SZ-Serie "Unter Druck":Mit den Nachbarn lernen

Mehr Einwohner bedeutet auch mehr Schüler. Besonders in den Gymnasien und Realschulen wird mittlerweile der Platz knapp, die Lösung für das Problem könnte außerhalb des Landkreises liegen.

Von Wieland Bögel, Ebersberg

Es schien schon zur allerletzten Stunde geläutet zu haben, für einige kleinere Grundschulen im Landkreis. Besonders im Süden gab es die Befürchtung, dass manche Standorte nicht zu halten sein würden, dass Schulen zusammengelegt und geschlossen werden und die Kinder künftig lange Wege auf sich nehmen müssten, weil es in ihrem Ort nicht mehr genug Altersgenossen für eine neue erste Klasse gibt. Noch keine zehn Jahre ist das her, inzwischen ist die Aufregung um Schulschließungen im Landkreis so gut wie vergessen, die Schülerzahlen haben sich nach einigen eher geburtenschwachen Jahrgängen wieder stabilisiert und steigen stetig.

Eine Entwicklung, die die Leiterin des Ebersberger Schulamtes Angelika Sauter nicht überrascht. Sie habe schon damals nicht damit gerechnet, dass man im Landkreis Schulstandorte aufgeben müsse, und dies werde wohl auch in Zukunft nicht der Fall sein. Die Zahlen zumindest geben der Schulamtsleiterin Recht: Insgesamt 1321 Mädchen und Buben haben heuer ihr erstes Schuljahr in einer der 24 Grundschulen zwischen Anzing und Aßling absolviert.

Im nun beginnenden Schuljahr werden es sogar 1395 Erstklässler sein. Außerdem rechnet man im Schulamt noch mit einigen Zuzüglern in den anderen Jahrgangsstufen, derzeit erwartet man um die 70 neue Schüler in den Klassen zwei bis vier. Besonders gut besucht werden im kommenden Schuljahr die dritten Klassen im Landkreis mit insgesamt 1427 Kindern sein.

Trotz einiger Schwankungen zeigt der allgemeine Trend bei den Schülerzahlen im ganzen Landkreis nur in eine Richtung: nach oben. Und was kleinere Schulen vor der Schließung rettet, ist anderswo durchaus eine Herausforderung. Zwar gebe es derzeit keine Probleme mit überfüllten Grundschulen, sagt Sauter, "es brennt nicht", aber der Raumbedarf steige schon stetig. Besonders in den großen Zuzugsgemeinden wie Poing und Vaterstetten ist dies zu beobachten.

Schwierig sei hier weniger, dass man neue Schulen bauen oder bestehende erweitern muss, sondern die schlechte Planbarkeit. Denn mehr als sechs Jahre in die Zukunft reicht eben keine Prognose für die Zahl der künftigen Erstklässler - oft ist die Zeit sogar noch kürzer. Wie viele neue Schüler zu erwarten sind, zeige sich meist "erst wenn ein neues Wohngebiet verkauft und bezogen ist", sagt Sauter.

Die Gemeinden versuchen genau dies bei der Planung ihrer neuen Ortsteile zu berücksichtigen. So wird etwa in Poing, der am schnellsten wachsenden Kommune des Landkreises, eine neue dreizügige Grundschule entstehen. Bereits im übernächsten Jahr könnte der Neubau im Norden der Gemeinde entstehen, und dann steht schon das nächste Projekt an: der Neubau der Schule in der Karl-Sittler-Straße, bis 2019 soll er fertig sein.

SZ-Serie "Unter Druck": Im Jahr 2008 wird in Kirchseeon das vierte Gymnasium des Landkreises eröffnet (Foto), inzwischen werden Rufe nach einem fünften laut.

Im Jahr 2008 wird in Kirchseeon das vierte Gymnasium des Landkreises eröffnet (Foto), inzwischen werden Rufe nach einem fünften laut.

(Foto: Christian Endt)

Etwa zur gleichen Zeit sollen auch die Vaterstettener Grundschüler umziehen, von ihrem alten Gebäude an der Gluckstraße in die neue Schule am Sportplatz. Die Planungen dafür ziehen sich nun schon mehrere Jahre hin, nicht zuletzt, weil man den bereits fertigen Entwurf einer dreizügigen Schule um einen weiteren Zug erweitern ließ. Grund ist, dass voraussichtlich von 2017 an das neue Wohngebiet Vaterstetten Nord und Nordwest bebaut wird, bis zu 1500 neue Vaterstettener sollen hier einmal leben, viele von ihnen werden Kinder im Grundschulalter sein.

Akuten Platzmangel in den Klassenzimmern befürchtet man im Schulamt dennoch nicht, "es ist nicht so, dass die Gemeinden jetzt in großem Stil neue Schulhäuser errichten müssen", sagt Sauter. Was auch daran liege, dass man in den bestehenden Grundschulen noch über Raumreserven verfüge, "so lange wir ein Klassenzimmer haben oder Räume dafür herrichten können, ist das kein Problem". Und noch einen entscheidenden Vorteil haben die Grundschulen, um mit den steigenden Schülerzahlen fertig zu werden: bei 24 Standorten "verteilt es sich ganz gut im ganzen Landkreis".

Diesen Vorteil gibt es dagegen bei den weiterführenden Schulen nicht. Wenn die Schülerzahlen steigen, merkt man das an den vier Gymnasien und vier Realschulen im Landkreis relativ deutlich. Insgesamt 5044 Gymnasiasten und 3411 Realschüler aus dem Landkreis traten im August ihre wohlverdienten Sommerferien an. Zehn Jahre zuvor besuchten gerade einmal 3836 Schüler ein Gymnasium im Landkreis, die Realschulen hatten 2004 noch insgesamt 2622 Schüler.

Allerdings gab es damals auch noch weniger weiterführende Schulen im Landkreis, zum Schuljahr 2007/2008 nahm das Gymnasium Kirchseeon, im Herbst 2009 die Realschule Poing ihren Betrieb auf. Dies hatte zunächst auch eine Entlastung der bestehenden Schulen zur Folge: Das bis dahin größte - und am meisten überfüllte - Gymnasium, jenes in Grafing, verzeichnete einen deutlichen Rückgang der Schülerzahlen. Von 1636 im Jahr 2008 auf den bisherigen Tiefstand von 1147 im vorvergangenen Schuljahr.

SZ-Serie "Unter Druck": Selbst die Grund- und Mittelschulen müssen, wie in den vergangenen Jahren in Ebersberg, ständig erweitert werden.

Selbst die Grund- und Mittelschulen müssen, wie in den vergangenen Jahren in Ebersberg, ständig erweitert werden.

(Foto: Christian Endt)

Doch damit scheint die maximale Entlastung durch die neue Schule erreicht, im vergangenen Jahr stiegen die Schülerzahlen wieder leicht an. Allenfalls leicht gesunken sind in den vergangenen Jahren die Schülerzahlen am Markt Schwabener Gymnasium von 1273 im Jahr 2008 auf 1147 im vergangenen Schuljahr. In Vaterstetten gibt es heute sogar mehr Schüler, als vor der Eröffnung des Kirchseeoner Gymnasiums, damals waren es 1548 Schüler, 1567 holten sich in diesem Sommer ihre Zeugnisse ab.

Ganz ähnlich ist die Entwicklung bei den Realschulen. Zwar hat die Neueröffnung in Poing die Nachbarschule in Markt Schwaben entlastet, von 826 Schülern 2009 auf 737 im vergangenen Jahr. In Vaterstetten gab es im gleichen Zeitraum aber lediglich einen Rückgang um 23 Schüler auf nun 1100, in Ebersberg stieg die Schülerzahl von 917 auf 986.

Angesichts dieser Entwicklung ist es verständlich, dass es Wünsche nach weiteren Gymnasien und Realschulen im Landkreis gibt. Besonders hervorgetan haben sich dabei die Poinger, die als größte Wachstumsgemeinde neben einer eigenen Realschule am Ort nun auch gerne ein eigenes Gymnasium hätten. Bereits im Herbst 2013 forderte die Poinger SPD, immerhin die Partei von Bürgermeister Albert Hingerl, dass sich die Gemeinde beim Landkreis und beim Kultusministerium für ein neues Gymnasium in Poing einsetzen soll.

Seit zwei Jahren gibt es außerdem eine Bürgerinitiative, die sich die Gründung eines Poinger Gymnasiums auf die Fahnen geschrieben hat. Deren Mitglieder können sich auf die Unterstützung des Bürgermeisters verlassen: Hingerl erklärte bereits 2013 es sei "sicher vernünftig", dass sich Poing als Gymnasiumsstandort ins Gespräch bringt und versicherte: "In Poing steht die Politik komplett hinter dem Antrag".

Auf einen Zeitplan will man sich allerdings im Rathaus nicht festlegen, der Bürgermeister ist Realist genug, um zu wissen, dass es noch ein langer Weg ist, bis in Poing vielleicht eine weitere weiterführende Schule eröffnen kann. Denn bevor noch der Kreistag überhaupt eine Schulgründung beschließen kann, muss das Kultusministerium eine entsprechende Erlaubnis erteilen, und dass dies geschieht, gilt zumindest als fraglich.

Denn zwar gäbe es wohl genügend Schüler - je nach Berechnung würden zwischen 900 und 1100 Kinder und Jugendliche das neue Gymnasium besuchen - diese fehlten aber dann anderswo. Am ehesten verschmerzen ließe sich die Schülerwanderung wohl noch in Vaterstetten, hier erwarten die Statistiker auch für die kommenden Jahre regen Zulauf. Für das Markt Schwabener Gymnasium dagegen könnte eine Neugründung in der Nachbargemeinde durchaus schädliche Folgen haben: die Schülerzahl könnte unter 900 sinken. Damit wäre das auf 1400 Schüler ausgelegte Markt Schwabener Gymnasium zwar nicht in seiner Existenz gefährdet, müsste wohl aber einige Abstriche beim Angebot machen.

SZ-Serie "Unter Druck": Auch in den Realschulen, wie in Vaterstetten, wird es immer enger.

Auch in den Realschulen, wie in Vaterstetten, wird es immer enger.

(Foto: Christian Endt)

Und auch von außerhalb des Landkreises kommen Probleme, beziehungsweise Konkurrenten. Denn Poings westliche Nachbarn Aschheim und Feldkirchen wollen ebenfalls Gymnasiumsstandort werden. Hintergrund ist, dass in Kirchheim in den kommenden Jahren ein Neubau des Gymnasiums ansteht. Dabei hat man bewusst auf eine Vergrößerung der Schule verzichtet. Kurzfristig könnten die Schülerzahlen durch die Übergangsbauten zwar noch auf rund 1500 steigen.

Doch wenn diese Provisorien nach und nach abgerissen werden sollen, würde die Schülerzahl auf 1300 sinken. "Dann braucht es definitiv ein neues Gymnasium", hat Münchens Landrat Christoph Göbel (CSU) bereits erklärt. Der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München hat die möglichen Standorte bereits untersucht und hält sowohl Aschheim als auch Ismaning für geeignet. Würde eine der Gemeinden tatsächlich Gymnasiumsstandort, hätte Poing auf absehbare Zeit keine Chance mehr - aber zumindest würden die Gymnasien im Landkreis dadurch ebenfalls entlastet.

Vielleicht gibt es ja sogar eine gemeinsame Lösung. Münchens Landrat hat bereits im Frühjahr die Devise ausgegeben, dass sich sein Landkreis angesichts der Zunahme an Schülern zusammen mit seinen Nachbarn Gedanken über mögliche Standorte für Schulen machen müsse. Und sein Ebersberger Amtskollege Robert Niedergesäß (CSU) hat bereits mehr als einmal betont, dass die beiden Landkreise in der Frage der Schulen keine Konkurrenten seien: "Wir sind Partner."

Wie eine solche interkommunale Partnerschaft bei der Bildung aussehen könnte, zeigt die Realschule Vaterstetten. Diese wird von einem Zweckverband getragen, dessen Mitglieder die Landkreise Ebersberg und München und die Gemeinden Grasbrunn und Haar aus dem Landkreis München sind. Dieses Modell hat sich über die Jahre gut bewährt, allerdings gibt es auch in Vaterstetten ein bekanntes Problem: Der Platz wird knapp.

Mehrmals wurde die Schule bereits erweitert, das jüngste Ausbauprogramm startete noch in den letzten Wochen des alten Schuljahres. Auf dem Plan stehen vier zusätzliche Klassenzimmer, eine neue Mensa und Räume für die Ganztagesbetreuung, sowie eine weitere Turnhalle. Doch es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch der nun geschaffene Platz nicht mehr ausreicht. Denn der Einzugsbereich der Realschule zählt zu den am schnellsten wachsenden Regionen, sowohl Vaterstetten und Zorneding auf der Ebersberger, wie auch Grasbrunn und Haar auf der Münchner Seite erwarten in den kommenden Jahren starken Bevölkerungszuwachs.

Und auch hier könnte die Lösung außerhalb des Landkreises liegen, diesmal in der Gemeinde Haar. Dort soll in den kommenden Jahren ein Bildungscampus mit Realschule sowie Fach- und Berufsoberschule entstehen. Besonders letzteres wäre auch für die Schüler aus dem Landkreis Ebersberg interessant, für viele könnten sich die Wege verkürzen. Denn wer nach der Mittleren Reife eine FOS/BOS besucht, hatte bislang die Wahl zwischen Erding und München. Der genaue Zeitplan für den Bau des Campus steht aber noch ebenso wenig fest, wie der Standort des Bildungszentrums.

Noch offen ist auch, wer Träger der neuen Bildungseinrichtung werden soll. Zuständig wäre eigentlich der Landkreis München, aber es gibt auch Überlegungen, dass der Zweckverband der Vaterstettener Realschule auch die neue Schule übernehmen könnte. Dass die neue Schule kommen wird, steht dagegen allerdings so gut wie fest, denn es gibt bereits eine Genehmigung des Kultusministeriums. Und auch dass es nicht an Schülern mangeln wird, gilt inzwischen als sicher.

Während das Ministerium noch vor wenigen Jahren keinen Bedarf für eine weitere Realschule im Münchner Osten sah, gehen die Prognosen inzwischen eher davon aus, dass es für den Ausbau der Schullandschaft noch lange nicht zum letzten Stündlein geklingelt hat.

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