Süddeutsche Zeitung

Theater:Tollkühn und unwiderstehlich

Als Puppenspiel entfaltet "Macbeth für Anfänger" die große Kraft eines archaischen Stoffes

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Große Dramatiker bewähren sich auf kleinen Bühnen. Insbesondere dann, wenn sie dabei auf große Stoffe zurückgreifen. Soweit die Forschungen über William Shakespeare als Direktor einer Wanderbühne zutreffen, hat dieser Schöpfer wort- und handlungsreicher Geschichten diese mit kleiner Besetzung und auf kleinem Raum inszeniert. Von Bert Brecht wiederum ist überliefert, dass er schon in sehr jungen Jahren die ersten selbstverfassten Stücke auf die Bühne brachte. Vor Nachbarskindern führte er zum Beispiel seinen "Baal" auf - in Ermangelung von Schauspielern als Puppentheater.

Am Sonntagabend hat im Alten Kino Ebersberg ein leider ziemlich spärliches Publikum von fünf Dutzend Besuchern einen Klassiker der Bühnenliteratur erlebt, so wie man ihn selten zu sehen bekommt. Tristan Vogt hat "Macbeth" in der kleinstmöglichen Besetzung aufgeführt: eins. Zugegeben, es war nicht der originale Macbeth. Aber was heißt bei diesem archaischen Stoff schon original, wenn doch die explosive Mischung von Macht und Machtlust, von Ohnmacht und Umsturz die Menschheit begleitet, seit es sie gibt?

Vogt hat sein Stück "Macbeth für Anfänger" genannt und lässt es von Handpuppen spielen, die eigentlich mit "Die gestohlene Geburtstagstorte" unterwegs, deren aber überdrüssig und auf der Suche nach einem großen Stoff sind, in dem sie sich bewähren wollen. Auf "Macbeth" fällt ihre Wahl, und der Puppenspieler wird zum König, den sie vom Thron stoßen, weil er ihnen die großen Rollen verweigert. Es ist eine Meisterleistung Vogts, seinen Puppen so intensiv und glaubwürdig ein Eigenleben einzuhauchen, dass dieses Paradoxon von der Unabhängigkeit ewig Abhängiger seiner Aufführung sogar noch Energie einhaucht. Es sind die Miniaturen, die während dieses 70-minütigen "Macbeth für Anfänger" das Publikum zu Verstehenden der Bühnenkunst macht. Der Kasperl, der so tut, als würde er reiten. Das Krokodil, dessen Hilflosigkeit einen erbarmen will. Der Polizist, der zum Postboten mutiert, um schließlich als General zu scheitern. Das Schwert, das sich dem Griff des Mörders pendelnd entzieht, bis die Stunde gekommen ist, deren Schläge es beim Pendeln ertönen lässt.

Das tollkühne Unterfangen des Nürnberger Puppenspielers gelingt, weil er mit Worten und Sätzen ficht wie ein Musketier, kraftvoll und elegant. Weil er die Register von Stimmen, Tonlagen und Dialekten mit Virtuosität einsetzt und in einem Tempo zieht und wechselt, das einem die Ohren klingen. Allein die Disziplin, hier die Rollen zu halten und die Dramaturgie zu bedienen, verdient größten Respekt. Zugleich vereint er Stimme, Bewegung, Geräusch und Tiefe der Handlung in sich selbst und mit unwiderstehlicher Kraft. So groß ist diese, dass man diesen Macbeth lieber in den Händen eines Solisten sehen mag als eines Ensembles.

Noch mehr aber ist die Fähigkeit Vogts zu würdigen, mit der er das Spiel im Spiel beherrscht, wie es alle großen Theatermeister pflegten - und wie es das Stück erst den Zuschauern unter die Haut gehen lässt, weil sich die Handlung Gewinde für Gewinde in sie hineinschraubt, ohne Fluchtweg, gefangen im Staunen und Wiedererkennen des Allzumenschlichen. Vielleicht bleibt auch deshalb der Applaus am Ende seltsam distanziert, während der Puppenspieler im Nichts verschwindet.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2015
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