem Opa auch gut, da kommt er runter“, erklärt er. Weitere Pläne brauche er nicht für seine Zukunft als Pensionär, „ich will ja raus aus der Struktur“. Und sollte es ihm jemals langweilig sein, werde er das ebenso genießen wie die Tatsache, die Verantwortung eines Chefs losgeworden zu sein, die ihn so manches Mal nachts aus dem Schlaf geholt habe.

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