Ebersberg:Spurwechsel

Amtsgericht klärt Unfall auf Beschleunigungsstreifen

Von Jan Schwenkenbecher, Ebersberg

Er wache noch heute von den starken Schmerzen in der Schulter auf, sagte der 53-jährige Geschädigte im Ebersberger Amtsgericht. Das Schlüsselbein sei gebrochen gewesen, eine Lungenembolie habe er ebenfalls gehabt. Wahrscheinlich müsse er noch mal operiert werden. Der Mann aus dem nördlichen Landkreis war am 11. Mai vergangenen Jahres gegen zehn Uhr morgens auf der A 94 Höhe Anzing mit seinem Motorrad gestürzt, weil vor ihm ein Fahrer mit seinem Golf plötzlich vom Beschleunigungsstreifen vor ihn gezogen sei und dann auch noch stark gebremst habe. Er habe daraufhin auch stark bremsen müssen, sei ins Schlingern gekommen und gestürzt. Zwar hat im Straßenverkehr meist der Schuld, der auffährt. Doch beim Wechsel vom Beschleunigungsstreifen auf die Fahrbahn hat der fließende Verkehr Vorrang. So kam es, dass der Fahrer des Golfs einen Strafbefehl erhielt, die Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Er legte Einspruch ein.

Der 23-jährige Angeklagte, ebenfalls aus dem nördlichen Landkreis, sagte aus, die Lücke sei seines Erachtens groß genug gewesen, als er vom Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn gewechselt sei. Plötzlich habe das Fahrzeug vor ihm stark gebremst, da habe auch er abbremsen müssen. Entlastet wurde der Angeklagte ausgerechnet durch den Geschädigten, den Motorradfahrer, der nach ihm aussagte. Nachdem er seine Verletzungen geschildert hatte, gab er einen für den Verlauf der Verhandlung entscheidenden Hinweis: Er war ebenfalls vom Beschleunigungsstreifen gekommen. Wie er aussagte, fuhr er dort nämlich nicht bis zum Ende durch, sondern wechselte sofort auf die Fahrbahn und nahm Tempo auf. Zudem bestätigte er, dass Autos vor ihm auf dem Beschleunigungsstreifen gewesen seien. "Haben Sie nicht damit gerechnet, dass die anderen Autos auch auffahren?", fragte der Rechtsanwalt. "Höchstens die ganz vorne, ich bin ja gleich rüber gefahren", so der Motorradfahrer. Weitere Zeugen schilderten den Unfall allerdings unterschiedlich. Mal sei der Golf direkt vor das Motorrad gezogen, mal sei die Lücke groß genug gewesen. Mal war der Golf gar nicht dabei, stattdessen ein cremefarbener Kastenwagen. Was genau passiert war, ließ sich während der Verhandlung nicht mehr auflösen.

In den Plädoyers räumte der Staatsanwalt ein, dass der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung nicht haltbar sei, "es war einfach eine unglückliche Situation." Er schlug vor, den Angeklagten freizusprechen. Der Rechtsanwalt schloss sich dem an, ließ es sich allerdings nicht nehmen, sechs Urteile von verschiedenen Oberlandesgerichten zu zitieren, die besagen, dass Fahrzeuge, wechseln sie vom Beschleunigungsstreifen auf die Fahrbahn, hintereinander auffahren müssen. "Hätte der Motorradfahrer das beachtet", so der Rechtsanwalt, "wäre es nicht zu dem Unfall gekommen." Richterin Vera Hörauf folgte dem Staatsanwalt und sprach den Angeklagten frei.

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