Ebersberg:Schlagen, treten, beißen

Ein lesbisches Paar muss sich nach einer Schlägerei am Grafinger Bahnhof vor dem Amtsgericht verantworten. Die Erinnerung an die Tat ist aber lückenhaft.

Von Jan Linkersdörfer, Ebersberg

Eine Bisswunde in der Wange, mehrere Prellungen an Schultern und Handgelenken und ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma: Das ist das Resultat einer durchzechten Nacht in Grafing. Doch wie genau es dazu kam, daran kann - oder will - sich keiner der Beteiligten mehr so richtig erinnern. Immerhin sind die Geschehnisse über ein Jahr her und der Alkohol scheint so manche Erinnerung an die Nacht zersetzt zu haben.

Susanne Strubl, Richterin am Amtsgericht Ebersberg, hatte in einer fünfstündigen Verhandlung die Aufgabe, diese Erinnerungen zusammenzusetzen und herauszufinden, was wirklich geschehen war. Angeklagt waren zwei junge Frauen, ein lesbisches Paar: Sabine H. und Claudia S. (Namen geändert), beide Mitte Zwanzig. Sie sollen im Oktober 2013 am S-Bahnhof inGrafing den damals 19-jährigen Lehrling Markus L. zuerst bespuckt, dann geschlagen und schließlich, während er am Boden lag, auf ihn eingetreten haben. So zumindest beschrieb es der junge Mann damals bei der Polizei, als er nach dem Vorfall Anzeige erstattete.

Doch die Angeklagten erzählen eine etwas andere Version der Dinge: Markus L. soll Sabine H. daran gehindert haben, auf den Bahnsteig zu gelangen, in dem er sich ihr ihn den Weg stellte und sie "angepöbelt" habe. Daraufhin sei es zu "Rangeleien" gekommen, die letztendlich damit endeten, dass der Lehrling Sabine H. im Schwitzkasten hatte. Ihre Lebensgefährtin Claudia S., die etwas später hinzu stieß, eilte zur Hilfe. "Ich habe rumgeschrien und bin auf die beiden zugelaufen", sagte sie. Doch noch ehe sie sich versah, schlug L. ihr angeblich mit der Faust ins Gesicht, so hart, dass sie zu Boden ging. Dann soll er nachgesetzt haben: "Ich habe mehrere Schläge auf den Kopf bekommen." Ob mit Füßen oder Händen, daran kann sich Claudia S. nicht mehr erinnern. Ein Arzt hat sie am nächsten Tag untersucht, dabei stellte er Prellungen am Jochbein, an der Schulter sowie eine Bisswunde in der rechten Wange fest. "Wie kam es denn zu dem Biss?", möchte Richterin Strubl wissen. "Das weiß ich nicht mehr", behauptete die Angeklagte. Strubl hakte nach: "In die Backe wird aber wohl nicht jeden Tag gebissen, oder?" Es half nichts, die Erinnerungen kamen nicht zurück.

Dann kam das vermeintliche Opfer, Markus L., selbst zu Wort: Demnach haben die beiden Frauen ihn und seine Freunde beleidigt. Als er nachfragte, was das Problem sei, sei er zweimal bespuckt worden. "Dann habe ich auch zurück gespuckt", sagte Markus L. Daraufhin seien die beiden Frauen auf ihn losgegangen.

Auch die geladenen Zeugen konnten wenig zur Aufklärung beitragen: Entweder war die Tat "zu lange her",um sich zweifelsfrei zu erinnern, oder aber man habe "gerade nicht hingeschaut". So zum Beispiel lässt sich nicht sagen, was vor und nach der Tat geschah, ob Markus L. alkoholisiert war oder nicht, wer Zeuge und wer Beteiligter war. Immer wieder tauchen neue Varianten auf, mal ist von einem Skateboard als Schlagwaffe die Rede, mal von einer Flasche. Auch zwei mysteriöse Unbekannte, eine Frau mit Rasta-Zöpfen sowie ein Mann mit Glatze, sollen mitgemischt haben. Dabei sei eine Glasflasche auf Markus L. geflogen. Claudia S. beteuerte, dass es sich lediglich um eine fast leere Bierdose gehandelt habe. "Im Netto gab es damals nämlich nur Dosenbier", behauptete sie. Die Schilderungen der Zeugen ergeben zusammen ein wirres Geflecht, das kaum einer durchblicken kann. Die Richterin entscheidet schließlich, dass das Verfahren eingestellt wird, auch wenn sie sich sicher ist, dass die beiden Angeklagten einen "erheblichen Anteil an der Eskalation" hatten. Zumindest für Claudia S. war die Sache damit erledigt.

Nicht für Sabine H., denn diese soll nach der Schlägerei in Grafing erneut gewalttätig geworden sein: In der S-Bahn soll sie in den frühen Morgenstunden eine junge Frau, mit der sich ihre Lebensgefährtin zuvor unterhalten hatte, aus Eifersucht an den Haaren gezogen und gegen einen Mülleimer geschleudert haben. "Ich habe davor ziemlich viel getrunken, ich war ziemlich zu", gab Sabine H. zu. Mehrere Cocktails und mindestens sechs Kurze sollen es gewesen sein. Angeblich könne sie sich an nichts erinnern. Damals habe sie ihre Aggressionen nicht unter Kontrolle gehabt, gibt die Angeklagte zu, die bereits mehrmals in Therapie war. Deswegen könne es durchaus sein, dass sie die junge Frau angegriffen hat, sagte sie.

Die Staatsanwaltschaft forderte fünf Monate auf Bewährung, Richterin Strubl folgte dem Antrag. Als Bewährungsauflage muss Sabine H. erneut eine Therapie aufnehmen.

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