Süddeutsche Zeitung

Premiere in Ebersberg:Party mit Polonaise

Menschen mit und ohne Behinderung feiern bei der Inklusionsdisco "Mindbreakers" zusammen. Die Veranstaltung in der Sieghartsburg ist ein großer Erfolg

Von Elisabeth Urban, Ebersberg

Samstagabend, mal weggehen, tanzen gehen. Vor der Tür der Ebersberger Sieghartsburg stehen die Raucher, Eintritt zahlen, die Hand wird gestempelt, falls man später raus- und wieder reinwandern möchte. Statt einem Clublogo steht hier "Smile all day" auf Handrücken und Handgelenksinnenseiten. Jacke im Foyer aufgehängt, es riecht nach Pizzakäse, nach Bier und ein bisschen nach dem Nebel aus der Nebelmaschine, ab ins Getümmel.

DJ Silk und DJ Marek, die als Mindbreakers die Hauptorganisatoren des Abends sind, stehen zum Programmbeginn noch nicht hauptsächlich hinterm Mischpult, denn die Rolli Gang, eine Band aus dem Münchner Raum, übernimmt zunächst die musikalische Gestaltung. Der Nebel aus der Nebelmaschine wird durchbrochen von wandernden Lichtstrahlen in Rot, Blau, Grün, über eine der Wände huscht immer wieder ein weißer Stern aus Licht. Zu Beginn wird der Saal noch von einem der beiden großen Deckenleuchter in schummriges Licht getaucht, später übernehmen die Lichttechniker einer Firma aus Rosenheim komplett. Die großen Tische, die sich wie ein Hufeisen um die Tanzfläche legen, sind weiß eingedeckt, in der Mitte jeweils ein hohes Blumensträußchen und eine Glasflasche, in der eine Lichterkette wie kleine Feenlichter drapiert ist.

Und während ihre Partnerinnen für den Einlass zuständig sind, haben Christoph Friedrich und Markus Michalik, wie das DJ-Duo im Alltag heißt, ein paar Minuten Zeit zum Erzählen neben der Getränkeausgabe im Foyer. Denn die Mindbreakers sind eben doch keine ganz gewöhnlichen Partyveranstalter, und der Abend in der Ebersberger Sieghartsburg ist keiner von denen "bei denen man erst mal vier Wodka Bull trinken muss, damit man mal die Jacke auszieht", so Michalik. Fast monatlich stellen die beiden Männer Tanzabende für Menschen mit und ohne Behinderung auf die Beine, im Sommer ein Sommerfest, rund ums Jahr gibt es diverse Mottos. Vier große, metallisch glänzende Heliumballons auf der linken Bühnenseite formieren sich zur Jahreszahl 2020 - schließlich steht die Veranstaltung diesmal unter dem Motto "Happy new year".

In der Sieghartsburg sind sie das erste Mal, und sie zeigen sich dankbar gegenüber den Gastgebern, die den Raum für die Veranstaltung kostenfrei zur Verfügung stellen. Schon öfter seien die Mindbreakers gefragt worden, ob sie denn auch anderswo als in ihrem bisherigen Hauptraum im Landgasthof Stechl in Rott am Inn für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung auflegen könnten, aber das ginge eben nur, wenn keine Raummiete aufgebracht werden muss - das Projekt läuft spendenbasiert und der Eintritt ist ein symbolischer Euro. Ein großer Vorteil, den die Ebersberger Sieghartsburg zu bieten hat: Der Zugang ist barrierefrei. In Rott ist der Saal im ersten Stock, ein Mehraufwand für Partybesucher im Rollstuhl. "Do ham mas immer rauftrogn", erzählt Michalik. Ein paar Sätze später müssen sie auch schon wieder weiter, ihr Typ ist gefragt.

"Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse" tönt es jetzt von drinnen heraus - und ja, Polonaise geht eben auch mit Rollstuhlfahrern mittendrin. Einer der beiden Männer, die eigentlich an der Essensausgabe für Pizza- und Nudelnachschub sorgen, entscheidet sich kurzerhand gegen die Schöpfkelle in seiner Hand und führt hopsend in weißem Hemd und schwarzem Vorbinder die Polonaise an. Und nachdem die Rolli Gang zunächst Bierzelt- und Après-Ski-Klassiker zum Besten gegeben hat, legen die beiden DJs jetzt quer durch die Discolandschaft auf, von Elektrobeats bis hin zu Apache 207, einem Deutschrapper, der mit seinem Song "Roller" seit Wochen die oberen Chartränge Deutschlands in Beschlag nimmt.

Wenn man sich ein bisschen umschaut, findet man viele Szenen, die auch in jeder anderen Disco spielen könnten: Da gibt es den einen, der sich am Glas festhält, und wenn es hochkommt mal mit dem Kopf nickt oder mit dem Fuß wippt. Die jungen Männer am Stehtisch haben ihr Bier geleert, "das Glas muss ein Loch haben", also Nachschub holen gehen an der Bar, vor der sich eine lange Schlange bildet. Da ist das Pärchen, das zwischen allen anderen in einer eigenen Welt zu sein scheint, sich küsst und einen viel zu langsamen Schieber tanzt. Und dann gibt es die, die springen, die den Raum zum Beben bringen, die Arme in die Luft strecken und lautstark mitsingen, wenn der DJ beim Lied "Cordula Grün" die Vocals zum Mitgrölen leiser dreht. Ein bisschen mehr "Normalos", wie Michalik Menschen ohne Behinderung bezeichnet, könnte der Abend aber noch vertragen, um noch mehr dem Inklusionsgedanken gerecht zu werden, das würden sich auch die beiden DJs wünschen.

Je später der Abend, desto ausgelassener wird die Stimmung. Offiziell geht die Veranstaltung bis 24 Uhr, "dann gibt's immer noch die Knallharten, die sich dann selber ein Taxi rufen, die bleiben bis nix mehr geht", hat Friedrich zu Beginn des Abends erzählt. Und schon im Februar gibt es dann die nächste Disco.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2020
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