Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Trotz friedlicher Rebellion: Ausschuss gegen Aufnahme von Flüchtlingen

Aktivisten von "Seite an Seite" richten einen Appell an die Ebersberger Kreispolitik. Der Nachtaktion vor dem Landratsamt folgt eine knappe Abstimmung hinter den Türen der Behörde.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Es ist vier Uhr morgens, als in Ebersberg eine Lastertüre aufgeht. Im Schutz der Nacht nimmt der Akt des zivilen Ungehorsams seinen Lauf. So beschreibt es der Verein Seite an Seite mit Sitz aus Markt Schwaben, dessen Mitglieder den Platz vor dem Ebersberger Landratsamt für ihre Aktion auserkoren haben. Das Ergebnis ist in der Morgendämmerung zu sehen. Der Platz ist mit hundert Stühlen, blauen Folien, Schwimmwesten und Schlauchbooten dekoriert. "Wir haben Platz", steht auf einem Spruchband. Soll heißen: Der Landkreis Ebersberg hat genug Platz, um Menschen in Not - etwa aus dem abgebrannten Elendslager in Moria - aufzunehmen. Die Frage ist, ob die Politiker hinter den Türen des Landratsamts diese Ansicht später am Tag teilen.

Etwa zwölf Stunden danach kommt es im Sitzungssaal des Ebersberger Landratsamt zum Votum des Tages, eine Abstimmung in drei Teilen. Ursprung ist der Antrag der SPD-Fraktion, wonach sich der Landkreis Ebersberg bereiterklären soll, Flüchtlinge aus Lesbos Zuflucht zu bieten. Grüne, ÖDP und Linke erklären ihre Unterstützung und legen einen zweiteiligen Zusatzantrag nach: Die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge soll auf 30 definiert werden. Und der Landkreis soll der Initiative "Seebrücke" beitreten, dessen Mitglieder sich bereit erklären, mehr Menschen aufzunehmen als ihnen zugewiesen werden. Drei Abstimmungen - und die Frage, wie die Kreispolitik auf die Provokation am Morgen reagiert.

Das Ergebnis: Gegen die Stimmen der CSU-FDP-Fraktion und dem Votum des AfD-Vertreters verliert das Viererbündnis trotz der Unterstützung von Wilfried Seidelmann (Freie Wähler) alle drei Abstimmungen mit einer Stimme Unterschied. Unter dem Eindruck der humanitären Katastrophe von Lesbos gelangt das Gremium abermals zu dem Resultat wie vergangenes Jahr: Kein Anschluss an die Seebrücke, der aktuell 192 Städte, Landkreise und Gemeinden angehören.

Umsonst aufgestanden? Tobias Vorburg, Sprecher des Vereins Seite an Seite, hat gerade die Utensilien der Aktion verstaut. Drei Schlauchboote, hundert Stühle, zehn Schwimmwesten, manches geliehen, 350 Euro investiert. Klar, sagt er, das Ergebnis sei enttäuschend. "Aber wenn die CSU einen Schulterschluss mit der AfD eingeht, war es umso wichtiger, dass wir ein Zeichen setzen", sagt er am Montagabend. In der Früh um halb sieben hatte er noch eine Debatte mit dem Ebersberger Polizeichef Ulrich Milius. Dieser erklärt später auf Nachfrage, dass die Aktivisten zwar unangemeldet waren, sich aber keines Vergehens schuldig gemacht hätten.

Im Sitzungssaal des Landratsamtes sind sich die Beteiligten Stunden später alles andere als einig. Waltraud Gruber, Fraktionssprecherin der Grünen, Karl Schweisfurth, ÖDP, und vor allem SPD-Fraktionssprecher Albert Hingerl ziehen rhetorisch gut gerüstet in die verbale Schlacht. "Ich rede von einer Familie pro Kommune", so Poings kürzlich abgetretener Bürgermeister Hingerl.

Poing habe in den vergangen Jahren 250 Flüchtlinge aufgenommen, so Hingerl, und damit im kreisweiten Vergleich mit Abstand die meisten. Insgesamt liegt der Kreis Ebersberg mit aktuell 634 Geflüchteten im Bezirksvergleich auf dem letzten Platz. Hingerl dazu: "Das Ganze war in der Vergangenheit nicht besonders solidarisch." Karl Schweisfurth erinnert daran, dass Deutschland mit für das Dublinverfahren gestimmt hat, welches mitverantwortlich ist, dass Inseln wie Lampedusa oder Lesbos bei der Unterbringung von Flüchtlingen allein gelassen werden.

Landrat Robert Niedergesäß (CSU) findet klare Worte für die Rolle der EU in dieser Sache. Die Zustände auf Lesbos seien untragbar, "ein europaweites politisches Versagen", so Niedergesäß. Das Problem mit dem Antrag aber sei, "dass der Immobilienmarkt im Landkreis Ebersberg völlig überhitzt ist". Piet Mayr, CSU-Kreisrat und Bürgermeister in Zorneding erklärte, dass die Unterbringung von Geflüchteten häufig an den potenziellen Wohnungsgebern scheitere. "Da ist jedem Vermieter das Hemd näher als die Jacke", so Mayr. Die Aufnahme weiterer Flüchtlinge sei sinnlos, "wenn von Seiten der Vermieter keinerlei Bereitschaft da ist".

Zu Landrat Niedergesäß' Einschätzung "es lag oft nicht am Willen, sondern am Können" hatte SPD-Chef Hingerl das Konterargument: "Das Ganze hat vor allem mit dem Willen zu tun", sagte er. Am Ende reichte Hingerls und auch Wilfried Seidelmanns Plädoyer für die Humanität knapp nicht aus. Alle drei Abstimmungen endeten mit sechs zu sieben gegen die Antragsteller von SPD, Grünen, Linken und ÖDP sowie der Freien Wähler.

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SZ vom 13.10.2020/koei
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