Ebersberg:Pointen bis zur Schmerzgrenze

Ebersberg: Ulan & Bator nennen sich Sebastian Rüger und Frank Smilgies auf der Bühne und feiern gekonnt den 28. Geburtstag des Alten Kinos.

Ulan & Bator nennen sich Sebastian Rüger und Frank Smilgies auf der Bühne und feiern gekonnt den 28. Geburtstag des Alten Kinos.

(Foto: Christian Endt)

Das Kabarettduo Ulan & Bator lässt mit seinem Programm "Zukunst" die Bühne beben - zum 28. Geburtstag des Alten Kinos

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Es gibt Gerüche, Geräusche oder Szenen, die sofort bestimmte Assoziationen entstehen lassen. Selbst ohne den Satz "Sänk ju for träwelling" weiß dann jeder, dass die schnarrende Näselstimme gleich von umgekehrter Wagenreihung künden wird, oder davon, dass es irgendwo im Nirgendwo einen Halt auf freier Strecke geben wird. Warum? "Weil wir es können!"

So zumindest lautet die Erklärung der beiden Herren in den grauen Maßanzügen, die im Alten Kino diese und andere Alltagssituationen zum Leben erwecken. Die Aussage trifft aber vollumfänglich auch auf sie selbst zu: Ulan & Bator (alias Sebastian Rüger und Frank Smilgies) bringen die Bühne zum Beben und das Publikum zum Staunen, Kopfschütteln, Nachdenken und haltlosen Lachen - weil sie es können! Und wie!

Die Methode des Duos, das sich seit der gemeinsamen Schauspielausbildung auf der Folkwangschule kennt, ist dabei ebenso simpel wie wirkungsvoll: Analog zu der durch das synchrone Anlegen von Pudelmützen eingeleiteten, ironischen Brechung ihrer Anmutung distinguierter Geschäftsleute, finden die beiden für jede ihrer rund zwei Dutzend Nummern einen ganz eigenen bizarren Twist. Dabei geben die beide 53-Jährigen, die bewusst im Dunkeln lassen, wer welche Rolle verkörpert, alles: Sie brillieren mit Spitzen- und Ausdruckstanz oder auch mit ohrwurmtauglichen Songs, erweisen sich als Pantomimen der Extraklasse und bespielen mit entfesseltem Wortwitz die gesamte Klaviatur von Lyrik, Dada, Theater, Kabarett und Fernsehen bis hin zu Stand-Up-Comedy. Manche Pointe kratzt fast schon an der Schmerzgrenze, bevor es dann wieder wunderbar absurd oder nachgerade anspruchsvoll weitergeht.

Kurzum, ein ausgesprochen vielseitiges Programm, besonders und ungewöhnlich.

Und daher absolut dem Anlass angemessen, diesem 28. Geburtstag des Alten Kinos. Die Gründungszeit - Skandale eingeschlossen - lässt Geschäftsführer Markus Bachmeier im launigen Gespräch mit dem damals amtierenden Ebersberger Bürgermeister Hans Vollhardt und seinem Nachfolger Walter Brilmayer noch einmal Revue passieren. Erinnerungen an "Gruppo di Valtorta" kommen per Einspieler. Gleiches gilt für das sowohl rührende als auch sehr lustige Video, produziert vom Team des Alten Kinos, um dessen Aktivitäten während des Lockdowns zu demonstrieren. Herausragend: Ein Tutorial zum Einschenken von Weißbier, in der Hauptrolle: Markus Bachmeier.

All das ist Teil des wie stets gekonnt und charmant von Violetta Ditterich moderierten Vorprogramms der hybriden Veranstaltung mit Livestream. Dieser, im Frühjahr aus der Not geboren und unfassbar schnell umgesetzt, ist mittlerweile ein hochprofessionelles Unterfangen, bei dem fünf Kameras zum Einsatz kommen. Deswegen möchte man ihn als Zusatzangebot auch in Zukunft beibehalten - für alle, die das Haus nicht verlassen wollen oder können, um sich ins Alte Kino aufzumachen. Oder für die es schlichtweg keine Karten mehr gab.

Solche ausverkauften Häuser, ja, die wünscht man den Kulturveranstaltern, die derzeit dreifachen Aufwand betreiben müssen, aber nur einen Bruchteil der Einnahmen generieren. Geschuldet vor allem der notwendigen luftigen Bestuhlung, die - immerhin gut für die Zuschauenden - beste Sicht auf die Bühne garantiert.

Dort manifestiert sich bei der Performance von Ulan & Bator immer wieder Unfassbares: Ein rheinländischer Fußballer, der im Interview unerwartete Kenntnisse offenbart. Ein sprechender Käsezwerg, der mit röhrendem Brunftröcheln haushaltsnahe Dienstleistungen anbietet. Ganz zu schweigen vom Reichprotz, der auch vor einem anoperierten Klumpfuß-Juwelenspeicher nicht zurückschreckt, um seinen ebenso fanatischen Kollegen zu übertrumpfen.

Manche Nummer zieht sich fast ins Unerträgliche, etwa die geräuschvolle Aufführung des "fünfstündigen Opus" für zwei Holzstühle auf Bühnenboden mit dem Titel "Gaumensegeldekonstrukt", die das Geräusch einer Kreide, die über eine Tafel kratzt, plötzlich als erstrebenswerte Alternative erscheinen lässt. Dann hilft nur noch, wie von Ulan - oder war es Bator? - angeregt, "in den Schmerz zu atmen" - und siehe da: Der "Comic Relief" am Ende ist ganz besonders schön.

So viel wie an diesem Abend hat man lange nicht gelacht - oder an mediale Meilensteine gedacht, von Derrick, Dracula und Willi "Ente" Lippens bis Goldoni, Borchert, Pina Bausch und den Kessler-Zwillingen. Der frenetische Applaus des hellauf begeisterten Publikums zeigt, dass es allen so ging. Man hat sich an bekannten Kino-im-Kopf-Szenen erfreut und neue Assoziationen erlernt, von denen zu fürchten ist, dass sie gekommen sind, um zu bleiben. So geht beim Widerhall eines sich nähernden Krückstocks der Blick automatisch zum Fuß des Trägers: Welches gut verborgene Vermögen wohl dort ruhen mag?

Erkenntnisgewinn des Abends: Nichts tut so gut wie große Kleinkunst. Passend dazu der eindringlichen Appell von Ulan & Bator, den Veranstaltern und Künstlern in diesen schwierigen Zeiten weiterhin unbedingt die Treue zu halten: "Theater stärkt euer Immunsystem!"

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