Eins hat Angela Rupp, die Geschäftsführerin des Ebersberger Frauennotrufs, in diesem Jahr festgestellt: "Mit einer Maske ist das Möbelschleppen noch ein bisschen anstrengender." Dennoch freut sie sich über jeden einzelnen Umzug, bei dem sie mitgeholfen hat, bedeutet der Wohnungswechsel doch einen neuen Start für eine Frau, die sich aus einer gewalttätigen Beziehung löst. Seit einem Jahr unterstützt der Frauennotruf Ebersberg diese Frauen in der Übergangsphase - mit ganz praktischer Hilfe und psychosozialer Beratung. Rupp hofft, dass dies auch in Zukunft möglich ist, denn eigentlich läuft die Förderung des Second-Stage-Projekts durch das Sozialministerium Ende Juni aus.
Frauen, die sich von einem Partner trennen, der psychische oder physische Gewalt gegen sie ausübt, müssen nicht nur viel Mut beweisen, sie müssen auch ihr Leben völlig neu organisieren. Ein eigenes Konto einrichten, mit Vermieter und Behörden verhandeln - das alles sind oft Dinge, um die sich die Frauen in der Vergangenheit weder kümmern mussten noch durften. Vor allem eine neue und bezahlbare Wohnung zu finden, ist für viele gerade im Großraum München eine schwer zu bewältigende Herausforderung. Hier setzt das Second-Stage-Projekt des Frauennotrufs an, eines von 17 Modellprojekten in Bayern und das einzige, das nicht an ein Frauenhaus angedockt ist. Seit Dezember hat der Frauennotruf hierfür ein eigenes Büro, seit April kümmert sich federführend Nina Gallenberger um das Projekt, das aber auch von den anderen Mitarbeiterinnen des Frauennotrufs tatkräftig mitbetreut wird.
"Wir haben für einige Frauen viel Gutes bewirken können", sagt Geschäftsführerin Angela Rupp.
Und obwohl es ein ungewöhnliches und schwieriges Jahr war, zieht Rupp doch insgesamt ein positives Fazit: "Wir haben für einige Frauen viel Gutes bewirken können." Wie wichtig es war, dass das Projekt in Ebersberg überhaupt gestartet ist, zeigte auch schon die Tatsache, dass es gleich zwei dringende Fälle gab, um die sich das Frauennotruf-Team kümmern musste. Eine der Frauen war bereits in der Notwohnung des Frauennotrufs untergebracht, die zweite Frau war ebenfalls dringend auf eine alternative Wohnmöglichkeit angewiesen, weil sie bei ihrem gewalttätigen Partner nicht bleiben konnte und die Frauenhäuser zu Beginn der Corona-Krise zeitweise einen Aufnahmestopp verhängt hatten. Beide konnten mit der Hilfe des Frauennotrufs zum 1. Juni eine eigene Wohnung beziehen. Insgesamt, so Rupp, habe man im vergangenen Jahr acht bis zehn Frauen im Übergang zu einem eigenständigen Leben, in dem sie keine Angst vor Gewalt haben müssen, unterstützt.
Coronakrise:Der Ebersberger Frauennotruf rechnet mit einem Ansturm
Die Ausgangsbeschränkungen schützen nicht nur vor einer Coronainfektion, sondern können auch ein höheres Risiko für Fälle von häuslicher Gewalt bedeuten.
Dabei müssen, wie Rupp erklärt, manche Frauen auch erst Fähigkeiten einüben, die den meisten anderen eigentlich selbstverständlich scheinen. Beispielsweise Gespräche mit Vermietern: Eine Frau, sagt Rupp, sei so nervös gewesen, dass sie sich beim Telefonat nicht einmal mit Namen gemeldet habe. Andere hätten beispielsweise Schwierigkeiten, einem potenziellen Vermieter zu erläutern, wie sie die Wohnung finanzieren könnten. "Sie verkaufen sich schlecht. Viele sind einfach so geplättet und aufgeregt", sagt die Geschäftsführerin des Frauennotrufs. In solchen Fällen hat es geholfen, wenn das Gespräch oder Telefonat vorher in Rollenspielen geübt werden konnte. Auch für Bewerbungsgespräche haben die Mitarbeiterinnen des Frauennotrufs einige Frauen vorbereitet und ihnen bei der Suche nach Kita-Plätzen geholfen. Dieses Jahr mussten die Frauen auch monatelang Homeschooling meistern, zusätzlich zu allen anderen Baustellen. Drucker und Computer seien in vielen Familien einfach nicht vorhanden, sagt Rupp, das Internet laufe allein auf dem Handy und oft sei da schon mit ein paar Arbeitsaufträgen aus der Schule am Anfang des Monats das Datenvolumen verbraucht worden. Auch hier habe man im Rahmen des Second-Stage-Projekts versucht, bessere Lösungen zu finden.
Freilich gab es auch einige Fälle, denen man nicht habe helfen können, sagt Rupp. Beispielsweise, wenn die Frauen die Trennung vom Partner doch nicht bewältigt hätten und zu ihm zurückgekehrt seien. Aber es gab auch einen Fall, in dem die betreffende Frau mit dem Tod bedroht wurde und deshalb einfach die Zeit nicht da war dafür, einen Auszug Schritt für Schritt zu organisieren. Hier musste der Frau auf anderem Weg geholfen werden. Nun hofft Rupp, dass es bald ein Signal gibt, ob das Second-Stage-Programm über die Pilotphase hinaus verlängert wird. Sonst bestehe die Gefahr, dass eine gute und engagierte Kollegin sich nach einer anderen Arbeitsstelle umsehe.
Insgesamt war es ein arbeitsreiches Jahr für den Frauennotruf. Zwar waren zu Beginn der Pandemie Klientinnen weggeblieben, weil sie aufgrund der häufigeren Anwesenheit des Partners kaum unbemerkt zur Beratung kommen konnten. Etwa von der Mitte des Jahres an nahm aber der Bedarf an Unterstützung durch die Expertinnen vom Frauennotruf wieder deutlich zu. Ende November lag die Zahl der betreuten Frauen bereits 20 Prozent über der des Vorjahrs, weitere Fälle sind im Dezember dazu gekommen. Die Mitarbeiterinnen seien "sehr engagiert und flexibel" auf die Bedürfnisse der ratsuchenden Frauen eingegangen, sagt Rupp. Allerdings sei auch ein Teil der Arbeit weggefallen, denn Präsenzveranstaltungen und Selbstbehauptungskurse habe es kaum gegeben.