Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Klosterbauhof: Kreuzung aus Spaceshuttle und Sarkophag

Das Skulpturenprojekt der Stadt Ebersberg beschert der Kreisstadt ein neues Kunstwerk: Der stattliche "Belfagor" von Phoebe Lesch.

Von Anja Blum, Ebersberg

Beide sind schwarz gekleidet, dabei ist dieser Nachmittag kein Anlass zur Trauer - sondern zu großer Freude. "Belfagor" hat es über die Alpen geschafft, sozusagen nach Hause, und darüber ist Phoebe Lesch sehr glücklich. Die Münchner Künstlerin hat die Statue in Italien geschaffen, mit Unterstützung des Steinmetzes Marco Peotta, der sie und Belfagor auch auf der Reise begleitet hat und nun beim Aufbauen hilft. Kein leichtes Unterfangen, drei Stunden wird es dauern, bis die 900 Kilogramm schwere und fast zwei Meter große Figur an ihrem Platz im Ebersberger Klosterbauhof steht. Schon bald ist die schwarze Kleidung der beiden Akteure überall weiß vom Steinstaub. Belfagor indes erstrahlt unbefleckt in der Sommersonne.

Bereits seit einigen Jahren gibt es das "Skulpturenprojekt der Stadt Ebersberg", eine Kooperation mit dem hiesigen Kunstverein. Dieser organisiert und kuratiert pro Jahr eine Aktion, die Kommune bezahlt. Schon viele unterschiedliche Projekte sind daraus entstanden: Ein Aufsehen erregender Spiegelkubus schmückte den Marienplatz, eine Blumenwiese für Wildbienen wurde angelegt, dann wieder bespielte eine Lichtinstallation die historischen Wänden des Klosterbauhofs. Und nun eben ist Belfagor gelandet, wenige Meter vor der Alten Brennerei, der Galerie des Kunstvereins. Ein Jahr lang wird die Statue dort stehen, sie gänzlich zu erwerben, hätte den finanziellen Rahmen der Kooperation deutlich gesprengt.

"Ziemlich kurzfristig" sei das heuer alles über die Bühne gegangen, sagt Projektleiterin Geraldine Frisch, Zweite Vorsitzende des Kunstvereins, wegen Corona, aber auch wegen des Wechsels an der Spitze des Rathauses. Schließlich habe man nicht wissen können, ob die Förderung unter einem neuen Bürgermeister fortgesetzt würde. Doch sie wird. Stadtoberhaupt Uli Proske ist sogar beim Aufbau dabei und lässt es sich nicht nehmen, die Teile des großen Kunstwerks mit dem Gabelstapler vom Laster herunter an Ort und Stelle zu hieven. Ob er schon jetzt ein Denkmal bekomme, fragt eine Passantin. Alle lachen herzlich, auch Proske.

Entstanden ist Belfagor im Jahr 2013, als Endpunkt einer Reihe von Bronzeköpfen, erklärt Phoebe Lesch. Sie hat Freie Kunst in München und Mailand studiert. 2013 lebte sie in Italien, seit fünf Jahren ist sie wieder in München. Mit Skulpturen, Video, Performances und Text stellt Lesch "die Frage nach Form und Raum, nach innen und außen, nach Zeitlosigkeit und Aktualität, nach Materialität und Immaterialität". Menschenbilder, Spiel, Illusion, Zwischenräume, Paradox sind wichtige Stichworte für ihre Arbeit.

Die Figur Belfagor besteht aus Muschelkalk, einem für die italienische Region Venetien und ihre Palladio-Villen typischen Material, das man für weißen Marmor halten könnte. Steinmetz Peotta hat, ausgehend von einem Modell Leschs, die Rohfassung der dreiteiligen Statue mit Meißel, Feile, Presslufthammer, Motorsäge und anderen Werkzeugen erschaffen, vollendet wurde sie dann von der Künstlerin selbst. Das Ergebnis ist ein bemerkenswerter Hybrid aus Space Shuttle und Sarkophag.

Belfagor, etwas scherzhaft benannt nach dem berühmten Phantom des Louvre aus einer französischen Fernsehserie der 60er, mutet an wie ein gesichtsloser Gott, ein überirdischer Krieger, ein stattlicher Astronaut. In seinem formalen Purismus archaisch und zukunftsweisend zugleich. Für Phoebe Lesch ist die Statue "ein Versuch, den Raum um eine Figur herum plastisch zu erfassen, nicht der Materie, sondern dem Nichts einen Umriss zu geben", wie sie schreibt. "Das Nichts ist nicht in Kubikmetern messbar, es hat keine Grenzen, und das soll bei Belfagor fühlbar sein, obwohl die Statue natürlich einen klaren, festen Körper hat." Das Nichts einzufangen sei schwer. "Es ist da, aber auch nicht. Man fühlt es, ohne es zu sehen.

Was tun? Nur nicht zu viel darüber nachdenken: Paradoxen nähert man sich am besten mit dem Gefühl", so Lesch. Außerdem spiegele die Skulptur die Dualität der menschlichen Existenz wider: "Wir sind an den wunderbaren Planeten Erde gebunden, der uns das Leben schenkt, wir sind sterbliche Materie, aber unser Geist ist grenzenlos und beweglich und möchte immer weiter vordringen in die unbekannten Weiten des Universums." Die Plastik soll das Schwere und Statische mit Leichtigkeit und Bewegung verbinden. In Leschs Fantasie sollte Belfagor fliegen können - nun hat er es zumindest von Venetien über die Alpen nach Ebersberg geschafft.

Bis die Bodenplatte unter Belfagor auf dem holprigen Kopfsteinpflaster des Klosterbauhofs waagrecht liegt, dauert es zwar eine geraume Zeit, doch für Phoebe Lesch zählt ohnehin etwas anderes. "Wir haben uns verschiedene mögliche Standorte in Ebersberg angesehen, aber der hier hat mir am besten gefallen", sagt sie. Wegen der Nähe zum Kunstverein, dem sie sehr verbunden sei, aber vor allem wegen der historischen Architektur drumherum, denn diese Einfassung mache die Statue noch wirkungsvoller.

Außerdem stellt die Künstlerin einen Bezug her zur Hirnschale des Heiligen Sebastian, die sich nebenan, in der Ebersberger Pfarrkirche, befindet. "Immerhin ist er unter anderem Patron der Steinmetze und half den Menschen, sich die Pest vom Leibe zu halten", so Lesch, zudem stelle er eine weitere Verbindung zwischen Italien und Deutschland her. Das seien "alles Elemente, die die Kontemplation der Plastik unterstützen, ohne freilich aus ihr eine Reliquie machen zu wollen. Sie helfen vielleicht ein bisschen mit, die aktuelle schwierige Situation zu überstehen".

Einfließen werden all diese Gedanken auch in einen Film: Phoebe Lesch plant nämlich ein "dokumentarisches, poetisches, kurzweiliges Video, das die visuelle Reichweite der Skulptur erhöhen wird und gleichzeitig die rasante Ausbreitung der digitalen Technologien nutzt, die wir aktuell im Ausstellungsbereich erleben". Sowohl die Entstehung von Belfagor, als auch seine Reise wurden filmisch begleitet. Das Video wird bei der Vernissage am Freitag, 14. August, im Kunstverein gezeigt, außerdem soll es jederzeit per QR-Code abrufbar sein. So wird das Projekt "Belfagor" zum multimedialen Gesamtkunstwerk, dem man sich analog wie digital nähern kann. Wie schrieb Phoebe Lesch so schön anlässlich einer Ausstellung, bei der ihre Plastiken unterlegt waren mit einem spacigen Klangteppich des Musikers Andrea Veltroni? "Ein Perspektivenwechsel hilft eben manchmal, auch in der Kunst."

Skulpturenprojekt der Stadt Ebersberg, Figur von Phoebe Lesch im Klosterbauhof, Vernissage am Freitag, 14. August, um 19 Uhr

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SZ vom 12.08.2020/koei
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