Krankheiten unter Geflüchteten:"Der erste Fall wird kommen"

Krankheiten unter Geflüchteten: Geflüchtete aus der Ukraine sind bisweilen mit dem eigenen Auto vor dem Krieg bis nach Deutschland geflohen.

Geflüchtete aus der Ukraine sind bisweilen mit dem eigenen Auto vor dem Krieg bis nach Deutschland geflohen.

(Foto: Christian Endt)

Durch die ukrainischen Geflüchteten stehen Hausärzte vor neuen Herausforderungen wie etwa Tuberkulose. Wie gelingt die Versorgung? Ein Gespräch mit Mediziner Marc Block.

Interview von Johanna Feckl, Ebersberg

Mit Beginn des Kriegs in der Ukraine machte das Robert-Koch-Institut (RKI) auf die weite Verbreitung von Tuberkulose (TB) aufmerksam - dementsprechend liefert das RKI einen Katalog an Maßnahmen, wie die Versorgung ukrainischer Geflüchteter mit einer TB-Erkrankung sichergestellt werden kann. Auch das kommende Ebersberger Hausarztforum widmet sich TB, einer "fast vergessenen" Krankheit, wie es dort heißt. Im Gespräch mit der SZ erklärt der Organisator und ärztliche Koordinator der niedergelassenen Praxen im Kreis Ebersberg, Marc Block, weshalb sich Deutschland auch unabhängig des Kriegs mehr mit Tuberkulose auseinander setzen sollte und warum er befürchtet, dass Mitarbeiter sich vom Gesundheitswesen abwenden.

SZ: Herr Block, haben Sie schon einmal einen Patienten mit Tuberkulose behandelt?

Marc Block: Ja, wir haben in den letzten Jahren mehrere Patienten mit Tuberkulose behandelt. Dies erfolgte stets in hervorragender Zusammenarbeit zwischen Spezialklinik, Lungenfachärzten und uns als betreuenden Hausärzten.

In der Ukraine ist Tuberkulose wesentlich weiter verbreitet als in Deutschland: Laut WHO lag 2020 die Inzidenz in der Ukraine bei 73. In Deutschland bei 5,5. Ist es schon dazu gekommen, dass Ukrainer mit TB oder TB-Verdacht eine Praxis im Landkreis Ebersberg aufgesucht haben?

Zu uns kam bisher kein Patient mit dieser Diagnose oder einem Verdacht auf TB in die Praxis. Auch das Gesundheitsamt hat mir heute bestätigt, dass dort bislang kein Fall einer aktiven, offenen Lungentuberkulose im Kontext der aktuellen Flüchtlingsbewegung aus der Ukraine gemeldet wurde beziehungsweise bekannt ist.

Geflüchtete in Sammelunterkünften müssen ohnehin ein aktuelles TB-Screening vorweisen. Warum dann die Meldung des RKI? Ist die Vorsicht übertrieben?

Ich glaube, wir haben bisher einfach Glück gehabt - der erste Fall wird kommen. TB ist weltweit sehr verbreitet, Deutschland ist diesbezüglich bislang eine Insel der Seligen. Durch die zunehmende allgemeine Migration ist es jedoch wichtig, dass auch wir mehr über diese Krankheit und deren Behandlung lernen.

Was sind die Auslöser von Tuberkulose oder anders gefragt: Warum gibt es diese Auslöser in der Ukraine vermehrt, in Deutschland aber kaum?

Allgemein sind ein schwaches Immunsystem, mangelnde Hygiene und eine schlechte Ernährung Risikofaktoren für eine Infektion. Dementsprechend breitet sich Tuberkulose vor allem dort aus, wo unzureichende Hygienestandards häufiger anzutreffen sind, also in ärmeren Ländern und in Krisen- und Kriegsgebieten, wie aktuell in der Ukraine. Denn da die Tuberkulose eine "Tröpfchen-Infektion" darstellt, erhöht sich dort die Infektionsgefahr, wo Menschen unter schlechten hygienischen Bedingungen auf engstem Raum zusammenleben.

Krankheiten unter Geflüchteten: Marc Block betreibt gemeinsam mit seiner Frau Stefani Lordick-Block eine hausärztliche Praxis in Zorneding.

Marc Block betreibt gemeinsam mit seiner Frau Stefani Lordick-Block eine hausärztliche Praxis in Zorneding.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Inwiefern spielt das von Ihnen erwähnte Immunsystem eine Rolle?

Bei einem intakten Immunsystem ist unser Körper in der Lage, die Infektion zu bekämpfen, die Krankheit bricht also gar nicht erst aus. Ist die Immunabwehr durch begleitende Erkrankungen, wie einen schlecht eingestellten Diabetes, HIV oder einen schlechten Ernährungszustand geschwächt, können die Krankheitserreger in die Lunge leichter eindringen und dort die Erkrankung hervorrufen. Auch eine Infektion mit Corona kann die Empfänglichkeit gegenüber der Tuberkulose begünstigen.

Was unterscheidet die Behandlung von Tuberkulose zu der von anderen bakteriellen Infektionskrankheiten?

Behandelt wird mit Antibiotika. Die Therapie dauert sehr lange, zwischen sechs und 18 Monaten, und besteht aus der Gabe einer Kombination aus verschiedenen Medikamenten, die mehrfach am Tag und individuell dosiert werden müssen. Kommt es zu einer längeren Unterbrechung der Behandlung, kann es sein, dass die Therapie von vorne begonnen werden muss. Oft aber wirken dann die Medikamente nicht mehr, weil die Tuberkulose-Bakterien inzwischen Antibiotika-Resistenzen entwickelt haben.

Wie häufig sind solche Resistenzen?

Drei Prozent aller weltweiten Tuberkulose-Neuerkrankungen gibt es in Europa. Osteuropäische Staaten sind am häufigsten betroffen, vor allem die Ukraine, wo es vor dem Krieg zu etwa 35 000 Neuinfektionen pro Jahr kam. Laut WHO haben davon etwa 10 000 der Infizierten eine multi-resistente Form der Tuberkulose - das sind knapp 29 Prozent.

Abgesehen von Tuberkulose: Welche Krankheiten werden darüber hinaus als Folge des Kriegs in der Ukraine vermutlich vermehrt eine Rolle spielen?

Unter Flüchtenden - sei es aus der Ukraine oder anderen Herkunftsländern - findet sich eine höhere Rate an Diabetes als in der übrigen Bevölkerung. Durch die Flucht besteht auch ein höheres Risiko in Bezug auf Infektionskrankheiten, da die Flüchtenden verstärkt Erregern ausgesetzt sind, nicht oder nur zeitweise Zugang zur Gesundheitsversorgung haben und unter ungünstigen Bedingungen leben müssen. Im Hinblick auf die Flüchtenden aus der Ukraine besteht die Sorge, dass unter ihnen vermehrt Menschen mit Masern und Poliomyelitis, aber auch mit Corona sind. Die Ursache hierfür besteht in einem niedrigeren Schutz durch im Heimatland erfolgte Impfungen.

Die Corona-Impfquote in der Ukraine lag zuletzt bei um die 35 Prozent. Als Ärztlicher Koordinator der niedergelassenen Praxen fällt Ihnen in der Pandemie eine spezielle Aufgabe zu. Haben Sie Pläne, wie Sie und Ihre ärztlichen Kolleginnen und Kollegen die großen Impflücken unter den Geflüchteten schließen können?

Sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes als auch wir niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sprechen bei Kontakten mit den Flüchtenden die Notwendigkeit von weiteren Schutzimpfungen an. Das geschieht aber nicht immer gleich beim ersten Kontakt. Denn da bestehen meist akute und schwerwiegende Erkrankungen, die den Praxisbesuch veranlasst haben, und die Patienten sind in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft noch sehr erschöpft von ihrer Flucht.

Wie sieht es mit der psychischen Gesundheit aus?

In den meisten Fällen kommen die Menschen mit akuten körperlichen Problemen oder chronischen Erkrankungen zu uns. Verletzungen durch das erlebte Grauen und die Anstrengungen der Vertreibung bleiben zunächst in der Regel verborgen und werden wohl erst im Laufe der Zeit bewusst oder zu psychischen Erkrankungen führen. Ich zweifle daran, dass es unserem Gesundheitssystem schnell gelingen wird, diesen großen Bedarf mit einer angemessenen Versorgung der Betroffenen zu decken - zumal das Angebot der Psychotherapie schon jetzt bei weitem nicht ausreicht.

Die zusätzliche Belastung der Praxisteams durch Corona ist noch nicht überstanden, schon stehen Sie vor der nächsten Herausforderung. Wie bewerten Sie die Situation?

Die Gesundheitspolitik muss endlich bürokratische Monster bändigen: Wir erwarten, dass Abrechnungsvorschriften vereinfacht und widersinnige Vorgaben einer unausgegorenen Digitalisierung beendet werden, sodass wir uns wieder auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren können: Die Behandlung von Kranken. Darüber hinaus ist es notwendig, dass Ärzte und medizinische Fachangestellte in ihrer Arbeit geschätzt und die seit Jahren bestehende erhebliche Mehrbelastung entsprechend honoriert wird. Sollte dies nicht geschehen, fürchte ich, dass auf Dauer viele Pflegekräfte, medizinische Fachangestellte und auch Ärzte nicht bereit sind, diese Dauerbelastung weiter auszuhalten und ihrem Beruf den Rücken kehren. Das aber darf auf keinen Fall geschehen.

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