Sozialprojekt braucht bessere Bleibe:Neues Domizil dringend gesucht

Lesezeit: 4 Min.

Auf Dauer wird die Tauschzentrale am aktuellen Standort nicht überleben können. Noch ist die Stadt mit im Boot, aber sie wird nicht ewig finanzielle Unterstützung leisten können. (Foto: Christian Endt)

Seit 1979 hat Ebersberg in der Tauschzentrale einen gemeinnützigen Secondhand-Laden. Doch wie lange noch? Die Nebenkosten steigen stetig, die Lage ist nicht ideal und die Stadt wird ihre derzeitige finanzielle Unterstützung angesichts klammer Kassen nicht ewig weiterführen können.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Wenn früher junge Menschen die im Familien- oder Bekanntenkreis „vererbte“ Kleidung auftragen mussten, war das für die Beteiligten nicht immer ein Quell der Freude. Auch deswegen, weil es eine gewisse Bedürftigkeit suggerierte. Heute hingegen kaufen umweltbewusste Konsumentinnen gern Gebrauchtes, um schadstofffreie Ware im Wirtschaftskreislauf zu belassen, statt die Produktion von Fast Fashion zu fördern. In Ebersberg ist das seit 1979 in der Tauschzentrale möglich, damals gegründet vom Verein Elterngemeinschaft Grafing-Ebersberg, nachdem das Konzept von auf Kommissionsbasis verkaufter Ware im Nachbarort so großen Erfolg gehabt hatte.

Das Prozedere ist simpel: Wer gut erhaltene Kleidung, Schuhe, Sportartikel, Spielzeug, Bücher und Kinderwagen loswerden will, darf sie, versehen mit einem selbst festgelegten Preis, in der Tauschzentrale abgeben. In Basis darauf wird ein prozentualer Betrag als Gebühr aufgeschlagen und beim Verkauf einbehalten. Er dient zur Deckung der Auslagen wie Listen und Preisschilder, aber auch zur Finanzierung der Gesamtkosten. Am Ende einer Saison müssen die Restbestände, ebenfalls gegen Gebühr, wieder abgeholt werden oder gehen als Spende an soziale Zwecke.

Am Anfang der Saison bleiben noch einige Bügel leer, doch das ändert sich stets schnell. (Foto: Christian Endt)

Von Anfang an wurde das Sozialprojekt entweder in städtischen oder von der Stadt Ebersberg angemieteten Räumlichkeiten betrieben – achtmal ist man bisher umgezogen. Aktuell befindet sich das Ladenlokal in der Dr.-Wintrich-Straße 47, unweit der Realschule. Die Lage ist laut der Vorsitzenden Angelika Reitzel nicht ideal, Laufkundschaft gibt es keine. Zudem sei unklar, wie lange das Gebäude überhaupt noch zur Verfügung stehen wird.

Neues Bauprojekt
:Ein Jengaturm für Ebersberg

Die Kreisstadt soll ein sehr modernes Wohn- und Geschäftshaus bekommen. Der Standort steht bereits fest - es gibt aber auch Kritiker.

Von Wieland Bögel

Den Löwenanteil der Miete und die aufgrund der Dämmung in der „alten Burg“ beträchtlichen Nebenkosten trägt die Stadt Ebersberg. „Das ist eine hundertprozentig freiwillige Leistung, zu der man sich vor Jahrzehnten entschlossen hat, als die Haushaltslage noch eine andere war“, so Bürgermeister Ulrich Proske (parteilos). Aktuell aber müssen sämtliche Pachtverträge auf den Prüfstand gestellt und in der Konsolidierungsgruppe besprochen werden. „Für die Tauschzentrale werden auf jeden Fall derzeit die Kosten noch übernommen – aber das ist definitiv eine Situation, die sich nicht unendlich wird fortführen lassen“, fügt er hinzu.

Deswegen sei man schon seit geraumer Zeit im Gespräch mit potenziellen Vermietern, um ein anderes Quartier zu finden. „Wer passende Räumlichkeiten anzubieten hat, darf sich gern bei mir melden“, sagt der Rathauschef. Er setze sich persönlich für die Sache ein, da die Stadt das große Engagement der Ehrenamtlichen für die Tauschzentrale sehr schätze.

18 Frauen gehören zum Team, für sie alle ist das Projekt mehr als nur ein Ehrenamt (von links): Angelika Reitzel, Johanna Zentgraf, Nelli Hecker, Gerti Eck, Marina Hovath, Margit Zimmermann und Katja Schaumann. (Foto: Christian Endt)

18 Frauen sind derzeit dienstags und donnerstags unentgeltlich im Einsatz. „Mit dieser Zahl sind wir fast unterbesetzt, es wird ja auch mal jemand krank oder geht in Urlaub. Allein schon bei der Annahme muss man mindestens zu fünft sein“, so Reitzel, seit 1994 im Team. Die gebürtige Badenerin und ihre Kolleginnen können einiges erzählen über ihre Erlebnisse: Mal käme jemand mit „total verrauchter Ware“ – die natürlich nicht angenommen werde. Mal brächten Senioren nach dem Ausräumen eines Kellers Kleidung – die zwar angenommen, aber von keinem gekauft werde, weil nicht mehr zeitgemäß. Dann wieder ginge gerade ein solches Stück besonders gut: „Alles Geschmacksache!“

Wenn sich wiederum ein Schüler über eine günstige Lederjacke oder ein Mädchen über ein Abschlussballkleid für zehn Euro freut, dann lacht auch den Verkäuferinnen das Herz. Doch zur Klientel gehören längst nicht nur Familien. Und häufig handelt es sich bei den Kunden nicht um Schnäppchenjäger, sondern um Personen, die tatsächlich jeden Cent dreimal umdrehen müssen.

Auch eine große Auswahl an Kleidung für kleinere ... (Foto: Tauschzentrale Ebersberg / OH)
... und etwas größere Kinder findet sich im Angebot. (Foto: Tauschzentrale Ebersberg / OH)

„Mittlerweile wird es auch für ältere Menschen immer wichtiger, günstig einkaufen zu können“, berichtet Marina Horvath. Seit drei Jahren ist die frühere KFZ-Lageristin und Verkäuferin Teil des Teams. Nicht nur, weil sie es gut findet, Kleidung im Kreislauf zu halten, statt wegzuwerfen, arbeitet sie hier. „Die Tätigkeit gibt meinem Tag eine Struktur, sonst würde ich daheim vergammeln“, sagt die alleinstehende Rentnerin mit einem kleinen Lachen.

Auch die anderen Anwesenden haben jeweils einen ganz persönlichen Grund, warum sie sich zwischen Regalen und Kleiderbügeln ehrenamtlich für die Gemeinschaft einsetzen. Katja Schaumann etwa ist die Tauschzentrale aus eigener Erfahrung schon aus Kindertagen vertraut, später hat sie für den eigenen Nachwuchs dort immer wieder Skier gekauft. Die Grafikdesignerin ist während der Pandemie dazugestoßen, nutzt extra ihren freien Tag, weil soziales Engagement und Nachhaltigkeit ihr viel bedeuten. Das trifft auch auf Gerti Eck zu, die der Tauschzentrale seit 30 Jahren verbunden ist. Darum ist für die Palliativfachkraft die Mitarbeit dort immer noch Ehrensache, obwohl sie in dieser Zeit von Ebersberg nach Moosach zog.

Neben Kleidungsstücken gibt es in der Tauschzentrale auch Brettspiele und Bücher. (Foto: Tauschzentrale Ebersberg / OH)

Schnell wird deutlich, dass hier weit mehr stattfindet als ein An- und Verkauf, es geht auch um Kontakte. So sagt Nelli Hecker, Ehrenamtliche seit 2013: „Hier zu arbeiten, ist ein Supereinstieg in Ebersberg, wenn man herzieht und die Kinder so groß sind, dass man nicht automatisch neue Leute kennenlernt.“

Die eine wurde von der Nachbarin mitgebracht, die andere sah einen Aushang. Manche stoßen zum Team, während sie kleine Kinder haben – wie Johanna Zentgraf, seit 20 Jahren dabei, deren 22-jährige Tochter mittlerweile selbst in der Tauschzentrale einkauft. Andere suchen einen Ausgleich zu ihrem Bürojob oder sehen das Ganze als sinnvolle Beschäftigung, wenn sie in Rente sind. Wie Margit Zimmermann, früher im Landratsamt tätig. Kurioserweise kennt sie die Räume in der Dr.-Wintrich-Straße aus den Achtzigern, als sich dort ein Lebensmittelgeschäft befand, in dem sie im Verkauf aushalf. Und einige blieben sogar aktiv bis über 80 und hörten erst auf, „als sie nicht mehr konnten.“

Die Tauschzentrale ist sehr beliebt - in der richtigen Lage könnte sich das noch deutlich steigern. Und auf den Umsatz auswirken. (Foto: Christian Endt)

Auch wenn die Bedeutung der Tauschzentrale als Ort der Begegnung und Sinnstiftung nur ein Teilaspekt ist, so wird doch einmal mehr deutlich, wie erhaltenswert dieses 45 Jahre alte Sozialprojekt ist. Das ist auch der Stadt Ebersberg bewusst. „Meiner persönlichen Meinung nach ist die Tauschzentrale als Institution ebenso wichtig wie als Angebot für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Ebersberg“, betont Bürgermeister Proske. Gleichwohl werde es nicht mehr möglich sein, ewig so weiterzumachen wie bisher. „Wir als Stadt müssen uns etwas überlegen, aber auch der Verein muss langfristig das Ziel haben, dass die Tauschzentrale auf eigenen Füßen stehen kann – ob mit einem Sponsor oder einem veränderten Geschäftsmodell, durch das sich der Betrieb so weit als möglich selbst trägt.“

Tauschzentrale Ebersberg, Dr.-Wintrich-Straße 47. Geöffnet Dienstag und Donnerstag von 9 Uhr bis 11.30 Uhr und 15.30 Uhr bis 18 Uhr. Dienstags nur Verkauf, donnerstags Annahme, jedoch nur bis 11 Uhr und bis 17.30 Uhr.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDemografie im Landkreis
:Bei zu vielen ist es zu wenig

Die Altersarmut nimmt zu, gerade auch im Landkreis Ebersberg, wo das Leben teuer ist. Laut VdK liegen inzwischen viele Renten unter Sozialhilfeniveau, und zwar nicht nur bei Frauen. Die Dunkelziffer der Bedürftigen sei hoch.

Von Anja Blum, Johanna Feckl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: