Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 36:Die distanzierte "Frau Gülberg"

Ob sie sich den Patienten gegenüber mit Vor- oder Nachnamen vorstellt, ist für Intensivfachpflegerin Pola Gülberg eine wichtige Entscheidung.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Grüß Gott, mein Name ist Pola, und ich bin nun für Sie zuständig. Das ist immer das erste, was ich zu meinen Patienten sage, nachdem ich ihr Zimmer betreten habe. Es gibt keine strenge Regel, wie wir uns ihnen gegenüber vorstellen, ob der Vor- oder Nachname genannt wird, darf jeder für sich entscheiden. Bei fast allen meinen Kolleginnen und Kollegen ist es jedoch, wie bei mir, der Vorname. Ich halte das für wichtig, denn die Vorstellung mit Vornamen verschafft bei der Behandlung so manch einen Vorteil - unsere Sprache spielt eine viel größere Rolle, als man denkt.

Manchen Patienten ist es wichtig, uns Pflegekräfte beim Namen zu nennen. Andere geben aber auch auf: Es gibt drei Schichten pro Tag, also drei verschiedene Pflegekräfte, die für einen Patienten zuständig sind. Am nächsten Tag kann es sein, dass es wieder drei andere sind. Dann kommen noch die Namen der Ärzteschaft hinzu - da kommen schnell ganz schön viele Namen zusammen, die können sich die wenigsten merken, erst recht nicht, wenn es sich um schwer kranke Menschen handelt. Die beschäftigt freilich mehr ihr Gesundheitszustand als die Namen der Leute, die sie versorgen. Das ist auch richtig so. Deshalb sprechen uns viele Patienten irgendwann mit "Schwester" oder "Pfleger" an, wenn sie uns brauchen.

Daraus schließe ich jedoch nicht, dass mein Name nichts zur Sache tut, und ich ihn eigentlich gar nicht nennen müsste. Denn es ist doch so: Wir kommen unseren Patienten bei der Versorgung körperlich sehr nahe. Wenn ich zum Beispiel jemandem bei seinem Toilettengang unterstütze, dann ist das nicht auf der gleichen Stufe, wie wenn ich jemandem einen neuen Haarschnitt verpasse - wir Pflegekräfte befinden uns in der Intimsphäre unserer Patienten. Ich möchte ein Gefühl von Vertrautheit schaffen, so dass idealerweise diese Eingriffe in der Intimsphäre für den Patienten weniger schlimm sind. Er soll sich so wohl wie möglich fühlen, denn auch das trägt zu seiner Genesung bei. "Frau Gülberg" ist aber dem ersten Eindruck nach immer distanzierter als "Pola". Ich denke, dass mit dem Vornamen leichter das Eis gebrochen ist und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann, das trotzdem respektvoll ist.

Zum respektvollen Umgang gehört, dass unsere Patienten gesiezt werden, egal wie alt sie sind, oder ob sie ihren Vornamen nennen. Dadurch ist dem Menschen gegenüber auch sprachlich sofort der Respekt gesetzt - der ist und bleibt da, auch wenn wir bei intimen Tätigkeiten wie dem Toilettengang unterstützen, die dem Patienten möglicherweise unangenehm sind.

Es gibt zwei Ausnahmen: Oft reagieren Menschen mit einer geistigen Behinderung oder einer Demenz-Erkrankung nicht, wenn sie mit Frau oder Herr Sowieso angesprochen werden. Dann ist der Vor- oder Spitzname wichtig und manchmal auch ein "Du". Das ist aber kein Automatismus: Nie würde ich einen meiner behinderten oder dementen Patienten einfach mit dem Vornamen ansprechen, wenn uns nicht vorab etwa Angehörige ausdrücklich darauf hingewiesen haben. Respekt und Vertrautheit schließen sich gegenseitig nicht aus und beides ist stark an unsere Wortwahl gekoppelt.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 37-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station.

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