Süddeutsche Zeitung

Jazz-Festival:Gesangs-Lehrstunde im Alten Speicher

Kenny Washington schwingt sich bei der Vocal Jazz Night mit Standards zum Publikumsliebling auf, während Roberta Gambarini in vielen Sprachen jammt

Von Oliver Hochkeppel, Ebersberg

Vor zwei Jahren, beim ersten EBE-Jazz-Festival, sei ihnen erst hinterher aufgefallen, dass kein einziges Konzert mit Gesang auf dem Programm stand, erzählte Frank Haschler, der Sprecher der veranstaltenden IG EBE-Jazz, bei der Anmoderation des Samstagabends im Alten Speicher. Deshalb war heuer das letzte große Doppelkonzert im Alten Speicher einer - von der SZ präsentierten - "Vocal Jazz Night" gewidmet. Mehr noch, wie schon die Namen der Protagonisten verrieten, handelte es sich hier um einem sozusagen amtlichen Grundkurs in Sachen klassischer Jazzgesang.

Der 59-jährige Kenny Washington gab die ersten Lektionen, ein drahtiger, kleiner Mann mit umso erstaunlicherer, weil bei Bedarf enorm voluminöser, tragender Stimme, der, wie man rasch hören konnte, aus New Orleans stammt. Der Blues und Gospel sind sein Fundament, auf dem er mit unfehlbarem Timing, großer Variabilität und Spontaneität seinen Swing- und Bebop-Kosmos aufbaut. Viele Jahre sang er in der U.S. Navy Band, in den USA eine wichtigen Institution, die das Erbe des "Great American Songbooks" bewahrt. Nun war er erstmals in Bayern zu erleben, und das kam so: Vor drei Jahren trafen sich er und der Kirchseeoner Bassist, Jazz-Weltreisende und künstlerischer Leiter des EBE-Jazz Martin Zenker auf einem Festival in Wladiwostok (!). Man freundete sich an und spielte in der Folge einige Konzerte in Asien, wo traditioneller Jazz äußerst populär ist.

Dementsprechend hörte man im Alten Speicher ein eingespieltes Team, Washington mit Zenker und dessen Rhythmusgruppe, dem schottischen Pianisten Paul Kirby, der mit geschmackvollem Single-Note-Spiel die solistischen Glanzpunkte setzte, und dem koreanischen Schlagzeuger Kim Minchan, der sauber, wenn auch vielleicht etwas brav den Rhythmusteppich ausrollte. Gemeinsam ging es zurück in die große Zeit des Jazz, zu den Standards. Vom "Old Devil Moon" über Antonio Carlos Jobims "Dindi" (sprich: "Dschindschi") bis zu "Pennies From Heaven", alles berühmt durch die Versionen von Frank Sinatra; von Miles Davis' "All Blues" (vom legendären "Kind of Blue"-Album) bis zu Jobims "No More Blues", diesen Urknall des Bossa Nova, den Carmen McRae populär machte und den seither jede Sängerin und jeder Sänger im Repertoire haben, die auf sich halten. In "Moanin'" - ein gerade erst wieder von Gregory Porter gehobener Schatz - legte Washington seine ganze Gospel-Vergangenheit, sonst blieb er meist im romantisch-lyrischen Modus, der manchmal einen Tick altmodisch wirkte, ja nahe an den Kitsch rutschte - etwa bei Dinah Washingtons "What A Difference A Day Makes", wo man ohnehin als männlicher Sänger gegen Jamie Cullums Interpretation fast nur verlieren kann.

Kenny Washington wurde und blieb dennoch der klare Publikumsliebling des Abends, was angesichts des Kommenden erstaunlich genug war. Folgte doch mit Roberta Gambarini ein auch in unseren Breiten strahlender Name. Die Turinerin hat es in den USA an die Seite der ganz Großen geschafft, ihr Nimbus zeigte sich schon bei ihren Begleitern: Auf der Tourstation Wien hatte Gambarini vor ein paar Tagen ihren alten Freund, den Grammy-dekorierten Startrompeter Roy Hargrove getroffen - und kurzerhand ihre - noch im Programmheft stehende - Begleitband in die Wüste geschickt, um nun mit Hargroves kompletten Quintett in Ebersberg anzutreten, also mit Quincy Philips am Schlagzeug, Ameen Saleem am Bass und dem Hank-Jones-Schüler Tadataka Unno am Klavier als feste Rhythmusgruppe, sowie dem (allerdings gesundheitlich angeschlagenen) Hargroves und dem Altsaxofonisten Justin Robinson als fallweise dazustoßende Gäste. Mit dieser amerikanischen Monsterband führte Gambarini in den zweiten Teil des "Erkennen Sie die Melodie"-Abends, bei dem sie passenderweise die Songs auch gleich ausführlich erläuterte.

Auch sie brachte Frank-Sinatra-Standards wie "That Old Black Magic", spannte freilich den Bogen etwas weiter, bis hin zu Astor Piazzollas "Oblivion", Rahsaan Roland Kirks "Theme For The Eulipions" oder Bruno Martinis "Estate". Auch sang sie nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Französisch, Spanisch, Italienisch oder das (bei Kenny Washington noch als "No More Blues" gehörte) "Chega De Saudade" auf Portugiesisch. Mit ihren typisch eigenwilligen, oft in schrille Höhen reichenden Phrasierungen und wilden Scat-Einlagen, was mitunter etwas akademisch, nicht natürlich klang.

Überraschend war das alles eigentlich lange Zeit nicht - bis zum grandiosen Schluss alle gemeinsam um die Wette jammten und scatteten, Gamberini, Washington und auch Hargroves, der fast so gut scatten wie sein Flügelhorn spielen kann. Eine Lehrstunde, die die Ebersberger für die nächste Stufe vorbereitet haben könnte: Vielleicht traut man sich beim EBE Jazz 19 ja an eine Nacht mit modernerem Jazzgesang, womöglich nicht nur mit Standards.

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SZ vom 23.10.2017
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