Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Mit Erdreich und Dornen gegen Reiterhorden

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Der Hobby-Historiker Rudolf Scharl hat im Ortsteil Haselbach wahrscheinlich die Reste einer Fliehburg gegen die Ungarn-Überfälle entdeckt. Auslöser seiner These sind ein Metallfund im Acker sowie Böschungen, die keinen natürlichen Ursprung haben.

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Es geschah an einem sonnigen Apriltag dieses Jahres in der Nähe der Kirche von Haselbach. "Da lag er, der Lehmklumpen, unterhalb des Weges", berichtet der Ebersberger Geschichtsforscher Rudolf Scharl. Nur ein Metallring ragte daraus hervor. "Ich habe das Ding aufgehoben, in ein Papiertaschentuch gewickelt und mit nach Hause genommen", erzählt Scharl weiter, "denn ich neige nun mal dazu, alles, was rostig ist, mit heim zu nehmen", fügt er mit etwas Selbstironie hinzu. Nur zwei Tage später habe der Bauer das Feld umgearbeitet, dann wäre der Fund vermutlich für immer unentdeckt geblieben: An diesem Mittwoch, 29. Oktober, wird der Hobbyhistoriker ihn - sowie die daraus folgende Entdeckung - im Sitzungssaal des Ebersberger Rathauses der Öffentlichkeit präsentieren.

"Eigentlich war mir gleich klar, was das sein könnte, was ich da gefunden habe", sagt Scharl, obwohl es in bayerischen Museen und in der Literatur kein einziges vergleichbares Stück gebe. Als Historiker mit Schwerpunkt Mittelalter und profunder Kenner Kleinasiens habe er jedoch solche Fundstücke schon häufig gesehen. Mehr will er im Augenblick nicht verraten. "Schließlich möchte ich den Besuchern meines Lichtbildervortrags noch etwas Neues erzählen können", sagt er, lacht und deutet auf eine markante Böschung, die sich kurz vor dem Ortsschild von Haselbach den Hang hinauf zieht.

Scharl trägt wetterfeste Schuhe, schließlich führt der Weg durch hohes nasses Gras und über rutschiges Erdreich. "Seit dreißig Jahren gehe ich hier spazieren und habe lange nicht verstanden, was ich da sehe", sagt Rudolf Scharl. "Man wunderte sich zwar immer wieder darüber, aber dann sagte man sich: Ist halt so!" Erst der Fund sowie ein Aufsatz in der Zeitschrift des Historischen Vereins für den Landkreis Erding über ungarische Fliehburgen habe ihm die Augen geöffnet. Auch sonst habe sich wohl nie jemand Gedanken über die auffälligen, mit Gras bewachsenen Kanten und Stufen im Gelände gemacht.

Als ehemaliger Referatsleiter im Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen weiß er jedoch eine Menge über Feld und Flur. Und ihm war klar: Es handelte sich dabei weder um Flurgrenzen - "eher folgten die Flurgrenzen den bereits vorhandenen Böschungen" -, noch um eine terrassierte Form der Landwirtschaft, denn "die Terrassen müssten dann ja entlang der Höhenlinien verlaufen, was sie aber nicht tun". Blieb also in seinen Augen nur eine Möglichkeit: Die Böschungen (Siehe auch Karte) sind die Überbleibsel einer Fliehburg, die Haselbach vor den Überfällen der ungarischen Reiterhorden schützen sollte. Sie entstanden, indem man von oben Erdreich zusammenschob und dann mit bis zu drei Meter hohem Dornengestrüpp bepflanzte, von dem heute natürlich nichts mehr übrig ist.

Haselbach liegt auf einem Hügelsporn, der von Nordwesten nach Südosten verläuft, begrenzt vom "Motzenbach", der sich unten im steil abfallenden Tal mit der Ebrach vereinigt, ein unüberwindliches Hindernis für Pferde und Reiter. Auch die "Schwachstelle" des Sporns, der Hals, war geschützt von Urwald, ein für Steppenkrieger, die auf ihren kleinen Pferden im Galopp heranreiten, ihren Pfeilehagel abschießen und wieder ratzfatz verschwinden, undurchdringliches Hindernis. "Auf eine längere Belagerung waren die Steppenkrieger nicht vorbereitet, dazu waren sie auch nicht in der Lage", sagt Scharl. Es ging also vor allem darum, die Flanken zu sichern und zu verhindern, dass Mensch, Tier und Hof von brennenden Pfeilen getroffen wurden.

In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts wurde das Herzogtum Bayern immer wieder von den Reitern aus dem Osten überfallen. Auch Ebersberg wurde heimgesucht. Die Aussagen und Darstellungen in der Bildchronik des Klosters Ebersberg sowie die Ausgrabungen von Walter Sage weisen darauf hin. Ein markantes Zeugnis jener Zeit andauernder Bedrohung ist die Ungarn-Fliehburg auf dem Schlossberg Unterelkofen, erklärt Bernhard Schäfer, Vorsitzender des Historischen Vereins Ebersberg.

Auch die "Alte Birg" bei Schäftlarn ist solch eine Anlage, wo man zu jener Zeit auf einer bereits bestehenden älteren Verteidigungsanlage aufbaute, den älteren Teil also in gewisser Weise "recycelte". Anders in Haselbach. Aufgrund einer starken Vermehrung der Bevölkerung in jener Zeit seien viele Siedlungen entstanden, darunter auch Haselbach, deren Bewohner ebenfalls Schutz suchten und daher neue Anlagen wie den Ring aus Böschungen errichteten, erklärt Scharl.

Doch die um Haselbach herum angelegten Stufen sind nicht die einzige Spur, die von der Fliehburg übrig ist. Auf einem Rasenstück hat Scharl auch ein "positives Bewuchsmerkmal" entdeckt. Dabei handelt es sich um einen Streifen grünen Grases, den man nur erkennt, wenn die Wiese frisch gemäht ist, denn er bleibt grün, während die Halme drumherum gelb werden. Grund ist, dass an der grünen Stelle der Boden mehr Feuchtigkeit enthält. "Hier könnte ein Graben gewesen sein", sagt Scharl. Zumal als Fortsetzung des Streifens eine zweistufige Böschung erkennbar ist.

Das Landesamt für Denkmalpflege, dem Scharl Fotos seines Fundes geschickt und die sich daraus ergebenden Schlüsse mitgeteilt hat, sei allerdings anderer Meinung. Scharl, dem es möglicherweise gelungen ist, das legendäre Reuental des populären mittelalterlichen Dichters Neidhart im Raum Erding zu verorten, wundert sich über die Stellungnahme der Behörde. Dass der Fund im Acker einfach nur die "Muffe einer Wagenachse" sei, könne man ausschließen. "Wagenachsen haben keine Muffen!" Wäre das Ding Teil irgendeiner Maschine, müsste irgendetwas dran, eine Vertiefung oder Zahnräder, was geeignet sei, an besagte Maschine angeschlossen zu werden. "Das Teil ist aber vollkommen glatt", sagt Scharl.

Von Seiten des Denkmalamtes behaupte man auch, Ungarn-Fliehburgen, die nur aus Böschungen bestehen, seien nicht bekannt. Dies sei zwar korrekt im Fall jener Anlagen, die auf älteren Schutzburgen aufbauten, aber eben nicht bei den kleinen, damals neu geschaffenen. Rudolf Scharl räumt allerdings ein: "Ich halte meine These für wahrscheinlich, sicher könne man sich als Historiker aber nie sein."

Sicher hingegen ist, dass Haselbach bereits um 890 im Besitz des Grafen Sieghart war. Dieser hatte das Land, so heißt es, vom ostfränkischen König, mit dem er über fünf Ecken verwandt war, geschenkt bekommen. 892 habe jener ostfränkische König die Nomadenreiter als Verbündete gewonnen, um die abtrünnigen Untertanen in Mähren im Auge zu behalten. "Von da an kannte das eroberungslustige Steppenvolk das Westreich, man hat ihnen die Zunge lang gemacht", sagt Scharl. Die Überfälle sprachen sich in den Kirchen und Klöstern schnell herum. Da Haselbach ein Gut der Grafen von Ebersberg war, wusste man von der Bedrohung und versuchte sich zu wappnen. Wie es jedoch dazu kam, dass das von Rudolf Scharl entdeckte Metallteil im Erdreich von Haselbach stecken blieb, bleibt aber wohl auf ewig Spekulation.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2014
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