Informativ und sehenswert:Felder unendlicher Geschichten

Geachtet, begehrt, verbrannt: Die Ausstellung "Schach und Religion" im Ebersberger Rathaus zeigt das Spiel im Spannungsfeld von Macht und Leidenschaft

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Im Sitzungszimmer im ersten Stock des Ebersberger Rathauses sitzt ein Mönch. Seine Haltung angespannt, sein Blick konzentriert. Schaut er hinaus auf den Marienplatz, wo gerade Sonne und Schatten miteinander Fangen spielen? Oder fixiert er die Figuren auf dem Spielbrett vor sich - auf der Suche nach dem nächsten Zug, der ihn dem "Schach" gegen einen imaginären Gegner näherbringt? Das imaginär darf man dabei wörtlich nehmen. Denn blickt man der stilgerecht kostümierten Puppe über die Schulter, gerät einem ein Porträt des Johannes Capistranus ins Visier, heute ein katholischer Heiliger, einst ein Wanderprediger und Inquisitor des frühen 15. Jahrhunderts. In seinem mörderischen Furor vernichtete er nicht nur vermeintliche Feinde des Christentums aus anderen Religionen, sondern ließ 1452 in Nürnberg auch 3612 Schachbretter ins Feuer werfen. Fundamentalist, der er war, empfand er spielende Menschen als Versündigung am Schöpferwillen, ganz so, wie es auch die radikalen Vertreter anderer Glaubensrichtungen im Lauf der Schachgeschichte immer wieder propagierten.

Derlei bis auf jenen Kern zu enthüllen, der das Wesen im Verhältnis von "Schach und Religion" ausmacht, gelingt der am Samstag im Ebersberger Rathaus eröffneten Ausstellung gleichen Namens auf einprägsame und gut verständliche Weise. Indem sie sich auf das Wesentliche konzentriert und beispielhafte Geschichten erzählt, bringt sie das Thema den Betrachtern so plastisch nahe, dass es weder einer Mitgliedschaft im Schachclub bedarf noch eines Theologiestudiums, um das Gezeigte zu verstehen und, wertvoller noch, eigene Erkenntnisse zu gewinnen und Schlüsse daraus zu ziehen.

Informativ und sehenswert: Klerus und Adel haben seit jeher ihre Konflikte gerne auf dem Schachbrett ausgefochten, wie in dem Gemälde von Bruno Blätter zu sehen.

Klerus und Adel haben seit jeher ihre Konflikte gerne auf dem Schachbrett ausgefochten, wie in dem Gemälde von Bruno Blätter zu sehen.

(Foto: Christian Endt)

Der spielende Mönch, wie es ihn in der Taverne des ehemaligen Ebersberger Klosters tatsächlich gegeben haben mag, sticht dabei sofort ins Auge, manche Details verdienen den Gebrauch einer Lupe, allen voran die vielgestalten und vielgesichtigen Spielfiguren aus verschiedenen Kulturen, die in die Ausstellung das hineinbefördern, was das universelle Spiel "Schach" in seinem Wesen ausmacht: Auf seinem Weg aus Nordindien, oder wo immer genau sein Ursprung liegen mag, hinaus in die Welt hat es immer wieder eingesammelt und integriert, was ihm an Kultur und Geist begegnete. Unter anderem die abstrakte Form der Figuren, weil manche Religion die gestaltliche Darstellung von Menschen untersagte.

Was auf der Hand liegt: Im Gegenüber von zwei "Schlachtreihen" spiegelt sich dabei der ewige Konflikt zwischen Macht und Ohnmacht in mehrfacher Weise. Gruppen einerseits, Schwarz und Weiß, Klerus und Adel, Familien und Geschlechter, Schichten andererseits, reich und arm, bewaffnet und wehrlos, groß und klein. Was die Forschung inzwischen dazu sagt: Schach lässt sich eben nicht allein auf strategische Fragen reduzieren, auch nicht auf Symbolik, sondern erzählt eine übermenschlich große Zahl an Geschichten über das Allzumenschliche. Über den "Damenbauern" zum Beispiel, eine der "gemeinen" Figuren, die der Königin genauso nahe kommen darf wie der König, steht er doch für ihren Leibarzt. Oder über die Allegorien, mit denen auf Gemälden oder Bühnenstücken am Schachbrett Konflikte skizziert und ausgetragen werden. Einige sind in der Ausstellung zu sehen.

Schach und Religion EBE Rathaus

Die Mönchsfigur sticht den Besuchern im Ebersberger Rathaus sofort ins Auge.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Solche und andere Geschichten bringen nicht nur die klug konzipierten Schautafeln der Ausstellung den Besuchern nahe, sondern vor allem der inhaltlich wie optisch höchst anregende Begleitband, von der Schach- und Kulturstiftung G.H.S. mit großer Sorgfalt und Liebe zum Detail herausgegeben und von Ottilie Gaigl mit aufmerksamer Hand und lesefreundlich gestaltet. Seinen Charme und Wert bezieht der reichhaltig illustrierte Band nicht zuletzt aus der Bandbreite des darin vermittelten Wissens. Nicht zu vergessen die kostbaren Schaustücke aus international angesehenen Sammlungen, etwa von Hans Ellinger oder von Thomas H. Thomsen.

Wie gut, wenn man derlei nicht nur als passiver Empfänger vorgesetzt bekommt, sondern im Dialog anreichern darf. Zum Beispiel mit Helmut Pfleger, gefragter Gesprächspartner im Anschluss an die Vernissage im Rathaus. Kundig, geistreich, tiefgründig - einer wie er ist als Gast und Redner ein Glücksfall für jede Veranstaltung. Wenn der Schach-Großmeister sein Wissen über das königliche Spiel mit den Anwesenden teilt, wenn er zwischen historischen Ereignissen und philosophischen Betrachtungen Verknüpfungen sichtbar und Einflüsse verständlich macht, dann erzeugt er eine Spannung und einen Erkenntnisgewinn, wie man ihn bei solchen Eröffnungen selten hat. Bei der Ausstellung "Schach und Religion" bedeutete sein Auftritt am Samstagnachmittag einen glänzenden Start, musste Hauptredner Wilfried Stroh doch am Freitagabend kurzfristig krankheitsbedingt absagen.

Schach und Religion EBE Rathaus

Georg Schweiger (links) hat Schach-Großmeister Helmut Pfleger für die Ausstellung gewinnen können.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dieser Ausfall hatte Veranstalter Georg Schweiger zunächst eine unruhige Nacht beschert, "bis ich in der Früh das Interview Friedensherold zwischen Dame und König mit dem Professor in der Ebersberger SZ gesehen habe. Das war die Rettung", sagte der Veranstalter in seiner Begrüßung. "Da brauchen wir ja nur noch den Artikel in der Vernissage vorzulesen, das ist ja fast so, als wäre der Gast selber da." Eine Idee, die in die Schachliteratur als "Ebersberger Variante" eingehen könnte. Die Lesung zum berühmten Schach-Gedicht des Jesuiten Jakob Balde übernahm Kreisheimatpflegerin Natascha Niemeyer-Wasserer. Sie ließ es sich auch nicht nehmen, den Appell an den Ebersberger Historiker Bernhard Schäfer zu verstärken, gemeinsam mit Stroh ein weiteres Opus des literarischen Mönchs über die Schönheiten Ebersbergs mit umfassender Ortskenntnis anzugehen.

Die Grußworte der Vernissage, frei und lebendig gesprochen von Landrat Robert Niedergesäß und Zweiten Bürgermeister Toni Ried, förderten nicht nur eine beeindruckende Sachkenntnis der beiden zutage, sondern brachten auch einen Begriff ins Spiel, der in der schweigend-konzentrierten Atmosphäre von Schachspielen oder -turnieren eher selten vorkommt: Leidenschaft. Niedergesäß sprach die aktive Schachjugend der Region an, Ried das Konzept der freundschaftlich-friedlichen Auseinandersetzung, die unserer Gesellschaft auch an anderer Stelle guttäte, wenn sich schon auf dem Schachbrett "unsere Welt auf kleinstem Raum" widerspiegele.

Informativ und sehenswert: Zu sehen sind seltene Figuren wie jene aus der Viana-Manufaktur in Portugal.

Zu sehen sind seltene Figuren wie jene aus der Viana-Manufaktur in Portugal.

(Foto: Christian Endt)

Begleitend zur Ausstellung hatte Gitarrist Leopold Henneberger eine Auswahl überwiegend spanischer Melodien aus dem 16. und 17. Jahrhundert mitgebracht - sowie seine über 100-jährige "Hauser". Mit Sorgfalt und Liebe zur Musik hatte der Gründer dieser Münchner Instrumentenbauer-Dynastie einst spanische und bayerische Handwerkskunst zu einem unverwechselbaren Klangbild vereint. Genauso wie das Schachspiel erlaubt sie eine große Bandbreite an Spielarten, Polyphonie genauso wie Kontrapunkt, einfache Tanzweisen genauso wie komplexe Suiten. In Hennebergers Händen entfaltete sich am Samstag die musikalische Dimension des sonst weitgehend stumm verlaufenden Schachspiels, genau im Sinn eines Satzes im Vortrag von Helmut Pfleger: "Jedes menschliche Spiel ist das Gegenstück des kosmischen Spiels der Götter." In der Ebersberger Ausstellung, die später ans Salzburger Mozarteum weiterwandern wird, kommen sich beide Seiten anregend nahe.

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