Ebersberg:Mit Ironie in die sechste Dimension

Ebersberg: Herrsch- und eifersüchtig: So präsentiert sich die schwarze Königin in Peter Mitschitczeks Schachmärchen von der weißen Bäuerin.

Herrsch- und eifersüchtig: So präsentiert sich die schwarze Königin in Peter Mitschitczeks Schachmärchen von der weißen Bäuerin.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schachunion Ebersberg-Grafing bringt zum 50-jährigen Bestehen die kulturellen Seiten ihres Spiels zum Klingen

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Wo kommen wir eigentlich hin, wenn wir über ein Ereignis im Feuilleton berichten, bei dem Sportfunktionäre das Wort ergreifen? Zum Schach. Das liegt daran, dass in unserer wunderbaren, durch und durch aufgeräumten und sortierten Welt jedes Tun irgendwo hingehören muss. Beim "Spiel der Könige" fallen zwei Optionen schon mal durchs Raster: "Spielen" ist nicht ernsthaft genug und "Könige" sind seit fast 100 Jahren hierzulande abgeschafft. Aus einem Grenzfall zwischen Weltkulturerbe und sportlichem Wettkampf wird, wohl wegen der zählbaren Resultate, am Ende dann eine Disziplin der körperlichen Ertüchtigung. Was wir insofern gern gelten lassen wollen, weil damit bestätigt ist, dass der Kopf zum "Body" dazugehört, um den heutzutage so viel Aufhebens gemacht wird.

Dazu kommt, dass die Schachunion Ebersberg-Grafing, geführt von ihrem Vorsitzenden Georg Schweiger, schon seit langem ihre Verknüpfung mit dem kulturellen Leben in Stadt und Landkreis, vor allem aber in interessierten Köpfen sichtbar macht. Zu ihrem 50-jährigen Bestehen hat sie daher das Jubiläumsprogramm über das (sportliche) Messen der Kräfte am Brett hinaus mit geistigen Impulsen verbunden, die auch Amateure und Nicht-Spieler anregen, sich mit dem Schachspiel auseinanderzusetzen. Mit zwei ebenso originellen wie anregenden Programmpunkten am Samstagabend im Alten Speicher haben die Schachfreunde damit anderen die Türen zu ihrer Welt geöffnet und sich selbst eine Freude bereitet.

Das eine war das Schachmärchen "Die weiße Bäuerin", ein Singspiel des Wiener Baritons Peter Mitschitczek. Die eingängigen Melodien des Stücks, zwischen Operette und Musical changierend, die auf drei Figuren konzentrierte Handlung - neben der Titelfigur die schwarze Königin und der weiße Prinz - sowie die bezwingende Logik einer Liebesgeschichte, die Nöte des Herzens mit den Kräften des Verstandes löst, ist so sehr "Schach", wie es ein Bühnenstück nur sein kann. Von der Taktik des geschützten Bewegungsraums über den fliegenden Wechsel zwischen Defensive und Offensive bis hin zum klugen Schachzug des Figurentauschs, wenn die Bäuerin das jenseitige Territorium durchschritten hat: Auf 40 Minuten sind hier das Wesen, das Vergnügen und die Herausforderung des Schachspiels trefflich verdichtet. Gerade das ursprünglich mit dem Stück adressierte junge Publikum, das an diesem Abend leider nicht anwesend war, könnte hier zauberhafte Seiten eines Spiels kennenlernen, das zu Unrecht oft als "verkopft" und "alt" verstanden wird. Mitschitczek, vom Pianisten Dimitar Kosev elegant und zuverlässig begleitet, hat es hier als Texter, Dramaturg und Sänger verstanden, die sechs Dimensionen des Schachspiels mit dem Menschenleben zu verbinden: Gerade die drei ungreifbaren Faktoren Zeit, Gedanken und Gefühl macht er auf eine derart souveräne Weise sichtbar, wie es nur einer kann, der sein Schachspiel liebt.

Womit wir letztlich bei einem neu zu lernenden Begriff angelangt sind, der "Schachwitwe". Worunter innerhalb aktiver Spielerkreise jene Ehefrauen verstanden werden, denen die Abwesenheit ihrer taktierenden, sinnierenden, ihr Dasein zeitweise auf die acht mal acht Felder des Spielbretts konzentrierenden Gemahle zum Alltag geworden ist. Der atemberaubend komische Stummfilm des russischen Regisseurs Wsewolod Pudowkin, "Schachfieber", hat diesen Zustand schon im Jahre 1925 satirisch zugespitzt. Darin stolpert der schachvernarrte Held, von dem es zu jener Zeit in Russland zigtausende gab, von einer zwischenmenschlichen Katastrophe in die nächste, bis ein wahrer Großmeister die zunächst verschmähte Geliebte selbst von den Reizen des Spiels überzeugt.

Es gebührt den Verantwortlichen der Schachunion zur Ehre, diesen Höhepunkt an Selbstironie in ihr Jubiläum integriert zu haben. Sie, die Künstler und die höchst anregende Wanderung durch das Grenzgebiet von Sport und Kultur hätten dafür auch mehr Publikum verdient gehabt, als an diesem lauschigen Samstagabend im Wettbewerb mit Biergarten und Fußball zu gewinnen war.

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