Süddeutsche Zeitung

Heiliger Sebastian:Patron mit Geschichte

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Die Kunsthistorikerin Brigitte Schliewen widmet dem wichtigsten Ebersberger Reliquiar, der Büste des Heiligen Sebastian, eine neue Analyse. Diese verweist auf einen Wasserburger Goldschmied.

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Es dauert eine Weile, dann ist es offensichtlich: Der heilige Sebastian schielt. Schaut man dem Ebersberger Stadtpatron längere Zeit in die leuchtend blauschwarzen Augen, dann fällt auf, dass sein Blick haarscharf links und rechts am Betrachter vorbei geht. Zumindest in der Darstellung seines Antlitzes auf dem Büsten-Reliquiar, das in der dem Heiligen geweihten Pfarrkirche aufbewahrt wird.

Doch das vom Künstler hier angedeutete Augenleiden ist nicht der einzige Grund, warum die Vaterstettener Kunsthistorikerin Brigitte Schliewen dem Hausheiligen und Nothelfer einen als Sonderdruck im Verlag des Historischen Vereins von Oberbayern (Band 139) erschienenen Aufsatz gewidmet hat. "Lange hat man nicht gewusst, wer das Reliquiar geschaffen hat und wann", sagt Schliewen, denn es hat weder Signatur noch Datum oder Stifterwappen.

Nachdem sie lange Zeit die Geschichte und Bedeutung des Kleinods erforscht hat, wurde sie beim Durchforsten von Chroniken, Inventaren und Mitgliedsverzeichnissen religiöser Bruderschaften fündig. Als Quellen für die Datierung dienten vor allem ein gezeichnetes Ebersberger "Heiltumsbuch" sowie das 1503 verfasste Inventar der Sebastiansbruderschaft, in dem die Gläubigen aufgefordert werden, die Reliquie anzubeten: "so sicht Euer lieb und andacht die hürnschale des edlen und heillig Ritters und marterers S. Sebastiani patroni huius Ecclesiae."

Die Darstellungen auf Pergament in den Schriften, so Schliewen, zeigten auffallende Ähnlichkeiten mit dem Reliquiar im Hinblick auf Schrift und Ornamentik. Ihr Fazit: Die Büste entstand zwischen 1496 und 1503. Dieser Zeitrahmen von sieben Jahren sowie stilistische Eigenheiten verweisen zudem auf die Werkstatt des Wasserburger Goldschmieds Lasla, der 1496 starb.

Die Geschichte der Reliquie und ihres Schreins beginnt allerdings viel früher. Die in der Kunstgeschichte berühmte Darstellung des an einen Baum gefesselten und mit Pfeilen durchbohrten Mannes ist eines der bedrückendsten Sinnbilder für Verfolgung und Folter. Der Legende zufolge soll Sebastian, Offizier in der Leibwache des römischen Kaisers Diokletian (284 bis 305), gefangenen Glaubensgenossen Trost gespendet und andere Römer zu bekehren versucht haben.

Natürlich blieb dem Kaiser die missionarische Tätigkeit nicht verborgen. Sebastian wurde zum Tode verurteilt, doch wunderbarerweise überlebte der junge Mann das Martyrium. Zu verdanken hatte er das der Witwe des Kastulus, die seine Wunden pflegte. Wieder gesund, trat er dem Kaiser entgegen und warf ihm die grausamen Verfolgungen vor.

Woraufhin der anordnete, Sebastian mit Knüppeln zu erschlagen. Die Leiche wurde in die "cloaca maxima", in den Abwasserkanal, geworfen. Wiederum kümmerte sich eine Römerin um ihn, barg die sterblichen Überreste und bestattete diese, wie es heißt, unter der Kirche, die heute "San Sebastiano ad catacumbas" heißt.

Schon im vierten Jahrhundert, so bezeugt es ein römischer Festkalender im Jahr 354, setzte die Verehrung Sebastians ein. Das Patrozinium wird am 20. Januar gefeiert. Und wie es scheint, stimmt genau, was noch heute eine Bauernregel behauptet: "Sebastian je kälter und heller - dann werden Scheuer und Fässer umso völler."

Eine spannende Frage ist, wie die Reliquie von Rom nach Ebersberg kam, und ob sie echt ist. Wie der Ebersberger Chronist Franz Xaver Paulhaber, den Schliewen zitiert, berichtet hat, sei die von Papst Stephan VIII. (929 bis 931) gestiftete Kalotte von Hunfried, einem von den Grafen Eberhard und Adalpero von Sempt auserwählten hochgestellten Priester, in eine neu errichtete Kirche in Ebersberg gebracht worden.

Die Reliquie besteht laut Paulhuber aus dem Stirnbein und den beiden Scheitelbeinen des Schädels. Eine Untersuchungskommission sei 1928 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Schale echt sei. Kardinal Faulhaber ließ seinerzeit zudem einen naturgetreuen Abdruck von der Hirnschale anfertigen und diesen in Rom mit dem übrigen Teil des Kopfes vergleichen, wodurch die Echtheit nochmals bestätigt werden konnte, wie Kreisheimatpfleger Markus Krammer 2002 schrieb.

Der Besitz des Reliquiars, so Schliewen, habe sich für das Benediktinerkloster Ebersberg und nachfolgend auch für die Residenz der Jesuiten über seine religiöse Bedeutung hinaus als wirtschaftspolitisch bedeutsam erwiesen. Die Wunder verheißende Kraft der Schädelkalotte zog über die Jahrhunderte zahlreiche Pilger- und Wallfahrerprozessionen an, die sich Hoffnung auf Verschonung vor den immer wieder aufflackernden Pest-Epidemien versprachen, schreibt Schliewen.

"Leichname von Märtyrern wurden regelrecht zerlegt, damit jeder Fürst und Abt ein Stück abbekam, das er anbeten lassen konnte", sagt Schliewen zum damals üblichen schwunghaften Reliquienhandel. Die Verehrung Sebastians als Pestheiliger gründet sich der "Legenda aurea" von Jakobus de Voragine zufolge - einem "Whos's Who" der Heiligen -, auf einen Vorfall im Jahr 680. Nachdem die Reliquien Sebastians durch die Straßen getragen worden waren, sei die Krankheit jäh erloschen.

Das heutige Reliquiar ist allerdings nicht die erste Heimstatt für die heiligen Knochen. Im Hochmittelalter lag die Schädelkalotte, Blicken entzogen, in einem kleinen Tragaltar. Vom Ende des 15. Jahrhunderts an wurde sie in jenem silbervergoldeten Büstenreliquiar verwahrt.

Nachdem sich aber der Brauch eingebürgert hatte, aus der Schädeldecke geweihten Wein als "Immunisierung" gegen die Pest zu trinken, wurde die Hirnschale im Laufe der Zeit arg in Mitleidenschaft gezogen. Der Münchner Goldschmied Franz Kessler arbeitete 1677 das Kleinod daher um zu einem säurefesten Trinkgefäß. "Heute ist der Brauch, aus der Schale zu trinken, erloschen", sagt Brigitte Schliewen.

Verehrt wird Sebastian aber immer noch. Das Haupt der Büste birgt unter dem mit bunten Steinen verzierten Kronhut die Hirnschale. Mantelkragen und Schließe schmücken elf in Rosetten gebettete Steine. Eine Kette mit Münzen ziert die Brust. An das Martyrium des jungen Mannes erinnern drei Pfeile, die in Schulter und Brust stecken. Jugendlich wirken auch die symmetrisch angeordneten Locken, das Gesicht jedoch, mit Falten und dicker Unterlippe, ist das eines gereiften Mannes.

Spannend findet Schliewen die Sache mit dem Schielen, "Strabismus" genannt. Handelt es sich dabei um eine Ungeschicklichkeit des Künstlers? Um den Hinweis auf eine damals häufige Missbildung der Augen? Um einen ikonografischen Hinweis auf die Kreuzigung Christi? Viele Heiligenstatuen, so Schliewen, schielen, sogar Marienfiguren von Veit Stoß, dem man kaum mangelndes Können vorwerfen könne. "Das kann kein Zufall sein. Ich werde das Phänomen weiter erforschen."

Diesen Mittwoch, 20. Januar, findet um 18 Uhr zu Ehren der Heiligen Sebastian und Fabian eine Messe in der Kapelle der Kreisklinik statt.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2016
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