SZ-Adventskalender:Trotz Schuften wenig Geld zum Leben

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Im reichen Landkreis Ebersberg bleiben Geringverdiener schnell auf der Strecke. Ein Problem sind vor allem die Mieten.

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

Was braucht ein Mensch zum Leben? Nach dem Hart-IV-Regelsatz: 399 Euro im Monat. Darin enthalten sind 141, 65 Euro für Nahrung, 44 Euro für Freizeitaktivitäten und - etwas bizarr anmutend - 1, 52 Euro für Bildung. Der "Grundbedarf" eines Menschen soll damit abgedeckt werden. "Ich habe mal das Experiment gemacht, einen Monat lang von diesen 400 Euro zu leben", erzählt Hermann Schmidbartl vom Jobcenter Ebersberg. "Das stellt man sich leichter vor, als es ist." Scheinbare Selbstverständlichkeiten, etwa einen Kaffee in einem Stehcafé zu trinken, werden da schnell zu Luxusgütern.

Im reichen Landkreis Ebersberg seien Geringverdiener stärker ausgegrenzt als in Gegenden mit hoher Arbeitslosenquote, so Schmidbartl. Hier beträgt diese gerade einmal zwei Prozent, 0,8 Prozent davon beziehen Hartz IV. Zirka 600 Leute im Landkreis bekommen Arbeitslosengeld II, zirka 50 davon als Aufstocker, wie es im Jobcenter-Jargon heißt - Menschen also, die arbeiten und trotzdem am Ende des Monats nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. "Das Verhältnis von Alleinstehenden und Familien ist dabei etwa halbe-halbe", erklärt Schmidbartl - die Tendenz sei insgesamt steigend. Der Grund dafür, dass Leute im Landkreis auf Hilfe angewiesen sind, obwohl sie arbeiten? "Der Hauptkostentreiber ist die Miete", antwortet er.

Claus Nolden und Waltraud Stückle-Mayrhofer, die sich bei der Tafel Ebersberg engagieren, kennen die Not der Leute nur zu gut. Auch wenn viele Kunden der Tafel auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr wirklich vermittelbar sind, so Nolden, kommen auch immer wieder Leute, die trotz Arbeit an der Armutsgrenze leben. Laut Definition ist das der Fall, wenn jemand weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Insgesamt gibt es im Landkreis zehn Tafeln - "obwohl früher keiner dachte, dass das hier überhaupt notwendig wäre", fügt Nolden hinzu. Inzwischen sind die Einrichtungen komplett ausgelastet.

Die von Schmidbartl beobachtete Ausgrenzungsgefahr sieht auch Stückle-Mayrhofer: "Viele der Leute, die zu uns kommen, sind entwurzelt, haben keine Familie, keinen Freundeskreis." Ausflüge von der Tafel oder das regelmäßige Frühstücksangebot gehören für manche zu den wenigen sozialen Treffen, die sie sich überhaupt leisten können. Manche Leute gehen, um das Angebot der Tafel wahrzunehmen, in die Nachbargemeinde, um in ihrem Wohnort nicht gesehen zu werden: "Scham spielt da häufig eine Rolle", sagt Nolden. Der Leiter des Jobcenters bestätigt: "Auch bei den Aufstockern spielt das eine Rolle." Gerade Personen, die regelmäßig arbeiten gehen, wollten häufig nicht, dass jemand mitbekommt, dass sie zusätzlich finanzielle Hilfe brauchen.

"Viele Menschen haben vollkommen verzerrte Vorstellungen von den Kunden des Jobcenters", fügt Schmidbartl hinzu. Er will zum Umdenken anregen, denn in eine Situation zu kommen, in der man die Hilfe des Jobcenters in Anspruch nehmen müsse, das "passiert schneller, als viele sich das vorstellen", betont er. Die häufigsten Gründe, die er in seiner täglichen Arbeit feststellt, sind Krankheitsfälle, fortgeschrittenes Alter, Einsamkeit. "Aber auch in Fällen von Scheidungen kann es so weit kommen, dass einer der Partner auf einmal nicht mehr genug verdient, um alle Kosten zu decken", erzählt er. Da gebe es "unendlich viele Fallkonstruktionen", die man gesondert betrachten müsse, so Schmidbartl - ein Eindruck, den auch Stückle-Mayrhofer und Nolden teilen.

"Häufig wollen die Leute etwas verändern, wissen aber nicht wie", weiß der Leiter des Jobcenters, "die brauchen dann eine Trittleiter". Auf der anderen Seite sei es im Fall von sogenannten Aufstockern schwierig, einen anderen Beruf zu finden, bei dem das Gehalt so erheblich höher liegt, dass die Betreffenden nicht mehr auf amtliche Hilfe angewiesen sind. "Und es birgt ja auch immer ein Risiko, wenn man Leute aus ihrer bisherigen Arbeit herausnimmt, um sie woanders neu anfangen zu lassen." Schmidbartl selbst wird unglücklich mit dem Thema: "Finden Sie hier im Landkreis mal Wohnungen im unteren Mietniveau", sagt er: "Sozialwohnungen gibt es einfach nicht so viele."

Und das, obwohl die Dunkelziffer von Leuten, die Anspruch auf Hilfe hätten, wohl relativ hoch liege, so der Leiter des Jobcenters: "Viele Leute wissen nicht, ob sie Anspruch auf Zuschüsse haben." Viele dürften sich auch von dem bürokratischen Aufwand abschrecken lassen: Zweimal jährlich müssen Aufstocker und Langzeitarbeitslose derzeit noch ihre Konten offenlegen, bei Selbstständigen und Leuten mit schwankenden Einkünften wird sogar monatlich nachgeprüft. Einen bürokratischen "Moloch" nennt Schmidbartl die Regelung und fügt hinzu: "Man müsste da dringend über eine Vereinfachung nachdenken."

Die Spenden aus dem SZ-Adventskalender können für manche Familien im Landkreis, die finanziell zu kämpfen haben, zumindest kurzfristig Erleichterung schaffen.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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