Ebersberg:Skurriles aus Absurdistan

Constanze Lindner im alten kino

Constanze Lindner mit einem Herrn aus dem Publikum.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Constanze Lindner tobt mit Tiefgang durch das Alte Kino

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

In diesem Haus darf gepöbelt werden, gelästert, geboxt und geschrien, aber vor allem wird darin gelebt. Mit allem Irrsinn, den ein Haufen wildfremder Leute, die es sich zufällig über- und untereinander eingerichtet haben, eben mitbringt. Dass zumindest Teile des Irrsinns Fiktion sind, wird in Constanze Lindners Programm "Jetzt erst mal für immer" erst klar, als eine Fee auf dem Sofa sitzt, sich kugelrund frisst und dabei eine Menge Weißbiere verklappt.

Mittelpunkt des mit den Co-Autoren Michael Altinger und Alexander Liegl geschriebenen Programms sind die Hausbewohner: eine liebenswerte, aber dement werdende Oma, eine russische Grande Dame und natürlich Cordula Brödke, die coole Verrückte mit Wollmütze, Hasengebiss und der viel zu großen Brille. Der Prototyp einer Mittdreißigerin, die irgendwelche gesellschaftlichen Rollen meint spielen zu müssen, jedoch am liebsten schmarrn-verzapfend mit ein paar Zaubertricks durch die Gegend eiert. Und schon mal zum Kuscheln oder Geld Schnorren in die erste "Alte Kino"-Reihe hinunterstapft.

Reihum und kreuz und quer spielt die gerade mit dem Bayerischen Kabarettpreis gekürte Münchner Schauspielerin, Sängerin und Synchronsprecherin die Hausbewohner durch. Am Ende bleibt offen, wo die Grenze verläuft zwischen den Freaks aus dem Haus und ihrer quirligen Darstellerin. Zur Verwandlung von der kratzbürstigen Krächzkrähe aus dem Erdgeschoss zur gediegenen Maklerin braucht sie vier, fünf Sekunden. Die große Kunst steckt aber woanders. Sie schafft glaubwürdige Figuren, mit unverwechselbarer Gestik bis in die Fingerspitzen, mit charakteristischer Mimik bis zur Stellung der Mundwinkel - und einzigartiger Stimme sowieso. Leute mit Macken, Ticks und Egoismen, aber eben auch mit Tiefsinn und Träumen.

Die Frau von unten braucht jemanden zum Zuhören. Die Verrückte mit der Riesenbrille versucht ihr Leben in den Griff zu bekommen. Die Russin hätte gerne einfach nur einen Typen; oder besser: den nächsten Typen. "Ein Mann ist wie ein Wein." Gut, dass sie nur die Flasche köpft. Irgendwo in diesem heillos überzeichneten Absurditätenkabinett wuseln Constanze Lindner und die fette Fee herum, die sich an der Wursttheke kennen gelernt haben und aneinandergebunden sind, weil sich die Entscheidung über den letzten verbleibenden Wunsch in die Länge zieht. Die Frage ist so etwas wie die Metaebene des Programms: Das Wichtigste im Leben - was ist das?

Dabei soll das Publikum helfen. Vor der Pause verteilt Lindner Papier und Bleistifte. Die 20 Minuten möge man bitte nutzen, einen Wunsch aufzuschreiben. Später holt sie die Zettel aus der Box und liest vor: Einen netten Mann. Mehr Wein. Und schließlich die Breitseite: "Längere Beine!" Gerade hatte sie noch jemanden auf die Bühne geholt und über dessen als Bauchmuskulatur ausgegebene Plauze gefrotzelt. Constanze Lindner reagiert mit einer Souveränität, die sich nicht ins Drehbuch schreiben lässt: "Boah, den rahm' ich mir ein." Wer austeilt, muss auch einstecken können - sie kann es. Und wie schön, dass es nach fast 25 Jahren auf der Bühne noch Überraschungen gibt.

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