Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Selbsterkenntnis am Abgrund

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Die fünf Juroren der Jahresausstellung konfrontieren die Besucher mit verstörenden Bildern und Aktionen

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Abgründe tun sich dieses Mal auf bei der Juroren-Ausstellung im Grundbuchamt. Die fünf Künstler, welche die Jahresausstellung in der Alten Brennerei juriert haben, zeigen wie gewohnt im Dachgeschoss der Behörde ihre eigenen Arbeiten. Es sind dies Sybille Rath, der Actionkünstler und Autor Peter Kees, die Malerin Cornelia Piesk, die Künstlerin Simone Braitinger und der Bildhauer Ulrich Panick.

Verstörend sind zunächst die drei Installationen von Peter Kees. Da ist einmal die poetische Idee einer arkadischen Botschaft. Das Wort hat auch hier zwei Bedeutungen: als diplomatische Vertretung, ausgestattet mit Fahne, Sessel und, in diesem Fall, Porträt des "Gesandten", aber auch als Synonym für eine wichtige Mitteilung. Kees definiert seine "Embassy of Arcadia" als Gegenentwurf zur "überfeinerten und verderbten Zivilisation", wie er es nennt. Dazu passt das Motiv auf der arkadischen Flagge: Picassos Pan mit der Flöte.

Wer eine arkadische Staatsangehörigkeit ergattern will, kann sich sodann an einem Computer-Terminal einem PSÜV unterziehen, der Abkürzung für den "Psychisch-Sozialen Überwachungsverein" mit Selbstauskunft über das eigene "Human-Kapital". Nach Ausfüllen eines Formulars, in dem man alle möglichen und unmöglichen Fragen beantworten soll - Betreiben Sie Body-Styling? Spekulieren Sie an der Börse? Haben Sie Sex? Wie hoch ist Ihr IQ?" - erhält man die Antwort auf die brennende Frage, ob man gesellschaftsfähig ist - oder nicht.

Ist diese satirische Form der Selbsterkenntnis noch harmlos, so geht es am dritten Stand, dem "Kunstschießplatz", zur Sache. Es ist eine seltsame Erfahrung, ein Gewehr in die Hand zu nehmen und auf ein Polaroid vom eigenen Konterfei zu schießen. Ein komisches Gefühl beschleiche einen dabei, sagt eine Besucherin, nachdem sie den Test absolviert und auf dem Foto das eigene Ohrläppchen getroffen hat. Kees sagt dazu: Ein Feindbild und die Unterscheidung zwischen Gut und Böse verdrängten psychische Barrieren und ließen Töten und Erschießen nachvollziehbar erscheinen. Nun aber richte man die Waffe - die hier freilich nichts anrichten kann - auf sich selber. Der Wechsel der Perspektive zwingt dazu, sich dem Thema Gewalt zu stellen. Kees zitiert dazu Immanuel Kant: "Die Pflicht gegen sich selbst besteht darin, dass der Mensch die Würde der Menschheit in seiner eigenen Person bewahre."

Eine weitere Reflexionsebene hat Ulrich Panick mit seinem quadratischen Folienspiegel geschaffen, der auf dem Boden liegend einen Teil der Dachbalkenkonstruktion spiegelt und den Eindruck vorgaukelt, dass sich vor einem ein Abgrund auftut. Der Spiegel erzeugt einen jähen Bruch in der als selbstverständlich empfundenen Geschlossenheit der Fläche, auf der man geht und steht, er vertauscht oben und unten. "Im Wortsinne bildhauerisch, skulptural arbeiten bedeutet, subtraktiv vorzugehen. Was muss weg. Was sollte weg, was kann sonst noch weg", steht auf einer Karte, die Panick verteilt. Konsequenterweise ist der Spiegel nurmehr Mittel und Material, kein eigenständiges Objekt und mit keinerlei Symbolik aufgeladen.

Ein wenig Erholung gewährt Cornelia Piesk. Sie zeigt Arbeiten ihrer derzeitigen "zarten" Phase, wie sie erklärt - doch auch die hat Tiefe. Immer wieder ist ihr Thema der "Garten", was aber nichts zu tun hat mit Blumenmalerei, sondern eine Metapher ist für organische Formen, die sich überlagern oder transparent sind, eine kleine geheimnisvolle Welt in der großen. Zu ihren "sedes" genannten vier Papiercollagen gehört ein lyrischer Text: "erst noch ganz leis / hört man es / knispeln stöhnen schaben / spürt einen hauch" heißt es da an einer Stelle. Die Worte beschreiben klangmalerisch gut jene eigenartigen Gebilde, die ein Blatt sein können, ein Wesen oder etwas ganz anderes.

In einer Zwischenwelt bewegen sich auch die Arbeiten von Sybille Rath. Auf schemenhafte Grundflächen zeichnet sie in mehreren Schichten architektonische Elemente, Säulenfragmente, Kapitelle und Mauervorsprünge. Aus diesem gestalterischen Fundus entstehen gotische Wasserspeier und andere frühmittelalterliche Dämonen und Drolerien, manche skurril verzerrt, andere menschenähnlich, rätselhaft und doch vertraut. Sie tragen Titel wie "Gegenwelt" oder "Flügelschlag".

Simone Braitinger entpuppt sich als Meisterin der Täuschung. Ihre Serie erweckt optisch den Eindruck gestrickten Gewebes. Selbst wenn man eines der Bilder berührt, glaubt man, gehärtete Wollfasern zu ertasten. Es ist jedoch Malerei, nichts als Malerei, Ölfarbe auf Leinwand. Strickmusterartig allerdings sind die Motive, die Rhythmen, Reihungen - und Fehler. Die Bilder, so Braitinger, stellten Fragen nach Chaos und Struktur, Schein und Wirklichkeit, Zeit und Unendlichkeit, Halt und Auflösung. Der Abgrund, er lauert einmal mehr unter der Oberfläche - und sei sie aus Maschen.

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Quelle:
SZ vom 09.03.2017
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