SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 30:Die Bundeswehr in der Kreisklinik

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Ärztlicher Direktor Peter Kreissl dankt Hauptgefreitem Bastian Kraus und Feldwebel Jonas Feldmann gemeinsam mit Klinik-Geschäftsführer Stefan Huber (von links) für die Unterstützung, unter anderem am Eingang zur Zentralen Notaufnahme. (Foto: Kreisklinik/oh)

Seit kurzem unterstützen Soldaten das Krankenhaus. Für Julia Rettenberger ist das beklemmend - und dennoch ist sie um die Hilfe froh, denn sie ist dringend notwendig.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Bundeswehrsoldaten sieht man für gewöhnlich in Spielfilmen über Einsätze in Krisengebieten. Oder in Reportagen über Kriegseinsätze. Oder in den Nachrichten, wenn eine Katastrophe vorgefallen ist. Alles ist weit weg. Selbst als Bundeswehrkräfte im vergangenen Sommer nach der schlimmen Flut im Westen Deutschlands den Menschen vor Ort geholfen haben, war das zwar nicht mehr weit weg, jedoch eben auch nicht richtig nah. Aber jetzt könnten Soldaten nicht noch näher sein: an meinem Arbeitsplatz auf der Intensiv.

Als ich vor gut einer Woche nach einer Nachtschicht die Klinik verließ, kamen mir sechs junge Männer in Camouflage-Montur entgegen. Ein Gefühl der Beklemmung machte sich in mir breit. Und doch wusste ich, dass wir dringend auf ihre Hilfe angewiesen sind. Ich bin froh, dass sie bei uns sind.

Insgesamt unterstützen uns mittlerweile zehn Bundeswehrsoldaten. Sie sind für strukturelle Arbeiten zuständig, die unsere pflegerische und medizinische Versorgung sichern: Sie nehmen Corona-Testabstriche beim Klinikpersonal vor. Am Eingang der Notaufnahme kontrollieren sie die Zutrittsregeln. Auch bei uns auf der Intensivstation ist ein Soldat eingesetzt. Er hilft beim Auffüllen unserer Versorgungsvorräte, denn bei den aktuellen Materialmassen kommen unsere dafür zuständigen Stationsassistenten ohne Unterstützung nicht mehr hinterher. Für uns Pflegekräfte ist das unglaublich entlastend, denn wir haben so viel mit der Patientenversorgung zu tun, dass für andere Arbeiten keine Zeit bleibt.

Julia Rettenberger arbeitet als Intensivfachpflegekraft in der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In jeder Schicht füllen wir Listen mit Infos über unsere Patienten aus. Die Kolleginnen der nachfolgenden Schicht können sich damit schnell einen Überblick verschaffen. Als ich die Liste vor einigen Tagen zu Beginn meiner Schicht las, standen dort 17 Namen. Ich bin erschrocken. Die Mehrzahl der Patienten war zwischen den Jahren 1955 und 1970 geboren. Das sind junge Jahrgänge. Während der vergangenen Corona-Wellen hatten wir sie niemals in dieser Häufung bei uns - und erst recht nicht vor der Pandemie.

Leider sehe ich so viele tote und vor allem junge tote Patienten wie niemals zuvor. Klar versorge ich auch immer mal wieder beispielsweise einen jungen Tumorpatienten, der an seiner Krankheit stirbt. Das ist nicht weniger tragisch. Aber in solchen Fällen denke ich mir: Die Medizin ist einfach noch nicht so weit, wir können nicht alles behandeln und heilen. Aber bei Corona ist das anders, hier könnte sich fast jeder schützen. Das zu wissen und trotzdem so viele schwer kranke Menschen zu behandeln, viele davon sterben zu sehen - es macht mürbe.

Die vergangenen Tage konnten wir in der Klinik auch das sogenannte Kleeblatt-System, das eine deutschlandweite Verlegung von Patienten koordiniert, in Anspruch nehmen. So haben wir einen Patienten nach Landsberg verlegt. Einen anderen nach Hamburg. Und noch einen nach Lübeck. Eigentlich eine tolle Sache, denn so werden wir wieder entlastet und schaffen freie Kapazitäten. Das könnte man zumindest denken. Aber tatsächlich stellt sich die Situation anders dar: Es kommen immer weiter neue Patienten nach.

Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 28-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station .

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