Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Selbstbewusste Pioniere

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50 Jahre ist die Gründung der Ebersberger Realschule her, doch die Erinnerungen der ersten Schüler sind noch frisch.

Von Carolin Fries, Ebersberg

Natürlich sind es nicht die mathematischen Berechnungsformeln, die Dreisätze oder Gleichungen, an die sich Hans Greif, 61, Josef Rothmoser, 62, und Dieter Adametz, 63, aus ihrer Schulzeit erinnern. Es ist die Abschlussfahrt nach Wien, der charismatische Klasslehrer, die Streiche, über die sie heute in einem Ebersberger Café unter Sonnenschirmen bei einer Tasse Kaffee schwadronieren.

Jeder erinnert ein anderes Detail, die Männer befruchten sich förmlich gegenseitig auf ihrer gedanklichen Reise in die Vergangenheit, schnell ergibt ein "Weißt Du noch ...?" das andere. Junge Burschen waren sie damals, zwölf, dreizehn Jahre alt und die Ersten, die die neue Schule besuchen sollten.

Ihnen selbst sei das damals ziemlich wurscht gewesen, erzählen sie. Pioniere mit Mittlerer Reife zu sein - für einen Jungen in der Pubertät waren das leere Worte ohne große Bedeutung. Umso öfter haben ihnen die Lehrer wohl deshalb gesagt, dass die Wirtschaft des Landkreises auf sie setze.

Dass die Jungs nicht nur das vielversprechende München im Blick haben sollten. So war es dann auch: Dieter Adametz erinnert sich an viele Klassenkameraden, die zu den Banken und mittelständischen Unternehmen im Landkreis in die Lehre gegangen sind.

Die Klasse von einst trifft sich immer noch beizeiten. Und wenn die Worte der Lehrer etwas bewirkt haben, dann, "dass wir selbstbewusst waren", wie Josef Rothmoser sagt. Aus allen Schülern der Abschlussklasse von 1969 sei etwas geworden: Neben den Bänkern gebe es zum Beispiel einen Repro-Fotografen, einen Elektrofachhändler und einen Landwirt.

Das Mathe-Genie sei ans Leibniz-Rechenzentrum gegangen, das einzige Pärchen - inzwischen verheiratet - lebe auf Teneriffa; er sei freischaffender Künstler. Dieter Adametz hat es zum Marktbereichsleiter bei der Sparkasse im Landkreis gebracht, Hans Greif hat über die Fachoberschule und Fachhochschule ein Diplom in der Elektrotechnik gemacht.

Josef Rothmoser ist ans Gymnasium nach Grafing gewechselt, hat Lebensmittelchemie studiert und an einer privaten Hochschule unterrichtet. Er sagt: "Auf der Realschule habe ich das Arbeiten gelernt".

Anders als heute hatten die Schüler damals kaum eine Wahl, welche Schule sie besuchen sollten. Nach der Volksschule ging es entweder auf die Mittelschule oder das Gymnasium. Der Bau der Realschule freilich war beschlossene Sache, doch die Fertigstellung verzögerte sich.

Eineinhalb Jahre wurden die ersten beiden Klassen im Keller des Langbaus des Grafinger Gymnasiums unterrichtet. Alle mussten sie zuvor in der Landwirtschaftsschule einen Probeunterricht absolvieren. Zwei Klassen wurden gebildet, die 7 K für die Knaben und die 7 M für die Mädchen. Gemischte Klassen haben Greif, Rothmoser und Adametz nicht mehr erlebt. Sie liefen teilweise zu Fuß in die Schule, radelten oder kamen mit dem Schienenbus.

Die S-Bahn wurde erst später anlässlich der Olympischen Spiele in München gebaut. Dieter Adametz wurde zum Schülersprecher gewählt. Er erinnert sich gut daran, wie er in dieser Funktion den ersten Faschingsball organisiert hat. Der Musiksaal wurde dekoriert und dann haben die 16 bis 18 Jahre alten Jugendlichen von 14 bis 16 Uhr in Pantoffeln unter Aufsicht der Lehrer getanzt.

"Mein 15-jähriger Neffe kommt heutzutage morgens um vier mit dem Taxi von der Schulparty heim", sagt Adametz. Es war eine andere Zeit damals, keine Frage. Ihr erster Klassenlehrer war Josef Pfanzelt, später dann Max Wimmer. Vor allem ihn haben sie in Erinnerung behalten.

Einen "Pakt" hätten sie damals mit ihm geschlossen, der sich selbst als "aufbrausend" vorgestellt hatte. Sollte ihm einmal im Affekt die Hand ausrutschen, dürften die Jungs es ihm nicht persönlich nehmen. Die Klasse willigte ein. Wimmer sollte der einzige Lehrer sein, der die Klassentreffen besuchte und mit dem sich die Schüler bis heute duzen.

Zucht und Ordnung hießen damals die Schlagwörter. Schulleiter Richard Böhm wies darauf hin, dass die Buben doch wirklich sparsamer mit dem Rasierwasser umgehen könnten, die Mädchen wurden streng beaufsichtigt.

Als sich die beiden Klassen bunt gemischt auf der Abschlussfahrt nach Wien in einer Weinstube an den Tisch setzen, bestand die Lehrerin auf getrennte Tische. Wien - von den paar Tagen in der Jugendherberge hat Adametz wohl die meisten Bilder in seinem Album. Junge Burschen und Mädels schlafend im Bus, vor Schlössern oder Denkmälern und in den Zimmern der Jugendherberge.

Die Mädels - "heute sind wir alle Omas und Opas", sagt Adametz und lacht. 1987 fand das erste große Klassentreffen statt, zehn Jahre später traf man sich wieder, zuletzt 2009. "Bis auf zwei sind immer alle da", sagt Adametz. Anlässlich der Jubiläums-feierlichkeiten der Realschule planen die Jungs von einst bereits eine Neuauflage: Am Samstag, 18. Juli, treffen sie sich abends auf der Kugler Alm.

Dann wird man wieder in den Erinnerungen schwelgen. "Vielleicht glorifiziert man ein bisschen", sagt Rothmoser. "Aber damals war die Welt noch in Ordnung. Auch wenn wir einen Schmarrn gemacht haben." Dass ein Lehrer seine Klasse unentwegt zur Ruhe mahnen muss, das habe es damals nicht gegeben.

Lehrer waren Autoritätspersonen, "auf die man auch keine Rechtsanwälte losgelassen hat", wie Hans Greif sagt. Er weiß noch, wie er damals eine Englisch-Ex korrigieren musste. "Ich musste allen eine Sechs geben", erzählt Hans Greif. Warum? "Weil wir die junge Referendarin ein bisserl geärgert hatten." Nach der Ex kam das nicht mehr vor.

Stattdessen hoben die Jungs den Fiat 500 einer Lehrerin mal schnell in die Grünanlagen und gratulierten am 1. April mit Blumen zum Hochzeitstag. "Die Lehrerin kam rein, sah die Blumen und bedankte sich überschwänglich", erzählt Adametz. "Sie hatte wirklich Hochzeitstag."

Es gäbe noch viele solcher Geschichten, die die drei Herren aus ihrer Schulzeit erzählen könnten; von einer Schule, die sich in ihren 50 Jahren stark verändert hat, in vielerlei Hinsicht. Schon die eigenen Kinder haben in den gleichen Gemäuern ganz andere Erlebnisse gesammelt. Rothmoser, Adametz und Greif können dazu beitragen, an den Anfang der Realschule in Ebersberg zu erinnern. Und das tun sie gerne.

Die Realschule feiert ihr 50-jähriges Bestehen am Samstag, 18. Juli, von 14 Uhr mit einem Tag der offenen Tür, welcher nahtlos in ein Sommerfest übergehen soll. Bereits am Freitagabend, 17. Juli, findet ein Ehemaligenball in der Grafinger Stadthalle statt. Karten können über das Ticketsystem der Stadthalle im Internet erworben werden.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2015
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