Dass der Begriff „Ruhestand“ so eigentlich nicht zutreffend ist, werden die meisten Rentnerinnen und Rentner bestätigen. Im Gegenteil: Nach dem Abschied aus der Berufslaufbahn beginnt für viele Senioren der Start „in einen neuen aktiven Lebensabschnitt“. So jedenfalls bezeichnet die in Hamburg ansässige Körber-Stiftung die sogenannte Nacherwerbsphase. Und die Experten müssen es wissen, haben sie doch in einer repräsentativen Befragung von mehr als 1000 Bürgern im Alter von 55- bis 65-Jährigen erhoben, wie viele sich während der Rente ein ehrenamtliches Engagement an ihrem Wohnort vorstellen können. Die Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache, sodass man nun am Ebersberger Landratsamt auf die Studie aufmerksam geworden ist. Denn auch im Landkreis werden sich viele aus der sogenannten Baby-Boomer-Generation der 60er-Jahre demnächst in den Ruhestand verabschieden. In der Kreisbehörde überlegt man deshalb nun, wie sich diese Menschen weiter in die Gesellschaft einbringen könnten.
Rein statistisch könnten sich 22 500 Landkreisbürger über 50 Jahren ehrenamtlich einbringen
Welches Potenzial für ehrenamtliches Engagement der Körber-Studie zufolge im Landkreis schlummert, zeigen die Zahlen, die Jochen Specht, Leiter des Sachgebiets Sozialplanung und Demografie am Landratsamt, in der jüngsten Sitzung des Kreis-Sozialausschusses vorstellte. Weil die Erhebung des Instituts nicht auf eine bestimmte Region beschränkt ist, hat Specht die Ergebnisse für Ebersberg umgerechnet. Der Anteil freiwillig engagierter Personen an der deutschen Gesamtbevölkerung beträgt demnach bei den 50- bis 64-Jährigen 40,6 Prozent, bei den über 65-Jährigen sind es noch 31,2 Prozent. Mit Blick auf den Landkreis, wo mehr als 60 000 Bürgerinnen und Bürger leben, die älter als 50 Jahre alt sind, kommt Jochen Specht auf ein theoretisches Potenzial an ehrenamtlich tätigen Senioren von etwas mehr als 22 500 Personen. Zum Vergleich: Aktuell sind über alle Altersklassen hinweg „nur“ rund 3000 Landkreisbürger im Besitz einer Ehrenamtskarte.
Die Überlegungen, die der Sachgebietsleiter angestellt hat, sind derzeit zwar nichts weiter als reine Zahlenspiele. Dennoch, so Specht, wolle man die Körber-Studie, die den griffigen Titel „Engagiert euch, Boomer!“ trägt, als Grundlage für weitere Überlegungen im Landkreis Ebersberg nehmen. „Viele sagen in der Befragung, dass gesellschaftliches Engagement sehr wichtig ist“, so Specht, „da ist also riesiges Potenzial da.“ Tatsächlich haben mehr als 80 Prozent der Studienteilnehmer die Frage nach einer freiwilligen Betätigung an ihrem Wohnort mit „eher wichtig“ beziehungsweise „sehr wichtig“ beantwortet. Rund 60 Prozent der Befragten können sich deshalb vorstellen, sich im Rentenalter überhaupt oder noch mehr in ihrer Gemeinde zivilgesellschaftlich einzubringen. In der Studie stecke jedoch keinerlei Wertung drin, wie Jochen Specht betonte. „Es ist auch in Ordnung, wenn jemand einfach nur seinen Ruhestand genießen und sich nicht engagieren will.“

Landesseniorenrat:Bayerns oberster Senior schmeißt hin
Rund ein Jahr lang war der Ebersberger Thomas John Vorstandsmitglied im Bayerischen Landesseniorenrat. Nun kündigt er seinen Rücktritt an, wegen „anhaltender Spannungen und Meinungsverschiedenheiten“.
Menschen, die aber dazu bereit sind, müsse man frühzeitig ansprechen, wie der Sachgebietsleiter sagte. Denn die Studie zeigt auch: Wer bei Renteneintritt noch nicht ehrenamtlich engagiert ist, der wird es wahrscheinlich auch nicht mehr werden. „Man muss die Leute also schon vor der Rente abholen“, so Specht. Der Körber-Studie zufolge wollen sich 84 Prozent der bereits Engagierten, die noch berufstätig sind, auch danach engagieren. Das trifft vor allem auf Menschen mit höherem Bildungsniveau zu. Als Informationskanäle würden sich die meisten der Befragten Gemeindeblätter oder Lokalzeitungen wünschen, aber auch persönliche Ansprachen und Veranstaltungen werden von vielen Teilnehmern genannt. Über Soziale Medien sind die Menschen der Befragung zufolge dagegen eher schlecht zu erreichen.
Jochen Specht lenkte den Blick auch noch auf die Bereiche, in denen sich die Studienteilnehmer ein ehrenamtliches Engagement vorstellen können. Am häufigsten wurde hier Umwelt- und Naturschutz genannt, gefolgt von Nachbarschaftshilfe sowie dem Bereich Soziales und Gesundheit. Auf den hinteren Rängen landen dagegen Themen wie Flüchtlingshilfe, Justiz oder Religion. „Besonders die Plätze zwei und drei sind hochinteressant für uns“, sagte Specht in Bezug auf den Landkreis Ebersberg. Mit den Boomer-Jahrgängen gehe in den kommenden Jahren wahnsinnig viel Wissen und Können in die Rente. „Man sollte versuchen, dieses Wissen und Können der Gesellschaft weiter zur Verfügung zu stellen.“
Es könnte auch die Möglichkeit geben, sich durch lokales Engagement die Rente aufzubessern
Wie das gelingen kann, dazu stellte der Sachgebietsleiter bereits einige Gedankenspiele an. Möglicherweise könne man versuchen, engagierte Bürger sogar im Pflegebereich oder in der Kindererziehung unterzubringen. Das müsse auch nicht komplett ehrenamtlich geschehen, sondern könne in gewissem Maße entlohnt werden. „Ich finde, das Thema sollte man nicht gleich verteufeln“, so Specht über die Option, dass sich Senioren durch ihr lokales Engagement zugleich die Rente aufbessern könnten. Tatsächlich würden sich auch knapp ein Drittel der in der Körber-Studie Befragten eine solche Möglichkeit wünschen.
Noch ist das alles Zukunftsmusik, trotzdem will man das Thema am Landratsamt weiter aufmerksam verfolgen. Einen wichtigen Schritt ist der Landkreis Ebersberg in der Sache auch bereits gegangen. Für mehr als 35 Prozent der Studienteilnehmer nämlich würden eine direkte Ansprache und umfassende Informationen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, sich zivilgesellschaftlich einzubringen. Beides gibt es reichlich bei der alljährlichen Ehrenamtsmesse des Landkreises.