Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Lesen ohne Grenzen

Kurze Sätze, keine Mehrdeutigkeiten: Als erste Gemeinde im Landkreis hat Zorneding seine Website in Leichte Sprache übersetzen lassen. Wie das funktioniert, erklärt Mit-Übersetzerin Constanze Kobell

Von Viktoria Spinrad

Auch Internetseiten können barrierefrei gestaltet werde: indem etwa die Schrift vergrößert oder Texte als Audio vorgelesen werden. Eine weitere Maßnahme - die Übersetzung in sogenannte Leichte Sprache - bietet seit kurzem Zorneding als erste Gemeinde im Landkreis auf ihrer Homepage an. Wie lange die Bücherei aufhat, wie man Müll trennt und wie man seinen Pass verlängert, kann man also nun auch in Leichter Sprache lesen. Was Sprache leicht macht und warum die Übersetzung oft mehr kostet als in Fremdsprachen, erklärt Constanze Kobell im SZ-Interview.

SZ: Sie sind Ernährungsberaterin, Buchautorin - und Übersetzerin für Leichte Sprache. Wie kam es dazu?

Constanze Kobell: Vor zwei Jahren fiel mir eine Broschüre zum Thema in die Hand. Schon im Studium hatte ich immer versucht, so zu schreiben, dass es alle verstehen können. Außerdem arbeite ich ehrenamtlich für den Behindertenbeirat der Stadt München. Also habe ich die Ausbildung zur Übersetzerin für Leichte Sprache bei der Caritas absolviert.

Was lernt man dort?

In den sieben Tagen geht es vor allem um die Frage: Wie ticken Menschen mit Lernschwierigkeiten, wie nehmen sie die Welt wahr? Sprachlich geht es vor allem darum, den Text auf die allerwichtigsten Informationen zu reduzieren. Dass man bei der Ausbildung laufend Feedback von der Zielgruppe erhält, hilft ungemein.

Nehmen wir den Satz: "Der Landkreis dringt ins Neuland vor und billigt eine Stelle als Social Media-Fachkraft." Was wäre hier zu tun?

Zunächst einmal ist der Satz viel zu lang, um für die Zielgruppe verständlich zu sein. Auch abstrakte Formulierungen sind schwer verständlich. Bei "Landkreis" würden Menschen mit Beeinträchtigungen eventuell an Wiesen und Felder denken. Leichte Sprache ist konkret, hier wäre also besser direkt vom Landratsamt die Rede. Anglizismen und mehrdeutige Bezeichnungen, wie zum Beispiel "Neuland", gehen auch nicht.

Wie sieht Ihre Übersetzung aus?

"Die Menschen sollen den Land-Kreis besser kennenlernen. Deshalb stellt das Landratsamt eine neue Person ein. Das soll diese Person zum Beispiel machen: Sie soll die Facebook-Seite vom Landrats-Amt betreuen." Am Ende hat man also immer mehr Text - auch deshalb sind Übersetzungen in Leichte Sprache zumeist teurer als Übersetzungen in Fremdsprachen.

Wer profitiert von solchen Texten?

Das sind Menschen mit Lernschwierigkeiten, Analphabeten, von Geburt an Gehörlose, aber auch Nicht-Muttersprachler ohne sonstige Beeinträchtigungen. Deswegen profitieren auch gerade Migranten von Leichter Sprache. Menschen mit Beeinträchtigungen prüfen die Übersetzungen in Leichte Sprache dann auch.

Wie sieht die Prüfung aus?

Dafür gibt es eigens eine Prüferschulung. Zum einen lernen die Menschen, offen zu sagen, wenn sie etwas nicht verstehen. Schließlich haben sich viele über Jahre angewöhnt, sich ja nichts anmerken zu lassen. Zum anderen lernen sie den Transfer: Würden das andere verstehen? Für die Arbeit werden sie auch bezahlt. Manche Werkstätten für Menschen mit Behinderungen haben sogar ein eigenes Übersetzerbüro, in dem die Bewohner arbeiten.

Welche Rolle spielen Bilder?

Sie sind kein Schmuck, sondern festes Beiwerk. Anhand der Bilder muss sich der Text erklären. Die Anweisung der Mülltrennung auf der Zornedinger Website lebt von den Bildern. Deswegen arbeitet man eng mit dem Webdesigner zusammen.

Von 2018 an sollen Bundesbehörden ihre Informationen und Bescheide für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung auch in Leichter Sprache erklären. Spüren Sie eine erhöhte Nachfrage?

Auf jeden Fall. Barrierefreiheit und Teilhabe werden immer größere Themen, auch wegen der Zuwanderung. Dass eine kleine Gemeinde wie Zorneding ihre Homepage übersetzen lässt, ist allerdings noch eine Seltenheit. Ich hoffe, dass andere Gemeinden dem Beispiel folgen. Am Ende profitieren auch deutsche Muttersprachler ohne Beeinträchtigungen - wer versteht schon einen Rentenbescheid?

Gibt es auch Vorbehalte?

Mit unserem Übersetzernetzwerk "Leichte Sprache" wollen wir auch Akzeptanz schaffen. Denn manche sagen: Leichte Sprache ist das Ende der schönen deutschen Sprache. Dabei ist sie eine anerkannte Sonderform, die zu ihrem Erhalt beiträgt. Statt zu Anglizismen und Modewörtern zu greifen, ist man gezwungen, sich auf deutsche Wörter zurückzubesinnen: "entspannen" statt "chillen" oder "Rummel" statt "Hype". Wenn man von Sonderregelungen wie Bindestrichen in längeren Wörtern absieht, ist Leichte Sprache - neben ihrem inklusiven Charakter - auch schlichtweg gutes Deutsch.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2017
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