Es gibt Sachen, die gehen immer: Kaminfeuer im nasskalten Herbst, Franzbrötchen bei der Dienstbesprechung, Shakespeare im Kulturbetrieb. Aktuell etwa als hochgelobtes Musical in Hamburg. Bevor allerdings Regisseurin Bina Schröer mit dem Ebersberger Theater Zwischenton ihr Lieblingsstück „Der Sturm“ auf die Bühne bringen konnte, mussten mehrere Hürden überwunden werden.
„Schon seit dem Studium habe ich davon geträumt, das einmal zu inszenieren – nie hat es geklappt. Du brauchst erstens eine Gruppe, die du gut kennst. Zweitens muss sie altersgemischt sein. Und sich an dieses sehr komplexe und schwere Stück herantrauen“, fasst Schröer, die seit mittlerweile zehn Jahren ihre engagierte und spielfreudige Truppe zu schauspielerischen Höchstleistungen führt, die Ausgangssituation zusammen. Doch dann schaffte sie es, ihre eigene Begeisterung für die Magie des Stücks weiterzugeben – „es packt jeden!“
Darum peitscht bei diesem Probenbesuch im dunklen Bürgersaal „Unterm First“ ein Heulschlauch durch die Luft und erschrecken unheilvolle Donnerschläge die auf der Bühne zusammengepferchten Akteure. Kein Zweifel: Hier tobt „Der Sturm“. Gewidmet haben die Zwischentöner das Stück ihrer kürzlich verstorbenen, langjährigen Vereinsvorsitzenden und Freundin Ulla van Erckelens-Bock.

Nachruf:Abschied von einer kreativen Frohnatur
Das Ebersberger „Theater Zwischenton“ trauert um seine langjährige Vorsitzende und treibende Kraft Ulla van Erckelens-Bock.
Für alle, die Shakespeares Geschichte nicht mehr parat haben: Prospero, Zauberer und einst Herzog von Mailand, landet mit Tochter Miranda auf einer einsamen Insel, nachdem ihn sein Bruder Antonio, unterstützt von Alonso, König von Neapel, durch Ränkespiel entthront hatte. Nun beschwört Luftgeist Ariel, ein Diener des Zauberers, auf dessen Geheiß einen mächtigen Sturm herauf. Durch diesen strandet vor dem Eiland ein Schiff mit sämtlichen Gegenspielern der Vergangenheit nebst Gefolge und dem Sohn des Königs.
Was dann beginnt, ist ein Verwirrspiel aus Intrigen, Manipulation, Unterdrückung, Belohnung, Rache und Liebe, das in der Macht der Vergebung kulminiert. Immer dabei, als zentrale Emotion: die personifizierte Angst; mal hämisch, mal hilfreich. Sie habe bei der Rollenauswahl zunächst nichts Passendes gefunden, erzählt Darstellerin Ulrike Janowetz, und darum vorgeschlagen, dieses Gefühl zu verkörpern. „Bina ist zurückgesprungen, deswegen dachte ich erst, sie findet es blöd“, erinnert sich Janowetz. Stattdessen war Schröer sehr angetan von der Idee, zumal die Mimin für die akustische Begleitung der Rolle sogar ihre lang vergessene Violine reaktivierte.

Hinzu kommen Cellospiel von Sybille Fuchs und Gitarreneinlagen von Robert Rudolph-Torgany sowie Emanuel Dürr –sodass die Bühnenhandlung immer wieder durch Musik, teils sogar eigens komponierte, bereichert wird. Die neuen Stücke stammen aus der Feder der beiden Gitarristen, die aber auch durch überzeugende Bühnenpräsenz glänzen.
Rudolph-Torgany tanzt und wirbelt als Ariel wie eine Mischung aus Pumuckl und Luzifer mit bemerkenswerter Mimik und vollem Körpereinsatz über die Bühne, sät Zwietracht und sehnt sich doch maßlos nach der ihm immer wieder verwehrten Freiheit. Dürr gibt Caliban, den zweiten Diener auf der Insel. Sensationell wie er grummelnd und grunzend mal abstoßend hinterhältiges „Ungeheuer“, dann wieder bedauernswerte Kreatur ist, gnadenlos herumkommandiert und erniedrigt von seiner Herrin Prospera (Carolin Schubert).

Richtig gelesen: „Prospera“, eine Frau. In diesem Stück haben die Damen die Hosen an. Teilweise tatsächlich – wie Schubert, die sowohl als hartherzige, gestrenge Zuchtmeisterin besticht sowie als liebende Mutter. Oder Fuchs, ein hinreißend komischer und in seiner übersteigerten Selbstwahrnehmung faszinierender Kellermeister Stephano. Bei zwei anderen, im Original männlichen Protagonisten, hat sich dank Schröers gelungener Bearbeitung ebenfalls das Geschlecht verändert: So wird aus dem König von Neapel die elegante Regentin Alonsa (Helen Barkhaus), Blaupause einer äußerlich gefassten, aber vom Schmerz über den Verlust bis ins Mark getroffenen Majestät. Und auch Prosperos machthungriger Bruder ist nun eine Schwester namens Antonia, wunderbar durchtrieben und boshaft gespielt von Nicole Fellner.
Komplettiert wird die Riege der Gestrandeten durch den grundguten Gonzalo (Wolfgang Sierwald), der seinen reich bestickten Brokatrock mit solcher Grandezza trägt, dass das Gewand förmlich Teil seiner natürlichen Erscheinung wird. Nicht zu vergessen, Hofnarr Trinculo (Rainer Sohr), Typ englischer Lord, vor dem Wetter ein Hasenfuß, ansonsten ein großspuriger Angeber, der gern das „Monstrum“ piesackt, gleichzeitig aber zusammen mit diesem und Stephano als Trunkenbold-Trio für die humoristischen Höhepunkte sorgt.

Und dann gibt es da ja noch das bezaubernde Liebespaar, Miranda und Ferdinand, gespielt von zwei Gästen, Ella Emerson und Felix Schorlemmer. Die Regisseurin nämlich wollte diese beiden Rollen unbedingt mit „echten jungen Menschen“ besetzen. Gut, dass Schröer als Dozentin der internationalen Schauspielschule ISSA an der Quelle sitzt. So konnte sie einerseits den 21-jährigen Schorlemmer als charmanten und liebestrunkenen Prinzen gewinnen, andererseits Emerson, eine absolute Offenbarung. Sie besucht die ISSA erst seit Kurzem, hatte sich allerdings zuvor schon an der Freien Schule in Glonntal bei Aufführungen hervorgetan. Die 19-Jährige ist die personifizierte Unschuld, liebreizend, warmherzig, Kind und Frau zugleich.
„Die Hölle ist leer und all die Teufel sind hier“: Nach zwei Stunden, die wie im Flug vergehen, erklärt Schröer, warum das Stück mit dem berühmten Zitat aktueller sei denn je. „Die Welt befindet sich im Sturm – damals wie heute.“ Und gerade in einem Moment, in dem alles so polarisiert sei, brauche es doch ein Stück über die Liebe, das Verzeihen und Versöhnen. Plus, zur Not, ein Franzbrötchen vor dem Kamin.
„Der Sturm“, Premiere am Freitag, 15. November, 20 Uhr, „Unterm First“, Klosterbauhof 1, Ebersberg, Karten: 15 Euro (ermäßigt: zehn Euro). Reservierung unter (0174) 413 85 68 oder www.theater-zwischenton.de. Dort sind auch weitere Termine in Waldkraiburg, Ebersberg und München zu finden.